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Debatte > Gastbeitrag von Marie-Christine Ostermann

Vorsicht, Deentrepreneurisierung!

Wenn NGOs die Vampirzähne blecken, ist nicht nur das Recht in Gefahr. Ein Gastbeitrag von der Unternehmerin und FDP-Politikerin Marie-Christine Ostermann.

Marie-Christine Ostermann
Marie-Christine Ostermann ist Unternehmerin und ­Politikerin (FDP). Seit April ist sie zudem Präsidentin des Verbandes Die Familienunternehmer. Bild: picture alliance/dpa | Horst Galuschka

Seit die Ampelkoalition im Amt ist, kommt das Land nicht aus dem Krisenmodus heraus. Viele mittelständische Unternehmen geben auf, viele denken darüber nach. Wir haben uns an leere Schaufenster in unseren Fußgängerzonen gewöhnt. Diejenigen, die regelmäßig andere Geschäftsleute sprechen, wissen, dass wir uns von den Insolvenzzahlen nicht täuschen lassen sollten. Die Realität sieht schlimmer aus: Viele hören einfach auf, weil sich das Geschäft nicht mehr lohnt oder das Unternehmersein in bürokratischen Fesseln erstickt. Alle reden – zutreffend – von einer Deindustrialisierung, zeitgleich findet aber etwas noch Umfassenderes statt: eine sich beschleunigende Deentrepreneurisierung.

Für den Krieg, den Russland im Nachbarland führt, kann die Koalition nichts. Sie kann auch wenig für die Bürokratieemissionen, die von Brüssel zu uns herüberziehen. Aber von allem Zutun freisprechen können wir die Ampelkoalitionäre nicht. Die Energiewende zum Beispiel steckt voller Gebote und Verbote. Da wird Unternehmern vorgeschrieben, welche Technologien noch erlaubt sind. Die Vorstellungskraft von Beamten ersetzt Entwicklung und Erfindergeist. Dazu kommen die sozialökologischen Berichtspflichten: Hunderte Seiten für die Taxonomie, sobald man einen Kredit der Bank benötigt, riesige Fragenkataloge für die Lieferketten-Audits. Und jede Antwort wird mit massivsten Haftungsandrohungen belegt. Welche Bürokraten sich jemals mit den Berichtsbergen befassen werden, ist eine naive Frage abseits der Realität. Eine ganze Abmahn- und Klageindustrie von NGOs wie der Deutschen Umwelthilfe bleckt schon ihre Vampirzähne. Unser Staat hat die Rechtsaufsicht an solche NGOs und Abzocker privatisiert. Gleiches Recht für alle ist nicht vorgesehen. Weil staatliche Wirtschaft moralisch höher steht, sind staatliche Unternehmen von vielen bürokratischen Drangsalierungen ausgenommen. So gilt etwa für die aufwendige Grundsteuererklärung ein ganz anderer, kommoder Terminplan für staatliche Grundbesitzer. Fast könnte man meinen, Politiker, die vor ihrer Regierungsverantwortung nur in irgendwelchen Abgeordnetenbüros, Parteizentralen oder NGOs gearbeitet haben, würden privates Unternehmertum bekämpfen wollen.

Dies sind nur wenige Beispiele. Es gibt mehr davon. Aber ein Ergebnis wiederholt sich: Unternehmer zahlen nicht nur mit Zeit und Geld für all die Zumutungen. Sie zahlen auch mit abnehmender Freude am immer engeren Restunternehmertum. Doch auch Unternehmer können anders. Es ist nämlich nicht so, dass ihre Motivation vor allem darin liegt, möglichst schnell viel Geld zu scheffeln. Raffen, gierig sein – das muss ein interessanter Menschentypus sein, wenn man ihn mal besichtigen kann. Ich kenne kein Exemplar. Ich kenne dagegen sehr viele Unternehmer, die Spaß am Entwickeln haben, am Finden von Marktchancen (das sind Ideen zum Befriedigen von Bedürfnissen anderer), die gern Verantwortung für sich und für andere Menschen übernehmen, die sich genau dazu sogar verpflichtet fühlen.

Geld haben Unternehmer oft ausreichend. Sollten sie ihre Firma verkaufen, beispielsweise an einen Konzern oder Fonds im In- oder Ausland, hätten sie noch mehr und häufig auch genug, um davon mit ihrer Familie eine gute Zeit überbrücken zu können. Wenn sie also nicht mehr Unternehmer sein mögen, weil es sich für sie in ihrer ganzheitlichen Lebensbalance (Familie versus 60- bis 70-Stunden-Woche) nicht mehr lohnt, oder weil ihnen zu viele Steine in den Weg geworfen werden, dann könnten sie einfach aufhören. Work-Life-Balance können auch Unternehmer. Das ist zwar unter ihresgleichen noch nicht so richtig woke, aber auch schlechte Erfahrung und zunehmende Drangsalierung machen klug.

Wir stehen also vor einem komplexeren Bündel von Ursachen dafür, dass Unternehmer aufhören. Oberflächlich betrachtet sind es „nur“ höhere Kosten, Fachkräftemangel und die im Vergleich hohen Steuern, die man ja noch erhöhen will. Ich fürchte aber, da steckt mehr dahinter. Ich fürchte, zu viele Politiker agieren weiter derart im Blindflug, dass für viele Unternehmer ihr ganz persönlicher Kipppunkt beim „Mache ich weiter?“ erreicht wird.

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