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Debatte > Brandbrief an die Regierung

„Entfernt von demokratischen Prozessen“: Wirtschaft schreibt Brandbrief an die Regierung

Dass die Vertreter von Wirtschaft und Regierung nicht einer Meinung sind, ist nicht ungewöhnlich. Dass aber gleich 20 Wirtschaftsverbände einen wütenden Brief an die Vertreter der Ampelregierung senden, ist bisher nicht dagewesen. Sie werfen der Politik vor, bei der Gesetzgebung übergangen zu werden.

Sarna Röser ist Bundesvorsitzende des Wirtschaftsverbands "DIE JUNGEN UNTERNEHMER".
Sarna Röser ist Bundesvorsitzende des Wirtschaftsverbands "Die jungen Unternehmer", die den Brandnrief mit unterzeichnet haben. Bildquelle: picture alliance / SVEN SIMON | Frank Hoermann

Undurchsichtig, intransparent, nicht nachvollziehbar:

Verbände, die sich im Dunstkreis der Regierenden in Berlin bewegen, erheben zwar regelmäßig die Stimme, doch dass gleich 20 von ihnen gemeinsam drastische Formulierungen verwenden, lässt aufhorchen. „Die Bundesregierung entfernt sich von demokratischen Prozessen“, schreiben sie in einem gemeinsamen Brandbrief, den Vertreter von freien Berufen, Familienunternehmen, Entsorgern, Bäckerhandwerk, Bauwirtschaft, Grundbesitzer, private Bausparkassen bis hin zu Schwergewichten wie Gesamtmetall, Großhandel und der deutsche Einzelhandel haben in einem gemeinsamen Brief die Ampel aufgefordert, die Wirtschaft mehr bei der Gestaltung von Gesetzen einzubeziehen, bevor sie verabschiedet werden.

Die Organisationen „kritisieren aufs Schärfste“, dass die Regierung über ihre Vorhaben teilweise nur einen Tag vor der Umsetzung informiert. Damit werde „die Meinung der Zivilgesellschaft nicht hinreichend berücksichtigt“, heißt es in dem Schreiben, das der Redaktion vorliegt.

Diese Praxis steht in der Tat im Wiederspruch zum eigenen Koalitionsvertrag. Darin verpflichtet sich die Ampel zu mehr Transparenz und Integration von Interessensgruppen. In dem Papier heißt es: „Wir wollen die Qualität der Gesetzgebung verbessern. Dazu werden wir neue Vorhaben frühzeitig und ressortübergreifend, auch in neuen Formaten, diskutieren. Wir werden dabei die Praxis und betroffene Kreise aus der Gesellschaft und Vertreterinnen und Vertreter des Parlaments besser einbinden sowie die Erfahrungen und Erfordernisse von Ländern und Kommunen bei der konkreten Gesetzesausführung berücksichtigen.“ Doch die Wirklichkeit sieht völlig anders aus.

„Verfassungsrechtlich bedenklich“

Die Verbände fordern, dass die Bundesregierung die Wirtschaft jetzt tatsächlich frühzeitig einbezieht, damit die Folgen für die Betroffenen auch umfassend geprüft werden können. Dann müssten Gesetze auch anschließend nicht „in den Reparaturbetrieb“. Mit den derzeit kurzen Fristen sei eine umfassende Prüfung oder gar Verbesserungsvorschläge nicht möglich. Für das „Wind-an-Land-Gesetz“, mit dem die Flächenziele für den Ausbau der Windkraft festgelegt werden, hätten die Verbände 60 Stunden für eine Reaktion zur Verfügung gehabt. Bei Strompreisbremsegesetz oder dem Planungsbeschleunigungsgesetz waren es weniger als 24 Stunden. Die Verbände halten dieses Verfahren für „verfassungsrechtlich bedenklich“.

Tatsächlich hätte es bei den Eingriffen des Staates in den Energiemarkt mittels Strom- und Gaspreisbremse nicht geschadet, auf die Verbände zu hören. Es wäre vielleicht eher aufgefallen, dass die Maßnahme künstlich die Kosten für Strom und Gas trotz fallender Marktpreise hoch hält. Eine Regelung, die billigere Tarife berücksichtigt, gibt es nicht. So „garantiert“ der Staat je Kilowattstunde 40 Cent für Strom und zwölf Cent für Gas obwohl die Preise inzwischen bei 33 respektive zehn Cent liegen. Für Entsetzen sorgt in der Wirtschaft auch der Plan von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ein Verbot für neue Öl- und Gasheizungen schon ab 2024 einzuführen. Experten halten das genau so wenig für sinnvoll, wie die Vorgabe, dass ab 2025 neue Heizungsanlagen zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden sollen. „Diese Ansinnen kommen zu einer Zeit, in der die gesamte Branche mit drastischem Auftragsrückgang zu kämpfen hat“, klagt eine Sprecherin des Zentralverbandes der Deutschen Bauwirtschaft.
 

Bestehende Gesetze auf den Prüfstand

Die Organisationen fordern, dass grundsätzlich die Wirtschaft vier Wochen vorher angehört wird, bevor ein neues Gesetz in die parlamentarischen Ausschüsse oder in den Bundestag kommt. Die Verbände mahnen die Ampel, auch bestehende Gesetze auf den Prüfstand zu stellen, Vorschriften verständlich zu formulieren und auch Dokumentationspflichten zu verschlanken. In der Praxis treibe die Bundesregierung die Bürokratiekosten ansonsten weiter in die Höhe. Allein zwischen 2012 und 2020 hat sich der regelmäßige Aufwand der deutschen Wirtschaft für Bürokratieaufgaben auf geschätzte vier Milliarden Euro verdoppelt. Zudem mussten die Unternehmen allein 2021 rund 5,84 Milliarden Euro für einmalige Anforderungen öffentlicher Stellen ausgeben. Das ist der höchste je gemessene Wert.  

Auf EU-Ebene sollte die Bundesregierung nach dem Willen der Wirtschaftsorganisationen darauf achten, dass die Mitgliedsländer wieder mehr Spielraum bei der passgenauen Gestaltung von EU-Vorgaben bekommen. Brüssel solle dazu mehr Verordnungen statt enger Richtlinien auf den Weg bringen. Für das Inland fordern die Verbände, dass der Normenkontrollrat mehr Kompetenzen bekommen soll. Dessen Aufgabenspektrum ei auf den Bereich Qualitätssicherung auszuweiten. Derzeit prüft das Gremium vor allem, welche Kosten ein Gesetz verursacht. Laut Normenkontrollrat ist allein im vergangenen Jahr der Aufwand für die Umsetzung von Gesetzen um 6,7 auf 17,4 Milliarden Euro gestiegen. „Dabei müssen Wirtschaft, Verwaltung und Bürger gerade in Krisenzeiten von unnötiger Bürokratie ent- statt belastet werden. Es ist an der Zeit, mit neuem Elan und kreativen Ideen auf einen Neustart beim Bürokratieabbau hinzuarbeiten“, forderte Lutz Goebel, Vorsitzender des Gremiums, bereits im Dezember zur Jahresbilanz des Kontrollrates.
 

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