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Ratgeber > Urteil der Woche

Haben Teilzeitkräfte grundsätzlich Anspruch auf Überstundenzuschläge?

Teilzeitkräften dürfen Überstundenzuschläge nicht ohne Grund verwehrt werden. Eine Regelung, die Zuschläge vom Überschreiten der regelmäßigen Vollzeit-Arbeitszeit abhängig macht, erklärte das Bundesarbeitsgericht für unwirksam.

(Foto: shutterstock)

Der Fall

Die Klägerin arbeitete bei einem Dialyseanbieter als Pflegekraft in Teilzeit. Ihre Arbeitszeit betrug 40 Prozent der Stunden eines Vollzeitbeschäftigten. Der auf das Arbeitsverhältnis anwendbare Tarifvertrag sah vor, dass für Überstunden, die über die monatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinaus geleistet werden, 30 Prozent Zuschlag gezahlt werden, wenn die Stunden im jeweiligen Monat nicht durch Freizeit ausgeglichen werden können. Statt der Auszahlung des Zuschlags sieht der Tarifvertrag eine entsprechende Zeitgutschrift im Arbeitszeitkonto vor.

Die Pflegekraft hatte Ende März 2018 ein Arbeitszeitguthaben von 129 Stunden und 24 Minuten angesammelt. Dafür zahlte ihr der Arbeitgeber weder Überstundenzuschläge aus, noch schrieb er Zeiten im Arbeitszeitkonto gut.

Mit ihrer Klage vor dem Arbeitsgericht verlangte die Frau zum einen eine Gutschrift von weiteren 38 Stunden und 39 Minuten als Überstundenzuschläge, zum anderen eine Entschädigung wegen Diskriminierung. Sie werde nicht nur wegen ihrer Teilzeittätigkeit, sondern auch wegen ihres Geschlechts mittelbar benachteiligt, weil ihr Arbeitgeber überwiegend Frauen in Teilzeit beschäftige.

Die Entscheidung

Vor dem Arbeitsgericht hatte die Klage keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht erkannte die Zeitgutschrift zu, sah aber keine Diskriminierung. Das Bundesarbeitsgericht sprach der Frau schließlich sowohl die Zeitgutschrift zu als auch eine Entschädigung wegen Diskriminierung.

Das Gericht stützte sich dabei auf Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Danach ist die Regelung im Tarifvertrag wegen Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten insoweit unwirksam, als bei Teilzeitbeschäftigung nicht vorgesehen ist, dass die Grenze für die Gewährung eines Überstundenzuschlags anteilig sinkt. Ein sachlicher Grund für diese Ungleichbehandlung sei nicht erkennbar. Die Arbeitnehmerin habe deshalb Anspruch auf die weitere Zeitgutschrift.

Eine Entschädigung in Höhe von 250 Euro nach dem Allgemeinen Gleichstellungsgesetz (AGG) sprach das BAG der Klägerin deshalb zu, weil sie mittelbar wegen ihres Geschlechts diskriminiert wurde. Tatsächlich waren bei dem Arbeitgeber mehr als 90 Prozent der in Teilzeit Beschäftigten Frauen.

Das sagt der Experte

Weitreichende Folgen für den Umgang mit Überstunden sieht der Arbeitsrechtler Bernd Pirpamer von der Kanzlei Eversheds Sutherland:

„Tarifvertragliche Regelungen, aber wohl auch solche in Betriebsvereinbarungen und Arbeitsverträgen, die eine Ungleichbehandlung von Teil- und Vollzeitbeschäftigten beim Überstundenausgleich beinhalten, sind unwirksam – jedenfalls dann, wenn es nicht zugleich einen sachlichen Grund dafür gibt“, so Pirpamer. Was genau in diesem Zusammenhang ein möglicher Sachgrund sein kann, lasse sich erst nach Veröffentlichung der Urteilsgründe beurteilen. „Können Arbeitgeber aber keinen sachlichen Grund anführen, werden sie die Auszahlung von Überstundenzuschlägen an Teilzeitbeschäftigte nun – teilweise sogar rückwirkend – anpassen müssen“, betont der Rechtsanwalt.
 
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 05.12.2024, Az. 8 AZR 370/20
 
 

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