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Zukunftsmärkte > Netzwerke und neue Geschäftsmodelle

Die positiven Folgen der Corona-Krise

Die Corona-Krise verändert die Abläufe und Geschäftsmodelle in vielen Unternehmen. Die Zahl der Mittelständler, die jetzt ihre Produktion anpassen, steigt. Wie die Firmen davon langfristig profitieren können.

Desinfektionsmittel statt Parfüm, Beatmungsgeräte statt Autos oder Arztkittel statt Mode: Viele Konzerne machten Schlagzeilen damit, dass sie während der Corona-Krise ihre Produktion teilweise umstellen und dringend benötigte medizinische Waren herstellen. Auch beim Verpackungsspezialisten Ropex in Bietigheim-Bissingen laufen die Dinge dieser Tage anders. Innerhalb von nur drei Wochen setzte der Mittelständler ein völlig neues Projekt für Verpackungen von Abstrich-Spateln in der Fertigung um, die für Tests auf das Coronavirus benötigt werden. „Zusammen mit unserem Kunden haben wir ein Verfahren entwickelt, das die hygienischen Anforderungen an dieses Produkt erfüllt“, sagt Michael Bischoff, einer der beiden Geschäftsführer von Ropex. „In normalen Zeiten hätten wir dafür sechs Wochen gebraucht, dank der Extraschichten unserer Mitarbeiter haben wir es in der Hälfte der Zeit geschafft.“

Dieses Engagement freut auch Peter Sewing. „Ropex ist eines von vielen Beispielen aus dem Mittelstand, das zeigt, wie Unternehmen in der Krise neue Wege gehen“, sagt der Geschäftsführer der Obermark Unternehmensgruppe, zu der auch Ropex gehört. Gemeinsam mit anderen Investoren und Unternehmern hat Sewing eine Mittelstands-initiative gegen Covid-19 ins Leben gerufen. Das Ziel des Netzwerkes: in Deutschland die Produktion von medizinischen Erzeugnissen wie Atemmasken, Corona-Tests oder Beatmungsgeräten deutlich zu erhöhen. Innerhalb von zwei Wochen folgten über 500 mittelständische Unternehmen dem Aufruf, den die Initiative in Zeitungsanzeigen publik gemacht hatte. „Der Mittelstand hat die Kompetenzen in Produktion, Logistik und Beschaffung, um in der Krise effektiv helfen zu können“, sagt Sewing. Nur bei den Beatmungsgeräten sei die Lage schwierig, da für die Produktion viel spezifisches Know-how nötig sei, das man sich nicht in kurzer Zeit aneignen könne.

Neue Geschäftsmodelle

Während bei Ropex in der Krise die Umsätze noch einigermaßen stabil sind, ist beim Messebauer Viewpoint aus Erkrath bei Düsseldorf quasi über Nacht das komplette Kerngeschäft weggebrochen „Ohne Messen braucht natürlich niemand mehr einen Stand, den wir bauen könnten“, sagt Geschäftsführer Thomas Turkowski. Dass dennoch nicht alle der 31 Mitarbeiter in Kurzarbeit sind, liegt daran, dass Viewpoint sich neue Standbeine aufgebaut hat. Statt Messestände montiert das Unternehmen derzeit Bushaltestellen. Außerdem nutzt der Betrieb seine Kompetenzen bei der Holzverarbeitung für den Innenausbau von Gewerbeimmobilien. „Diese neuen Geschäftsfelder sind dadurch entstanden, dass unsere Mitarbeiter kreativ geworden sind und bei persönlichen Kontakten nachgefragt haben, ob es irgendwo Bedarf für unsere Arbeit gibt“, sagt Turkowski. Auch mit Kommunen ist der Messebauer derzeit im Gespräch, ob die aktuelle Lage nicht eine gute Gelegenheit sei, Schulen zu renovieren. „Die neuen Tätigkeiten können die Ausfälle im Messebau zwar nicht ansatzweise kompensieren, aber jeder Euro Umsatz ist besser als nichts“, sagt der Geschäftsführer.

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Patrick Scheeren kümmert sich normalerweise um die technische Abwicklung der Messeprojekte von Viewpoint. Da es derzeit keine Aufträge gibt, befindet er sich in Kurzarbeit. Faul auf der Haut liegt er trotzdem nicht. Mit Erlaubnis seines Arbeitgebers hat er sich selbständig gemacht. Zusammen mit einem weiteren Kollegen hat er sein Hobby zum Beruf gemacht und baut den Innenraum von Bussen und Vans um. „Ich werkel schon seit einiger Zeit in meiner Freizeit an meinem Auto rum“, sagt Scheeren. „Da wegen des Coronavirus vermutlich viele Menschen dieses Jahr in Deutschland statt im Ausland Urlaub machen werden, dachten wir, dass es vielleicht Interesse daran gibt, sein Auto so umbauen zu lassen, dass man damit zum Campen fahren kann.“

 

Mit dieser Vermutung lag er richtig. Auf seinen Facebook-Post meldeten sich über 40 Interessenten. Ein paar Aufträge setzt die neue Firma Freesight derzeit um. So kann Scheeren sein Kurzarbeitergeld etwas aufstocken und sich langfristig ein zweites Standbein aufbauen. „Den Messebau bei Viewpoint werde ich nicht aufgeben, ich möchte aber dennoch auch nach der Krise weiter Transporter umbauen“, sagt Scheeren. Wie genau er zwei Jobs unter einen Hut bringen kann, muss er noch mit seinem Arbeitgeber besprechen, sobald sich ein Ende der Pandemie abzeichnet. Auch eine Zusammenarbeit der beiden Firmen sei in Zukunft denkbar.

Viel zu tun hat momentan auch Sandra Lebedies. Die Geschäftsführerin des Raumausstatters Wohnideen Lebedies fertigt neuerdings ein Produkt, das derzeit sehr gefragt ist: Atemmasken. „Seit Wochen bin ich praktisch jeden Tag, auch am Wochenende, damit beschäftigt“, sagt Lebedies. Mehrere Hundert Stück hat die gelernte Raumausstatter-Meisterin bereits genäht. Viele davon in ihrer Freizeit. Denn mit den meisten Masken macht sie keinen Profit. Sie verkauft sie für acht Euro pro Stück – die Produktionskosten – an Mitarbeiter in der Pflege und in Krankenhäusern. „Ich will damit einen Beitrag dazu leisten, die Engpässe bei den Gesichtsmasken zu verringern.“ Obwohl die Masken in medizinischen Einrichtungen zum Einsatz kommen, sind sie keine medizinischen Produkte, die bei Behandlungen verwendet werden dürfen. Um diese herzustellen, fehlt ihr das nötige Zertifikat. „Ein Anwalt hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass wir beim Verkauf darauf hinweisen müssen, dass es keine medizinischen Artikel, sondern Hilfsmasken sind“, sagt sie. Ansonsten drohe eine Abmahnung.

Mögliche Rechtsrisiken

Die Bezeichnung der Produkte ist nur einer von mehreren Punkten, die Firmen rechtlich beachten müssen, wenn sie neue Produkte – vor allem für den Gesundheitssektor – herstellen. „Die Unternehmen müssen zum einen die regulatorischen Produktanforderungen erfüllen und zum anderen die Haftungsfrage klären“, erläutert Roland Wiring, Rechtsanwalt bei der Kanzlei CMS. Medizinprodukte und persönliche Schutzausrüstung dürfen in Deutschland nur auf den Markt kommen, wenn sie den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Mitunter müssen sie zudem von Prüfstellen wie dem Tüv auf Unbedenklichkeit getestet worden sein. Wiring rät daher, dass sich Unternehmen, bevor sie ihre Produktion umstellen, bei den Behörden darüber informieren, welche gesetzlichen Anforderungen bestehen, was die Produzenten dokumentieren müssen und ob es wegen der Corona-Krise Erleichterungen bei den Regularien gibt. „Um die Produktion medizinischer Produkte in Deutschland zu erhöhen, hat der Gesetzgeber manche Regelungen aktuell gelockert“, sagt Wiring. „So sind zum Beispiel bei einigen Produkten jetzt schnellere Prüf- und Zulassungsverfahren möglich.“

Dank des Hinweises auf der Rechnung, dass die Masken kein Virenschutz sind, sondern lediglich dabei helfen, das Gegenüber des Trägers vor Tröpfchen zu schützen, ist Sandra Lebedies rechtlich auf der sicheren Seite – auch bei den wenigen Masken, die sie gewinnbringend verkauft. „Wir haben auch eine Bestellung einer Schweizer Bank erhalten, Business-Masken herzustellen, welche die Banker bei Meetings benutzen können“, sagt Lebedies. Die Masken aus Leinen kosten doppelt so viel wie die Masken, die Lebedies an medizinisches Personal verkauft. Einen zusätzlichen Geschäftszweig für ihr Unternehmen sieht die Geschäftsführerin darin dennoch nicht. „Wir machen damit wenig Gewinn, und nach der Krise wird die Nachfrage nach den Masken deutlich sinken.“ Allerdings glaubt sie, mit ihren Masken nicht nur den Mitmenschen, sondern langfristig auch ihrem Unternehmen zu helfen. „Auf den Masken steht unser Firmenname“, sagt Lebedies. „Ich glaube schon, dass wir uns in unserer Region dadurch einen Namen verschaffen.“

Ob andere Unternehmen langfristig mit ihrer umgestellten Produktion Geld verdienen können, dürfte auch davon abhängen, ob der Staat nach der Krise gezielt fördert, dass Deutschland und die Europäische Union einen größeren Teil der einfachen medizinischen Produkte wie Atemmasken selbst herstellen und damit autarker vom Weltmarkt werden. „Ohne Förderung ist die Produktion in Deutschland zu teuer und damit nicht konkurrenzfähig mit Firmen aus Asien“, sagt Sewing von der Obermark-Gruppe.

Unabhängig davon hofft Jochen Kühner Geschäftsführer von Ropex, dass die entstandenen Netzwerke auch nach Corona bestehen bleiben. „Ich freue mich darauf, nach der Corona-Krise all die Unternehmer persönlich kennenzulernen, mit denen wir in den vergangenen Wochen nur digital Kontakt hatten“, sagt er. Das entstandene Netzwerk könne auch in Zukunft immer dann hilfreich sein, wenn man Impulse oder Unterstützung von anderen Unternehmen benötige. Auch der ein oder andere Kundenkontakt könnte die Krise überdauern. „Wem wir jetzt zeigen, dass wir in der Lage sind, innovative Produktlösungen zu finden, der wird möglicherweise auch in Zukunft auf uns zukommen, wenn er Bedarf an Spezialverpackungen hat“, sagt Bischoff.

Gemeinsam gegen das Virus

 

Seit Ausbruch der Corona-Pandemie haben sich im Mittelstand einige Netzwerke gebildet, deren Ziel es ist, derzeit benötigte medizinische Produkte wie Atemmasken, Kittel oder Beatmungsgeräte herzustellen. Eines der größeren Netzwerke ist die „Mittelstandsinitiative Covid-19“, die Anfang April entstanden ist und an der bereits über 500 KMU beteiligt sind. Die Unternehmen vernetzen sich, suchen nach Synergien in der Produktion und entwickeln gemeinsam technische Lösungen.

Auch für Thomas Turkowski von Viewpoint sollen die kommenden Monate ohne Messen keine gänzlich verlorene Zeit sein. Er will sie nutzen, um seine Konzepte für Messestände nachhaltiger zu gestalten. Statt Spanplatten möchte er für die Aufbauten wiederverwendbare Aluminiumsysteme einsetzen. Wo es möglich ist, sollen außerdem Stoffe Plastik ersetzen. „Wenn es uns und unserer Branche gelingt, die Produkte nachhaltiger zu gestalten, hat die Krise auch ihre guten Seiten gehabt.

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