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Debatte > Serie Bürokratie

Gelesen, gelacht, gelocht: Beim Landwirt geht das Licht aus

Bauern arbeiten draußen? Schön wär’s. Statt beim Tier oder auf dem Feld zu sein, hocken sie am Schreibtisch, um bürokratische Auflagen abzuarbeiten. Das hat groteske Auswüchse.

Für Landwirte gibt es immer mehr bürokratischen Aufwand, vieles davon erlassen von Behörden, die niemals einen Stall von innen gesehen haben. ©Shutterstock

Viel Meinung bei wenig Ahnung. So denkt wohl mancher Bauer, wenn er selbsternannte Spezialisten über Dünger, Milchpreise, Stallhaltung oder die Gülle-Börse reden hört. Aber eines bringt die Mehrheit der tatsächlichen Agrar-Spezialisten noch viel mehr auf die Zinne. Nämlich „fachlich unsinnige Regeln“ der deutschen und europäischen Agrar-Bürokratie.

So äußerten sich jüngst bei einer Befragung des Fachmagazins „agrarheute“ 45 Prozent aller Teilnehmer einer Online-Umfrage. Darin wurde unter sieben vorgegebenen Möglichkeiten die Frage gestellt: „Welcher Aspekt der Bürokratie stresst Sie am meisten?“ Für 45 Prozent der Teilnehmer sind das Regeln fern der Praxis. Dicht gefolgt von umfangreichen Dokumentationspflichten (28 Prozent). Weit dahinter liegen die Angst vor Fehlern (15 Prozent), unverständliche Formulare (5 Prozent), zeitaufwendige Kontrollen (4 Prozent) und schlechte Angebote zur digitalen Datenerfassung (2 Prozent).
 

150 Seiten Dokumentation 

Die Bauern und Bäuerinnen, ohnehin in einer wirtschaftlich und politisch schwierigen Situation Diener vieler Herren, klagen nicht unberechtigt. Die Beispiele sind zahllos. Um eines zu nennen: Biogas als wichtiger Teil der Energiewende. Die Gutachten und Nachweispflichten etwa für Einsatzstoffe, Wärmenutzung oder Abgasmessungen bedeuten für die Biogasanlagenbetreiber mittlerweile rund 150 Seiten Papierwust pro Jahr. Die wasserrechtlichen Gutachten nach der Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen füllen elf Aktenordner, beklagt ein Betreiber. Und der Erdwall als Teil seines Havariekonzeptes sei schneller fertig gewesen als die dazugehörige Dokumentation. Hinzu kommen noch die Betriebssicherheitsprüfung und die Regelungen für das Einspeisemanagement für grünen Strom. Was fehle: die Zeit für den wirtschaftlichen und sicheren Betrieb einer Biogasanlage. 

Ob der Tierschutz von mehr Bürokratie profitiert? Laut Experten nicht immer. Erst im Januar 2023 kritisierten viele von ihnen in einer öffentlichen Anhörung den neuen Gesetzentwurf zur Tierhaltungskennzeichnung von Schweinefleisch. So warnte Dirk Hesse, Sprecher der Initiative Schweinehaltung Deutschland, vor noch mehr Bürokratie und höheren Kosten für Schweinehalter. Schon jetzt lägen die Produktionskosten des deutschen Schweinefleisches im weltweit oberen Drittel, besonders wegen der gesetzlichen Haltungsvorgaben.

Auch beim Thema Fördermittel haben die Bauern einiges gemeinsam mit anderen Branchen. Die Agrar-Lobby beklagt, dass der Zugang zu finanziellen Hilfen so schwierig und die Formalitäten so zeitraubend sind, dass viele Bauern auf das Zubrot lieber verzichteten. 
 

Schilda ist überall 

In diesem Monat sorgt eine EU-Verordnung gerade für Aufregung bei den Milchbauern. Egal, ob der Kunde ihn möchte oder nicht: Milchautomaten müssen jetzt einen Kassenbon ausgeben können. Was in Regionen wie im Landkreis Fürstenfeldbruck und am Tegernsee dazu führen kann, so berichten einheimische Bauern, dass einige Höfe über die Abschaffung der Automaten aufgrund der zu hohen Umrüstungskosten nachdächten. Dann bekommt der Kunde weder Milch noch Bon. 

Zu viel Herz sollte ein Bauer nicht haben. Auch in Coesfeld-Lette im Münsterland durften im vergangenen Jahr zu Weihnachten keine „Lichterfahrten“ mehr unternommen werden. Unter dem Motto „Ein Funken Hoffnung" sollten dort wie in anderen deutschen Städten festlich beleuchtete Traktoren am Abend durch den Ort fahren und den Menschen Freude bereiten. Die Fahrt wurde nicht nur im Münsterland abgeblasen. Der Grund hier wie dort: Es fehlte die offizielle Genehmigung, weil landwirtschaftliche Maschinen nur zu einem landwirtschaftlichen Zweck öffentliche Straßen befahren dürfen. Eine Ausnahmegenehmigung in Lette wäre möglich gewesen für Inhaber eines speziellen Führerscheins, der so schnell nicht zu machen ist, oder wenn die Fahrt als Demonstration der Landwirte angemeldet worden wäre. Dann hätten die Bauern zwar ihre Trecker fahren dürfen - aber ohne Lichter.

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