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Debatte > Gastbeitrag

Der Mittelstand hat kein Ressourcen-, sondern ein Priorisierungsproblem

Fast alle Mittelständler leiden gerade unter einem Ressourcenmangel. Wie können sie trotzdem innovativ sein? Ein Gastbeitrag von Marco Alberti, Gründer und Geschäftsführer von Murakamy.

Marco Alberti ist Gründer und Geschäftsführer der Beratung Murakamy. Bild: Murakamy Viktor Strasse

Fast jedes mittelständische Unternehmen leidet gerade unter einem Ressourcenmangel. Ganz gleich ob Personal, Geld oder Rohstoffe. Alles ist knapp. Und die harte Wahrheit lautet: Daran wird sich auf absehbare Zeit auch nicht wirklich viel ändern. Das Gefühl der Knappheit wird wahrscheinlich die Wirtschaft die nächsten Jahre prägen. Es werden absehbar weniger Menschen geboren. Die Ressourcen der Erde sind endlich. Und wir merken außerdem langsam, dass die Mär vom grenzenlosen Wachstum vor allem eines war: eine Mär.

Die Frage, vor der mittelständische Unternehmen deshalb zwangsläufig stehen: Wie können sie trotzdem innovativ sein? Und das mit den vorhandenen Mitteln? Ein dankenswerter Ansatz kann beim italienischen Ökonom Vilfredo Pareto gefunden werden. Nach ihm wurde das berühmt-berüchtigte Pareto-Prinzip benannt. Es geht auf seine Aussage zurück, dass oftmals 20 % des Aufwandes für 80 % des Erfolges verantwortlich sind. Mittlerweile ist das Phänomen auch ziemlich gut erforscht. Die Krux an der Sache: Man muss lernen, welche Bemühungen wirklichen Mehrwert generieren – und welche nicht.

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, müssen mittelständische Unternehmen sich zunächst zwei – auf den ersten Blick recht profane – Fragen stellen: (1) Was sind die Themen und Dinge im Unternehmen, die uns am meisten nach vorne bringen? Diese Themen sollte man mit aller Kraft vorantreiben und priorisieren. Und dann sollte man sich fragen, (2) welche Projekte sie von ihrer eigentlichen Arbeit abhalten und eher Ressourcen binden oder gar verschwenden als Nutzen stiften.

Denken in Wetten statt in Wünschen

Diese Fragen sind aber nur vermeintlich profan. Denn sie zu beantworten ist extrem schwierig. Um zu wissen, welche Themen einen voranbringen, hilft es, einen Blick auf die möglichen Initiativen für das kommende Quartal im Unternehmen zu werfen und dann eine Einschätzung darüber vorzunehmen, wie das Kosten-Nutzen-Verhältnis der einzelnen strategischen Initiativen aussieht. Also wie viel Aufwand in Form von Zeit, Ressourcen und Geld zu wie viel Nutzen führt. Da man konkrete Annahmen trifft, welche Initiative zu welchen Output führt, gleicht dies einem „Denken in Wetten“. Das macht man dann für jede der möglichen Initiativen.

Wenn ein Unternehmen beispielsweise die Strategie verfolgt, künstliche Intelligenz zum Ausgleich der knappen Ressourcen zu verwenden, dann muss es vor diesem Hintergrund all seine strategischen Initiativen / Projekte bewerten und eine Einschätzung vornehmen, wie sehr diese Initiativen innerhalb eines Quartals auf die Strategie einzahlen können. Recht schnell dürfte klar werden, dass es Projekte gibt, die stärker darauf einzahlen als andere. Und genau diese „stärkeren“ Projekte sollte man priorisieren. Weil eben nicht genug Ressourcen für alle Projekte vorhanden sind.

Um zu lernen, schaut man jedes Quartal auch zurück und analysiert, welche dieser Wetten aufgegangen sind und welche nicht. Eine wichtige Eigenschaft für den Prozess ist das Aushalten von Unsicherheit, weil man eben im Vorfeld nicht weiß, was funktioniert. Man nähert sich dem ganzen aufgrund von Hypothesen an und agiert nicht im Blindflug. Aber eben auch nicht mit letzter Gewissheit. Die neuen Kategorien des Denkens sind daher wahrscheinlich und weniger wahrscheinlich statt richtig oder falsch.

Tetris ist ein gutes Beispiel für den sinnvollen Umgang mit Ressourcen

Die zweite Frage – wie findet man die Dinge, die sich nicht lohnen – berührt den Aspekt der Verschwendung von Ressourcen. Hier hilft es, sich die Frage zu stellen, was die „knappste Ressource“ einen machen lässt. Im Management spricht man hier auch von der „engpass-orientierten Steuerung“.

Das Problem, vor dem viele Unternehmen nämlich immer wieder stehen: Mitarbeiter:innen schieben viele Projekte an. Ihre Wirkung entfalten die meisten Projekte aber nur, wenn sie zusammengeführt werden. Man kann sich das wie bei Tetris vorstellen: Erst wenn eine Reihe voll ist, ist die Anordnung der Steine „wirksam“. Nur dann waren die Ressourcen gut investiert. Passiert das nicht, hat man lauter „Halbfertigerzeugnisse“. Dann stapelt man einen Stein auf den anderen. Man kommt irgendwie voran. Es sieht aus wie Arbeit, es fühlt sich an wie Arbeit, hält uns aber von der Arbeit ab, die wirklich weiteren Nutzen generieren würde. Und am Ende hat man an ganz vielen Dingen gearbeitet und nicht wirklich etwas zu Ende gebracht. Weil überall, in jeder Reihe, ein Steinchen fehlt, damit man die Reihe vervollständigt.

Von richtig zu wahrscheinlich, von falsch zu „ging so zumindest nicht“

Der Mittelstand hat oft das Gefühl, dass Business Agilität nur etwas für Start-ups oder Silicon-Valley-Unternehmen ist – dabei haben die deutschen Unternehmen traditionell eine starke Innovationskraft und den notwendigen Forschergeist. Damit der Sprung gelingt, muss man lediglich ein wenig den Blickwinkel ändern: Von richtig zu wahrscheinlich und von falsch zu „ging so zumindest nicht“. Das Denken in Wetten setzt beispielsweise eine gute Fehler- und Experimentierkultur voraus, wie Prof. Dr. Christoph Seckler von der ESCP neulich im Murakamy-Podcast sagte. Eine gute Fehlerkultur ist heute einer der Erfolgstreiber für Innovation. Diese wiederum erreicht man durch  ein hohes Maß an psychologischer Sicherheit. Mitarbeiter:innen sollten das Gefühl haben, dass sie Fehler machen können. Denn das ist ja die Grundidee der ganzen Vorgehensweise: Sich ganz bewusst auf bestimmte Projekte und Initiativen zu fokussieren – mit dem Wissen, dass man es nicht sicher vorhersagen kann, aber der Gewissheit, dass man etwas lernen wird.

Wenn Mittelständler lernen, besser zu priorisieren und die gegebenen Ressourcen hypothesengetrieben zu investieren, sind sie gleichzeitig extrem gut aufgestellt für die Zukunft. Weil sie – im Vergleich zu anderen Unternehmen – einen enormen Erfahrungsschatz haben und in der Regel über eine Gesellschafterstruktur verfügen, die schnell und mutig auch neue Wege geht. Dieser Erfahrungsschatz und die Rückendeckung der wichtigsten Entscheider:innen hilft enorm, bessere Wetten abschließen zu können.

Marco Alberti ist Gründer und Geschäftsführer von Murakamy, einer Beratung mit Fokus auf Visions-, Missions- und Strategieentwicklung sowie Objectives and Key Results (OKRs). In seiner mehr als 20-jährigen Berufslaufbahn hat er schon viele namhafte Unternehmen wie mymuesli, Daimler und Vaillant in strategischen Fragen und bei der Einführung von OKRs beraten. Gemeinsam mit Murakamy setzt er sich für eine Arbeitswelt ein, in der Menschen mehr Wirksamkeit erfahren und sich die richtigen Ziele setzen. Seine Mission: Erfolg neu definieren. Er ist Host des Murakamy Podcasts und Co-Host des Unternehmertum-Podcasts Jetzt mal Ehrlich.

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