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Finanzierung > Inflation

Auch das noch: Der Euro wird digital. Kann Lagarde die Stabilität garantieren?

Erst wird er weich, dann digital – muss das sein? Die Europäische Zentralbank setzt Schritt für Schritt ihr Vorhaben um, den Euro zu einer digitalen Währung zu machen. In einer Zeit, in der die Inflation ins Kraut schießt, hat die EZB es schwer, sich mit diesem Vorhaben durchzusetzen.

EZB-Chefin Christine Lagarde hat die Inflation ins Kraut schießen lassen und damit Vertrauen verspielt. Jetzt will sie einen digitalen Euro schaffen.© picture alliance / EPA | RONALD WITTEK

Geld ist Vertrauenssache – eine Binsenweisheit, doch seitdem eine Währung nicht mehr durch entsprechende Goldreserven abgesichert sein muss, ist Vertrauen in die Zentralbank die einzige Grundlage des Wertes von Papier- und Münzgeld. Die USA verabschiedeten sich 1971 vom Versprechen, für jeden ausgegebenen Dollar den Gegenwert in Gold vorzuhalten, die Leitwährung der Welt war damit reines Vertrauenskapital. Der Euro als Gemeinschaftswährung war nie durch einen real vorhandenen Goldschatz garantiert: Es zählte und zählt allein das Versprechen der Europäischen Zentralbank (EZB), den Wert des Euro zu garantieren. Und dieses Versprechen ist angekratzt: Die EZB hat nicht verhindert, dass die Inflationsrate ins Kraut geschossen ist. Angesichts von zehn Prozent und mehr an Inflation ist das Vertrauen in sie erschüttert.

 

Ausgerechnet jetzt steht aber ein neuer Wandel bevor: Die EZB testet seit gut einem Jahr und noch bis Oktober 2023 Verfahren, einen „digitalen Euro“ zu schaffen. Nach der ersten Phase dürften etwa drei Jahre Praxistests nötig sein, ehe tatsächlich ein virtueller Euro neben das Bargeld und die Bankguthaben treten kann.

 

Was hat es damit auf sich? Bislang zahlen in Europa vor allem die Deutschen gern noch bar an der Ladenkasse, aber diese Art der Rechnungsbegleichung geht Jahr für Jahr zurück. An Boden gewinnen Kreditkarten, Debitkarten (wie die Maestro-Karte, ehemals ec-Karte) und zunehmend auch virtuelle Zahlmethoden, etwa Googlepay oder Applepay. Allen diesen digitalen Zahlverfahren, zu denen auch PayPal und andere Dienstleister beitragen, ist eines gemeinsam: Die Betreiber der Plattformen kommen meist nicht aus Europa. „Zwei Drittel der Kartenzahlungen in Europa gehen auf Anbieter zurück, die ihren Hauptsitz außerhalb der Europäischen Union haben“, so EZB-Chefin Christine Lagarde am 8. November bei einer Konferenz in Brüssel zur digitalen Geldzukunft. Die „Autonomie Europas“ erfordere auch eine eigene Präsenz in der zunehmend digitalen, virtuellen Welt des Geldes.

 

Man wolle das Bargeld nicht abschaffen, so Lagarde, zu verbreiteten Ängsten, mit der Einführung eines Euro, der auf Smartphones und nur in virtuellen Geldbörsen („Wallets“) verfügbar sei, werde die hoch geschätzte Privatheit und Vertraulichkeit des Bezahlens mit Münzen und Scheinen nach und nach verschwinden. Solche Befürchtungen wurden etwa laut, als 2019 die Produktion des 500-Euro-Scheins eingestellt wurde. Nicht gerade geholfen hat da die etwas schnoddrige Reaktion aus der Politik, den hohen Geldschein benutzten ja schließlich nur noch Drogendealer und Kriminelle. Gerade in Deutschland genießt Datenschutz auch unter Normalbürgern bekanntlich einen hohen Wert, selbst wenn die Nutzer zahlreicher Internet-Plattformen und digitaler Dienste im Alltag gewöhnlich ihre Daten recht freigebig verteilen. Beim (Bar-)Geld hört die Freigiebigkeit bislang allerdings auf. Darauf kam auch Bundesfinanzminister Christian Lindner dieser Tage zu sprechen: Bei einer Tagung zum digitalen Euro und der Privatsphäre der Bürger sagte Lindner, die Zentralbank erforsche im Rahmen des Projekts vor allem, wie man den „Einsatz des virtuellen Geldes von den persönlichen Daten der Nutzer abkoppeln“ könne, so dass zwar die Bezahlung registriert werde, aber nicht gleichzeitig der Urheber. Jedenfalls bis zu einer gewissen Summe. Natürlich wird auch beim digitalen Euro Vorkehrung zu treffen sein, kriminelle Geschäfte möglichst zu erkennen – darin jedenfalls soll sich der virtuelle Zahlungsverkehr nicht von traditionellen Überweisungen höherer Beträge unterscheiden.

 

Vor der Einführung des digitalen Zentralbankgeldes voraussichtlich frühestens 2026 sind noch erhebliche Hürden zu nehmen. Gerade in diesen Tagen beherrschen Schlagzeilen über die Schieflage bei Kryptowährungen die öffentliche Diskussion. Es zeigt sich, dass auch die rund 5000 existierenden anonymen, internetbasierten und per Blockchain verschlüsselten Währungen – die bekanntesten: Bitcoin und Ether - keineswegs gegen einen „Bank Run“ gefeit sind. Die Probleme einer Handelsplattform schlagen sofort auf die Kurse durch, die ohnehin durch heftige Schwankungen geprägt sind, von kriminellem Betrug ganz zu schweigen. Als Zahlungsmittel für alltägliche Geschäfte sind sie daher ungeeignet – als spekulative Geldanlage schon, mit hohem Risiko natürlich. Abschreckendes Beispiel für einen Staat, der Bitcoin als gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt hat, ist heute El Salvador: Das bitterarme mittelamerikanische Land leidet schwer unter dem jüngsten Kursverfall der Kryptowährung und hat Millionen Dollar damit verloren – die Bürger und Unternehmen tauschen Bitcoins nach Erhalt ohnehin jeweils schnellstmöglich in US-Dollar.

 

Zahlungssysteme, so folgert Frau Lagarde, müssten daher als höchstes Gut das Vertrauen der Bürger genießen, das man „nicht einfach so dem Markt überlassen“ könne. Damit ist bereits die wichtigste Aufgabe der EZB bei dem Projekt umrissen: Man werde klarmachen müssen, „dass ein Euro ein Euro ist“, egal in welcher Form, so Lagarde. Der Verbraucher hört so etwas gern, doch eine weitere Aufgabe wird es sicherlich sein, in den kommenden Jahren die Bekanntheit des Projekts zu steigern und die Privatleute wie auch die Unternehmen zu überzeugen, dass der digitale Euro einfach in der Handhabung, sicher, und vor allem werthaltig ist.

 

Letzteres berührt dann auch die Frage, wie künftig mit Inflation umgegangen wird. Wenn die Gemeinschaftswährung auf längere Sicht einer hohen Geldentwertung ausgesetzt bleiben wird, wie zuletzt womöglich zweistellig, dürfte auch ein neuartiges Medium für den Euro mit einer heftigen Hypothek starten. Immerhin ließe sich hier ja binnen kurzem erkennen, welchen Gegenwert man besonders bei internationalen Online-Einkäufen dafür erhält. Noch direkter und deutlicher als beim Einkauf im Supermarkt. Überzeugender als alle Argumente pro Digitalisierung und Bequemlichkeit wird die Stabilität des Euro in den kommenden Jahren wirken.

 

„Ein digitaler Euro kann nur dann erfolgreich werden, wenn er den Bürgern Vorteile bietet und bisherigen digitalen Zahlungsmethoden in bestimmten Dimensionen überlegen ist“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Jonas Gross, Vorsitzender des Thinktanks „Digital Euro Association“. Zu den Grundanforderungen gehört aus seiner Sicht, dass digitale Zahlungen kleinerer Beträge, wie sie üblicherweise noch mit Bargeld getätigt werden, absolut anonym vonstatten gehen müssen. Ein womöglich banaler Vorteil des virtuellen Euro wird wohl sein, dass Diebstahl so gut wie ausgeschlossen werden könnte. Nicht nur durch Maßnahmen gegen Hacker – auch der simple Handtaschenraub wäre damit ja eher sinnlos. Außerdem kann mit dem auf dem Smartphone gespeicherten Guthaben auch solchen Mitbürgern die Teilnahme am Zahlungsverkehr ermöglicht werden, die kein Bankkonto besitzen. Im Ausland ist es durchaus kein ungewöhnlicher Anblick, wenn Straßenmusiker ein Kartenlesegerät vor sich aufstellen statt eines Hutes für Geldspenden. Und selbst kleinste Beträge werden von Geschäften und Taxifahrern digital bevorzugt angenommen. Bargeld erfordert dagegen hohe Aufmerksamkeit und Vorsicht, ganz abgesehen vom Aufwand bei Transport und Lagerung, wie die mit der Bargeldversorgung beauftragten Banken hervorheben. Im Sinne der Verbraucher wäre noch eines wichtig: Der Wegfall aller möglichen Gebühren und Entgelte beim digitalen Euro.

 

Überhaupt – die Banken. Bei den Planungen betonen die EZB und die nationalen Notenbanken wie etwa die Bundesbank stets, dass die Finanzinstitute eingebunden bleiben müssen. So ganz zwingend wäre das nicht, denn digitale Euro können ja durchaus von privat zu privat übertragen werden, bei der Gehaltsauszahlung etwa. Dennoch sollen die Geldinstitute nicht umgangen werden; der digitale Euro sei nicht für Spargeld vorgesehen, zunächst soll das Walletguthaben auf rund 3000 Euro beschränkt bleiben. Und auch weiterhin bleibe die Bank oder Sparkasse ein tragender Pfeiler der Geldversorgung, so Bundesbank-Vorstand Burkhard Balz in einem Vortrag: „Der digitale Euro kann nur ein Erfolg werden, wenn alle zusammenarbeiten – das Eurosystem, die Anbieter von Zahlungsdiensten, die Wirtschaft und die … Verbraucher“. Das dürfte im übrigen auch sinnvoll sein, wenn es um Neuerungen in der Welt des Zahlungsverkehrs geht. Die Entwicklung teils überraschend nützlicher Features in der jüngsten Vergangenheit ging oft auf kleine, innovative Startups der Finanzszene zurück. Diese Innovationskraft aus nichtstaatlichen Quellen soll auf jeden Fall erhalten bleiben. Diese Einsicht scheint schon einmal unumstritten in den Szenarien der künftigen Eurowelt.

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