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Debatte > Elektronische Krankmeldung

Rote Karte für den „gelben Schein“

Seit Januar brauchen Arbeitnehmer für ihre Krankmeldung keinen „gelben Schein“ mehr in gedruckter Form, alles soll eigentlich digital funktionieren. Doch tatsächlich hakt es gewaltig. Die Akteure schieben sich die Schuld zu – Verlierer im digitalen Chaos sind die Beschäftigten.

Eigentlich braucht man den "gelben Schein" in gedruckter Form nur noch in Ausnahmen. Doch bei einigen Ärzten, Kliniken und Krankenkassen hakt es.

tatistisch betrachtet wird jeder Erwerbstätige in Deutschland ungefähr zweimal pro Jahr krankgeschrieben: 80 Millionen „gelbe Scheine“ wurden hierzulande 2022 ausgestellt. Bisher vom Arzt in Papierform – und der oder die Beschäftigte hatte spätestens am vierten Tag der Krankschreibung dafür zu sorgen, dass der Zettel bei seinem Arbeitgeber ankommt. Seit Anfang 2023 ist das anders. Wer krank ist, muss das seinem Arbeitgeber zwar immer noch umgehend mitteilen. Aber er oder sie muss dafür keinen „Gelben Schein“ mehr in Papierform vorlegen.

Denn Arztpraxen und Kliniken sollen den Nachweis digital an die Krankenkasse senden. Über entsprechende Portale bei den Kassen können die Arbeitgeber dann alle notwendigen Informationen abrufen. Elektronische Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung heißt das im schönsten Bürokratendeutsch – abgekürzt eAU. Zu den Informationen gehört übrigens nicht die Diagnose oder welcher Arzt den jeweiligen Beschäftigten krankgeschrieben hat.

Diese einfache Regelung klingt gut – doch wie so oft bei Digitalisierungsprojekten gibt es hierzulande bei der Umsetzung erhebliche Probleme. Nach acht Wochen fällt die Bilanz mau aus: Der Verband der Familienunternehmer klagt über „ein Chaos der Zuständigkeiten und bürokratischen Mehraufwand durch Doppelstrukturen“. Das neue System funktioniere in der Praxis noch nicht. Die Daten seien für Arbeitgeber immer wieder nicht zeitnah abrufbar, manchmal kämen sie überhaupt nicht an.
Die Unternehmen schimpfen auf die Gesundheitsindustrie: Ärzte und Kliniken würden die Daten verspätet und lückenhaft übermitteln. Und die Krankenkassen würden zu langen brauchen, um die Informationen auf den Plattformen für die Arbeitgeber parat zu stellen. Die Retourkutsche lässt da nicht lange auf sich warten: Viele Unternehmen hätten sich technisch und organisatorisch nicht auf die eAU vorbereitet, entgegnen Verbandsvertreter des Gesundheitswesens.

Ausbaden müssen das die Beschäftigten. Im schlimmsten Fall kommt es bei Krankschreibungen von mehr als sechs Wochen zu Verzögerungen bei der Auszahlung von Krankengeld. Zu Lasten der Versicherten darf das auf keinen Fall gehen, da ist der Gesetzgeber klar. Betroffene bekommen ihr Geld also auf jeden Fall. Aber auch die Verspätung kann sehr unangenehm sein. Doch selbst wenn es so weit nicht kommt: Ärgerlich und umständlich ist es allemal für all die, deren Arbeitgeber aufgrund der Probleme von ihren Beschäftigten einen gelben Schein auf Papier verlangen. Das passiert immer noch regelmäßig und zwar nicht nur bei kleinen Mittelständlern, sondern sogar auch bei großen IT-Konzernen wie aus Deutschland-Dependancen der Silicon-Valley-Riesen zu hören ist.

Kurzum: Der alte, analoge Weg wird derzeit nur um einen digitalen ergänzt, nicht ersetzt. Der Aufwand für die ohnehin chronisch überlasteten Personalabteilungen ist immens. Auch für die Angestellten in Praxen und Kliniken bedeutet die eAU derzeit noch keine Entlastung, sondern zusätzlichen Aufwand. Besonders ärgerlich ist all das, weil die eAU nicht am 1. Januar knall auf fall eingeführt wurde: Es gab seit Anfang Oktober 2021 eine lange Testphase.

Zudem gäbe es Ausnahmen, also einige Krankheiten, wo die eAU nicht möglich ist und es doch noch die Papierform braucht, was vor allem von den Arbeitgebern scharf kritisiert wird. Für das Kinderkrankengeld benötigen Arbeitnehmer zum Beispiel weiterhin den „Gelben Schein" und auch Privatversicherte und Minijobber sind von der eAU ausgeschlossen. Auch das beschert den Arbeitgebern zusätzlichen Aufwand. Der Bundesverband „Der Mittelstand" (BVMW) hat in einer Umfrage ermittelt, dass für vier von fünf Unternehmen die Einführung der eAU problematisch war. BVMW-Chefvolkswirt Hans-Jürgen Völz sieht „keine rationale Erklärung" dafür und fordert: „Das Verfahren der Krankschreibung sollte für alle Versicherten vereinheitlicht werden."

Ratlos zeigt sich der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), warum Unternehmen so lange auf die Informationen warten müssen. Die Krankenversicherungen würden alles sofort an die entsprechenden Server weiterleiten.  Dieser Ablauf sei rein maschinell: „Die Vermutung, dass die Übermittlung teils Wochen dauern könnte, ist deshalb für uns nicht nachvollziehbar", sagt der GKV. Dass einige Arztpraxen die eAU nicht ausfüllen oder nicht an die Telematikinfrastruktur angeschlossen sind, gibt man hier zwar zu – spricht aber von Ausnahmen.

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