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Debatte > 1. FC Heidenheim

Der Mittelstandsverein steigt in die erste Liga auf

Der 1. FC Heidenheim schafft nach einem dramatischen Finale den Aufstieg in die erste Fußball-Bundesliga und will dort den großen Clubs die Stirn bieten. Der Verein aus der Provinz wird oft unterschätzt. Was das Geheimnis des Erfolgs ausmacht.

Fußball: 2. Bundesliga, 1. FC Heidenheim - SV Sandhausen, 33. Spieltag in der Voith-Arena. Heidenheims Fans verabschieden sich auf einem Schild aus der 2. Bundesliga. Bildnachweis: picture alliance/dpa | Stefan Puchner

Heidenheim in der Bundesliga? Das ist doch lächerlich!" Der mittlerweile 68-jährige Jimmy Hertwig, HSV-Ikone und ehemaliger Nationalspieler, kann nicht verwinden, dass „sein Hamburger SV“ zusehen muss, wie ein nahezu unbekannter Provinzverein von der schwäbischen Ostalb stattdessen direkt in die erste Fußball-Bundesliga aufsteigt. Dort weiß man noch nicht so recht, ob man nach dem sportlichen Erfolg lachen oder weinen soll. Statt Sandhausen, Kiel oder Fürth heißen die Gegner des 1. FC Heidenheim 1846 künftig Bayern München, Dortmund oder Mönchengladbach.

Zahlen sind nicht alles. Aber zur Einordnung helfen sie, um zu verstehen, welche Dimensionen sich gegenüberstehen: Die Stadt Heidenheim zählt rund 50.000 Einwohner. Das entspricht der durchschnittlichen Zuschauerzahl von Hertha BSC Berlin – die jetzt da weiterkicken, wo die Ostälbler herkommen: in der 2. Bundesliga. Dabei hat allein Investor Lars Windhorst 375 Millionen Euro in den Hauptstadtverein gepusht, damit die „Alte Dame“ mit den Großen aus München und Dortmund mithalten kann. Vergeblich.

Geld ist eben viel, aber doch nicht alles, wie man in Heidenheim weiß. Am Flüsschen Brenz hat man noch im vergangenen Dezember bescheiden das Ziel ausgegeben, in der 2. Liga verbleiben zu wollen. Jetzt sind die Horizonte zwar andere, aber das Abenteuer erste Liga werden sie in aller Bescheidenheit angehen, wenn denn am Sonntag gewonnen wird oder es in der Relegation klappt. So ticken Vereinsführung und Umfeld traditionell, wie Vereinschef Holger Sanwald bestätigt: „Im Kampf David gegen Goliath fühlen wir uns pudelwohl - seit Jahren.“

In Heidenheim ist alles eine Nummer kleiner: So sind in dieser Saison im Schnitt 10.000 Fans in die Voith-Arena gepilgert. In der erste Liga wäre das Stadion vermutlich bei den 17 Heimspielen mit 15.000 Besuchern ausverkauft. Da Parkplätze knapp und die Linienbusse voll sind, erklimmen die meisten Fans zu Fuß den Weg hinauf auf den Schlossberg, wo die Spielstätte beheimatet ist. Noch vor dem ersten Anstoß haben die Heidenheimer einen Spitzenplatz schon sicher: mit 555 Metern über dem Meeresspiegel haben sie das höchstgelegene Stadion der 1. Bundesliga. 

Trotz dieser gewissen Provinzialität steckt im Hintergrund durchaus Finanzkraft – aber es ist eben nicht der eine Mäzen wie zum Beispiel in Hoffenheim. Die im Dreieck Aalen, Ulm und Schwäbisch Gmünd gelegene Region Ostwürttemberg gehört zu den wirtschaftlich besonders prosperierenden im deutschen Südwesten. Der Heidenheimer Anlagenbauer Voith hat im vergangenen Geschäftsjahr einen Umsatz von 4,2 Milliarden Euro erzielt. Zu den Sponsoren gehört auch die in Heidenheim angesiedelte Hartmann-Gruppe. Das Unternehmen (Umsatz 2,3 Milliarden Euro) ist den Verbrauchern vor allem durch Pflaster, Binden und Blutmessgeräte ein Begriff. Im benachbarten Oberkochen ist Zeiss beheimatet. Der Optik- und Messgeräte-Konzern kam zuletzt sogar auf 8,8 Milliarden Euro. Die angrenzende Region Ulm gehört zudem zu den deutschen Wachstumszentren schlechthin.

„Wir haben uns die Region erarbeitet“, umschreibt Vereinschef Holger Sanwald, dass der 1. FCH auch wirtschaftlich eine lange Strecke zurückgelegt hat. „Als ich hier anfangen habe, hatten wir faktisch fast keine Sponsoren, kein Geld, keine gute Mannschaft, erinnert sich der 56-Jährige, ohne den das Wunder von der Ostalb nicht gelungen wäre. Der Vereinsboss hat 1995 das Ruder übernommen. Der damals 27-Jährige setzte sich seinerzeit in einer Kampfabstimmung durch. Da war Heidenheim ein schwächelnder Verein in der Landesliga Baden-Württemberg. Der studierte Ökonom überzeugte mit kaufmännischem Sachverstand und seiner Persönlichkeit: „Ich konnte schon immer gut mit Menschen“, meint Sanwald.

Heute liegt im Stadion ein 430 Seiten starker Wälzer aus, in dem 500 verschiedene Sponsoren des Vereins aufgeführt sind. Den Platz auf den Trikots hat sich die zu Porsche gehörende Beratungsfirma MHP aus Ludwigsburg gesichert. Ein Zeichen, dass auch die Wirtschaft über Ostwürttemberg hinaus auf den bescheidenen aber immer erfolgreicheren Verein aufmerksam geworden ist. Über das Zahlenwerk der Heidenheimer können die Spitzenklubs nur schmunzeln. Für die Saison 2021/22 wies Vereinschef Sanwald einen Umsatz von knapp 36 Millionen Euro und einen Gewinn von 1,4 Millionen Euro aus. Zum Vergleich: Bayern München erzielte zuletzt einen Umsatz von 639 Millionen Euro.

Wirtschaftliche Solidität gehört zu den Kriterien, die in der 300 Seiten dicken „Lizenzierungsordnung“ der Deutschen Fußballiga (DFL) aufgeführt sind. Das Stadion erfüllt alle Vorgaben, anders als zum Beispiel beim frisch gekürten Zweitligameister Darmstadt 98, der bis zur nächsten Spielrunde nachbessern muss. In Heidenheim hat man still und heimlich den Fall 1. Bundesliga bereits vor zwei Jahren schon einmal durchexerziert. Seinerzeit scheiterte der Aufstieg in der Relegation gegen Werder Bremen. Somit mussten viele Gedanken von damals nur wieder aus der Schublade gezogen werden. Dort liegt schon seit 2019 eine Studie, die ein Ausbau des Stadions auf 23.000 Plätzen vorsieht. Dabei wird aber kaum einer auf die Idee kommen „Likos Kiosk“ abzureißen, der mitten in auf Gegengeraden steht und Plätze kostet. Der war schon vor dem Stadion da. Und bleibt dort. „Damit man nie vergisst, wo man herkommt. Das schadet nicht“, sagte Trainer Frank Schmidt einmal dem SWR.

Die Heidenheimer setzen trotz der sportlichen Höhen jedoch weiter auf Bodenständigkeit. Die verkörpert auch der Trainer. Der in Heidenheim geborene 49-Jährige ist mit Vereinschef Sannwald seit der Jugend befreundet. Frank Schmidt gibt seit 16 Jahren die sportliche Richtung vor. Davor hat er selbst für den Verein gekickt, da krebste der noch in der Verbandsliga Württemberg über die Dorfäcker der Umgebung. Eigentlich wollte er nur „für ein, zwei Spiele“ kurz aushelfen, als die Mannschaft in der fünften Liga Probleme hatte. Heute ist Schmidt der dienstälteste Trainer aller deutschen Profiligen, weit vor Christian Streich, der seit elf Jahren Chefcoach in Freiburg und auch ein Beispiel für hartes, aber bescheidenes Arbeiten ist. 

Schmidt und Samwald betrieben seit Jahren eine besondere Personalpolitik. Sie suchen sich Spieler aus, die vor allem menschlich zu Heidenheim passen. Die beiden bauen dabei auf ihre lange Erfahrung. Viele Spieler kommen direkt aus der Region. Das garantiert Verbundenheit und Kontinuität. „Deswegen können wir mit geringeren Mitteln wettbewerbsfähig bleiben“, erklärt Sanwald. Aufgeregte Spekulationen über den Trainerposten – wie sie in den Top-Vereinen zum Alltag gehören - sind in Heidenheim unbekannt. Der knorrige Schmidt ist eine Institution wie Vereinschef Sanwald. Das garantiert ebenfalls Stabilität. Darauf legen die Menschen auf der Ostalb viel Wert.

Diesen Kurs wird man auch fortsetzen: Den Aufstieg betrachten beide als „Lebenschance“.  „Der Aufstieg in die Bundesliga wäre wirklich eine fantastische nächste Etappe auf unserer Reise“, mein Sanwald. Sollte ein schneller Abstieg folgen, wäre dies aber kein Beinbruch. Dem Führungsduo ist wichtiger, dass der Verein eine verlässliche Größe in Stadt und Umfeld bleibt. Manchmal müsse er sich schon selbst zwicken, um sicher zu gehen, dass alles nicht nur ein Tram ist. Allein, dass der HSV unser größter Konkurrent war, ist doch irre“. Edelfan Hartwig an der Elbe dürfte es ähnlich empfinden. Doch manchmal siegt dann doch Bescheidenheit über die großen Zahlen.

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