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Debatte > Neues Arbeitszeitgesetz

Das Ende der Vertrauensarbeitszeit, wie wir sie kennen

Den meisten Betrieben und Millionen Beschäftigten droht das Ende der Vertrauensarbeitszeit. Die Reform des Arbeitszeitgesetzes ist ein Epochenbruch. Dass die Richter selbst nicht mitziehen zeigt, wie weit die Politik von der Lebensrealität der Menschen entfernt ist. Ein Kommentar von Thorsten Giersch.

Bald müssen die meisten Beschäftigten ihre Arbeitszeit präzise erfassen - auch wenn sie das gar nicht wollen.

Hubertus Heil hat eine Idee: Wenn man nur genau aufschreibt, wann und wie lange man arbeitet, dann hilft das der Gesundheit. Zugegen: Die Reform des Arbeitszeitgesetzes, deren Entwurf gerade bekannt wurde, hat das Bundesarbeitsministerium nicht ganz freiwillig gemacht. Aber die Ideen gehen weit über die EU-Vorgaben hinaus und auch das, was das Bundesarbeitsgerichtes in Herbst 2022 recht pauschal forderte, nämlich dass die Arbeitszeit genauer erfasst werden muss.

Um das ganz klar zu sagen: Es gibt zu viele Arbeitgeber, die unbezahlte Überstunden mindestens billigend in Kauf nehmen und schlimmstenfalls implizit einfordern. Und niemand kann etwas gegen eine Transparenz haben, wie lange die Beschäftigten arbeiten, außer dass diese freiwillig auf die Messung verzichten. Und dass es wie jetzt Regelungen gibt, an die sich de facto kaum jemand hält und das auch nicht sanktioniert wird, kann auch nicht sein. Aber die Aufwände, die damit einhergehen, müssen zum Nutzen passen. Zweitens sollte die auch von Arbeitnehmerseite gewünschte Flexibilität damit nicht unmöglich gemacht werden. Und drittens wäre es hilfreich, dass die Idee dahinter, also die Begründung in sich stimmig ist. Alle drei Punkte sind bei Heils Entwurf nicht gegeben.

Beginnen wir mit der Begründung: Im Bundesarbeitsministerium glaubt man, dass gesundheitliche Schäden durch Überlastung nur durch eine vollständige Erfassung der Arbeitszeit verhindert werden können. Schon ein Blick in Studien wie den AOK-Gesundheitsmonitor verrät, dass die Quantität der Überstunden ein vergleichsweise unwichtiger Grund für Fehltage oder Burnout ist. Viel wichtiger wäre, dass Firmenkultur, individuelles Verhalten und Absprachen mit den Vorgesetzten für das Gefühl von Sinnhaftigkeit sorgen. Die Arbeitgeber mit der besten Bewertung zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie wenig in Regeln pressen und permanent messen.

Zweitens die Flexibilität: Herr Heil möge mit ein Elternteil nennen, dass die elf Stunden Ruhepause wirklich 52 Wochen im Jahr haben möchte. Viele brauchen die Flexibilität, auch mal bis 22 Uhr am Rechner zu sitzen, wenn die Kleinen schlafen, damit sie tagsüber mit ihnen mehr unternehmen können. Und eine Vielzahl an Tätigkeiten wird überhaupt nicht mehr nach Zeitaufwand bewertet, sondern nach Wirkung. Wer seinen Kram in 35 statt 40 Stunden erledigt, hat mehr frei. So etwas wäre ohne Vertrauensarbeitszeit undenkbar. Es muss Beschäftigten möglich gemacht werden, sich von diesem Korsett zu befreien! Alles andere passt nicht zur Lebensrealität der Menschen. Das wollten EU und das Bundesarbeitsgericht auch nicht verhindern – aber Herr Heil schon. Oder es als Verhandlungsmasse in die Hände der Gewerkschaften geben.

Denn der Reformentwurf des SPD-Manns bedeutet für die allermeisten Unternehmen nichts anderes als das Ende der Vertrauensarbeitszeit, wie wir sie kennen und Millionen schätzen. Man muss entweder in einem Betrieb mit weniger als zehn Mitarbeitern arbeiten oder in einem mit Tarifbindung – und dann richtig viel Glück mit der Gewerkschaft sowie den richtigen Job haben. Heils Reform geht an dieser Stelle viel weiter als EU und Gerichte es vorsehen. Es ist ein

Gewerkschaftsbedeutungsförderungsgesetz, kein Arbeitszeitgesetz. Jeder kann sich ausrechnen, dass die Gewerkschaften einen hohen Preis fordern werden, wenn sie sich flexibel zeigen sollen.
Es gibt übrigens eine Berufsgruppe, die von vornherein gesagt hat, dass diese Form der Zeiterfassung nicht zur ihrer Arbeitsweise passt und sie deshalb nicht umgesetzt wird: die Bundesarbeitsrichter. Kein Scherz. Die machen da selbst nicht mit. Deutlicher kann man Hubertus Heil gar nicht sagen: Was der Gesetzgeber wollte, hat nichts mit dieser rigiden Umsetzung zu tun! Es braucht mehr Möglichkeiten für Ausnahmen.

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