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Finanzierung > Eigenkapital stärken: Strategien für Mittelständler in der Krise

Ausgleich schaffen

Seit Beginn der Pandemie reiht sich gefühlt eine Krise an die nächste. Das nagt am Eigenkapital. Zeit für Mittelständler, sich gezielt um ihre Reserve zu kümmern.

Gesunder Mix: Hohe Preise für Rohstoffe wie Sägepalmfrüchte einerseits und steigende Außenstände fraßen bei Ruhrpharma das Eigenkapitalpolster. Das Unternehmen stellte radikal um.Bildquelle: © picture alliance / imageBROKER | O. Diez

Mit kleineren Chargen von Medikamenten oder einzelnen Medizinprodukten, regelmäßig bestellt, verdient Jörg Wolters sein Geld. Der geschäftsführende Gesellschafter von Ruhrpharm in Bielefeld liefert pflanzliche Arzneimittel für Urologie und Prostataversorgung, Praxis- und Sprechstundenbedarf für radiologische Zentren, Krankenhäuser, Alten- und Pflegeeinrichtungen. „Spritzen, Kanülen, Katheterlege- und -wechselsets sowie Ventile, Beinbeutel und Beinbeutelhalterungen, Bettbeutel, Schutzbekleidung beispielsweise für urologische OPs wie eine Beschneidung oder Vasektomie, Schläuche, Biopsiesysteme, Reinigungs- und Desinfektionsmittel“, zählt Wolters auf und hebt hervor: „Regelmäßig, das ist – oder besser: war – mit Blick auf unser Geschäft das Zauberwort.“

Wolters hatte Glück: Sein Geschäft sind Artikel, die auch und gerade in der Pandemie dringend gebraucht wurden. „In den ersten beiden Jahren hatten wir Umsatzrekorde und gehörten zu den Gewinnern“, blickt er zurück. Schon immer hat Ruhrpharm beispielsweise auch FFP2-Masken verkauft, nebenher mitbestellbar zum Praxis- und Klinikbedarf. „Da konnten wir natürlich gut performen“, sagt Wolters. Die Eigenkapitalquote war mit 45 Prozent denn auch lange Zeit üppig, keine Kredite nötig. „Was das betraf, waren wir besenrein.“

Doch auch auf Ruhrpharm schlug die sich mittlerweile über gut vier Jahre hinziehende Krise irgendwann durch. „Alles, was aus Asien kam, kostete plötzlich das Vier- bis Fünffache“, sagt Wolters, „an die 3000 Produkte und Vorprodukte.“ Der Einkaufspreis für FFP2-Masken kletterte von zuvor wenigen Cents auf zeitweise vier bis fünf Euro. Energie und Rohstoffe wurden teuer, ebenso Produkte wie Einmalhandschuhe, Biopsienadeln, Desinfektionsmittel oder wichtige pflanzliche Grundstoffe wie Sägepalmfrüchte.

Der Kunde zahlt nicht

Und die Kunden bekamen Probleme, was sich bei Ruhrpharm an den Außenständen abzeichnete. „Eine Apotheke mit knapp 200.000 Euro offenen Posten ist zusammengebrochen“, berichtet Wolters. Auch zahlreiche ärztliche Praxen gerieten in Schwierigkeiten. „Die Zeit, dass ein Medizinstudium ein Garant für Reichtum war, ist vorbei“, beobachtet Wolters. „Wir haben schon eine Rechnung über 600 Euro an eine Praxis auch im Mahnverfahren nicht eintreiben können.“ Von je her schwierig ist es für mittelständische Pharmahersteller mit manchen Krankenkassen. „Auch hier blieb und bleibt immer schon manches offen und drückt aufs Eigenkapital“, erklärt Wolters. Pflanzliche Arzneimittel sind seit 2006 nicht mehr erstattungsfähig. „Und aus der Antibiotikaherstellung haben wir uns auch schon Jahre vor der Pandemie zurückgezogen“, berichtet er.

Das Geschäft anzupassen ist ein wichtiger Weg im Umgang mit Liquidität und Eigenkapital. Auch jetzt hat Ruhrpharm-Chef Wolters Maßnahmen getroffen. „Wir legen dem Großhandel unsere Ware mittlerweile auf Kommission hin, nicht auf Rechnung“, erklärt er. Zwar finanziert Ruhrpharm so den Warenbestand des Großhandels. „Aber wir behalten Zugriff auf die Ware und können sie notfalls sichern.“ Auch die Steuerlast sei dadurch geringer. Anderthalb Jahre veranschlagt Wolters, bis diese Umstellung Früchte trägt. „Wir hatten seit elf Monaten keinen schwarzen Monat“, berichtet er. Entsprechend sank die Eigenkapitalquote von 45 Prozent auf lediglich rund fünf Prozent. „Wenn man den Umstellungsprozess rausrechnet, wären es immerhin noch 25 Prozent Eigenkapital“, hebt Wolters hervor.

Wie in jeder Krise und branchenunabhängig trifft der Druck Unternehmen stärker, die wenig Eigenkapital besitzen und eine höhere Fremdverschuldung haben. Vom Eigenkapital hängen Handlungsfähigkeit und Bonität wiederum ab. Hier neigt ein Problem dazu, quasi von selbst zu wachsen. Mittelständler aller Branchen tun gerade jetzt gut daran, ihre Eigenkapitalquote gezielt zu erhöhen – mit operativen Anpassungen, aber auch Finanzierungsmethoden wie Factoring oder Leasing.

Die meisten Mittelständler achten von Haus aus gut auf ihr Eigenkapital. Mit Blick auf den bilanziellen Deckungsgrad ist Eigenkapital schlicht von zentraler Bedeutung – allein oder in Kombination mit langfristigem Fremdkapital jeweils im Verhältnis zum Anlagevermögen. Auch Finanzinstitute und Investoren nehmen die Kennzahl wichtig und halten mehr als 50 Prozent Eigenkapital vom Anlagevermögen für gut – mit Langfristfinanzierungen zusammen 100 Prozent oder mehr. Bilanztechnisch ist Eigenkapital die Differenz von Vermögen und Schulden. Die Eigenkapitalquote errechnet sich aus Eigenkapital, geteilt durch Bilanzsumme. Eine Quote von 30 Prozent oder mehr gilt als grundsolide, je nach Branche sind auch 20 Prozent ausreichend. So viel Reserve sollte schon sein.

Insgesamt hat sich die Eigenkapitalausstattung der kleinen und mittelständischen Unternehmen über Jahre hinweg leicht erhöht – von wenigen Ausreißern wie dem Coronajahr 2020 abgesehen. Doch im Detail gibt es zwei Trends. Fast jedes fünfte Unternehmen sagte bei der Konjunkturumfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer im Sommer 2023, die eigene finanzielle Lage sei vom Eigenkapitalrückgang geprägt. Der Anteil der eigenkapitalschwachen Firmen mit einer Eigenkapitalquote unter zehn Prozent lag im Frühling 2024 bei 29,5 Prozent (Vorjahr: 30,7 Prozent), berichtet Creditreform. Zugleich haben mehr Unternehmen – ein Rekordwert von 35,5 Prozent (Vorjahr: 34,2 Prozent) – eine hohe Eigenkapitalquote von über 30 Prozent.

Geld gegen Abschlag

Um den Druck vom Eigenkapital zu nehmen, ist neben operativen Maßnahmen geeignete Finanzierung wichtig. Zwar hilft auch zusätzliches Fremdkapital der Liquidität – belastet dafür aber die Eigenkapitalquote und verschlechtert die Bonität des Unternehmens. Besser sind Finanzierungsinstrumente wie Leasing auch für Maschinen, IT- und Telefonanlagen sowie Software oder auch Factoring, bei dem ein Unternehmen offene Forderungen an einen Finanzdienstleister verkauft. Dieser überweist dem Betrieb das Geld gegen einen Abschlag. Weil Factoringgesellschaften – anders als Banken – Außenstände als Sicherheit anerkennen, ist der Finanzierungszins oft günstiger als bei Fremdfinanzierungen. Die fällige Gebühr richtet sich nach Risiko und Vertragsumfang. Auch unterhalb des Full-Service-Factoring sind Abstufungen bis hin zum unechten Factoring möglich, bei dem der Betrieb selbst haftet. Wird der Kunde über den Forderungsverkauf informiert, ist das Factoring „offen“, sonst „still“. Ruhrpharm-Chef Wolters würde sehr gern mit Factoring finanzieren, doch sein Geschäftsmodell passt nicht dazu. „Bis die Rechnung gezahlt ist, kann sich eine Vorschrift ändern, an die wir die Rechnung dann anpassen müssen“, erklärt er. „Leasing haben wir aber immer schon gern gemacht.“

Leasing und auch Factoring stärken das Eigenkapital, auch weil sie den Wert der finanzierten Assets bei der Bewertung anerkennen, während diese als Aktivposten in der Unternehmensbilanz bleiben. Leasingunternehmen übernehmen außerdem die Kosten für Wartung oder Reparaturen. Auch hier lohnt sich ein ausführlicher Vergleich von Angeboten.

Generell gewinnen Asset-basierte Finanzierungen in der Krise an Reiz, wie etwa Sale-and-Lease-Back oder sogenannte Asset Based Credits. Der Charme solcher Finanzierungsformen besteht in schlechten Zeiten darin, dass Finanzinstitute sie praktisch bonitätsunabhängig vergeben und sie das Eigenkapital, anders als Fremdkapital, sonst nicht zusätzlich belasten.

Auch Mezzanine-Finanzierungsformen sind interessant, wie beispielsweise Nachranganleihen, Wandel- beziehungsweise Optionsanleihen oder auch das Genussrecht. Sie weisen Elemente von Eigen- und Fremdkapital auf – Mezzanine ist das italienische Wort für Zwischengeschoss und beim Kapital eine Mischform. Die Ansprüche der Kapitalgeber sind beim Mezzanine-Kapital in der Regel nachrangig – vor allem deshalb ist Mezzanine als wirtschaftliches Eigenkapital eingestuft. Allerdings muss dies vertraglich gut durchdacht sein. Bei dem Thema eigenkapitalschonende Finanzierung besteht also – möglichst unabhängiger – Beratungsbedarf.

Ist die Finanzlage im Griff, können Unternehmen sich freischwimmen. Dass dabei noch andere Faktoren auf das Eigenkapital drücken können, erfährt derzeit Claus Evels, geschäftsführender Gesellschafter der Evels Karosserie-Fahrzeugbau. Das familiengeführte Unternehmen stellt Auf- und Ausbaulösungen für Nutzfahrzeuge her, für Bäckereitransporter etwa oder Ladebordwände und Ladehilfen für Lkw. Wie praktisch alle gut 500 Hersteller von Fahrzeugaufbauten in Deutschland hat auch Evels seit fast vier Jahren ein Problem: Immer wieder verzögert sich die Lieferung eines Fahrzeugs, das sie ausbauen sollen. Weil dem Hersteller Teile fehlen, kann er den Auftrag dann nicht abwickeln, denn die Produktion stockt bei ihm. Das wiederum wird für Firmen wie Evels teuer, denn das zuvor eingekaufte Material bleibt erst einmal nutzlos liegen. Finanzierten Fahrzeugausbauer das Material vor 2020 für 30 Tage vor, wurden es zwischenzeitlich bis zu 180 Tage.

Und jetzt fehlt Personal

Wie viele andere Fahrzeugbauer hat auch Evels’ Unternehmen nicht nur mit Lieferanten über Kreditlinien oder mit Kunden über Abschlagsrechnungen verhandelt, sondern auch umstrukturiert. „Wir haben das Caravangeschäft ausgebaut und uns damit ganz gut über Wasser gehalten“, berichtet er. Evels zählt die Vorteile fürs laufende Geschäft auf: „Sie vereinbaren Termine für morgen oder in drei Monaten, die Fahrzeuge sind alle bereits fertig und müssen nur repariert, modernisiert oder nachgerüstet werden“, sagt er. „Keine Lieferschwierigkeiten zu erwarten, und es ist auch kein hoher Materialaufwand vorher nötig.“

An sich funktioniert seine Lösung. „Das Caravangeschäft läuft so gut, dass wir eigentlich damit den Ausgleich für unsere krisenbedingten Einbußen schaffen könnten“, berichtet er. Dafür stößt Evels’ Fahrzeugbau derzeit auf eine weitere Knappheit: beim Personal. „Mit sieben bis acht Leuten mehr ginge das“, sagt der Chef. „Aber wir mussten schon Zusatzaufträge ablehnen, weil uns das Personal fehlt.“ Dieser Faktor dürfte wohl noch für zahlreiche Unternehmen lange nach der Krise die Eigenkapitalausstattung mitbestimmen.

Was ist was bei der Finanzierung

  • Factoring: Ein Unternehmen verkauft offene Forderungen an einen Finanzdienstleister, Factor genannt. Dieser überweist dem Betrieb das Geld sofort, sichert ihn gegen den Verlust der Forderung ab und bietet gegebenenfalls neben Inkasso auch Buchhaltung und weitere Dienstleistungen an – gegen Gebühr. Beim gängigen Full-Service-Factoring verkauft das Unternehmen seine Forderungen inklusive Ausfallrisiko und lagert zugleich Debitorenbuchhaltung sowie Inkasso aus. Abstufungen sind möglich.
  • Leasing: Der Begriff bedeutet übersetzt mieten oder vermieten. Anders als beim – oft fälschlich synonym benutzten – Mietkauf wird das Leasinggut nach Vertragsende nicht Eigentum des Leasingnehmers. Je nach Vertrag geht es an den Leasinggeber zurück oder wird zum Restwert verkauft – an den Leasingnehmer oder ein anderes Unternehmen.
  • Sale-and-Lease-Back: Hierbei verkauft ein Unternehmen Anlagegüter aus seinem Eigentum – also ­gebundenes Kapital wie Gleise, Fabrikhallen, Bürogebäude – an einen Partner und least das Objekt anschließend über eine feste Laufzeit zurück. Bilanziell setzt das liquide Mittel frei. Zugleich kann das verkaufte Wirtschaftsgut weiter genutzt werden. Steuerlich kann von Vorteil sein, dass die Leasingrate voll ansetzbar ist – und nicht nur der nach AfA-Tabelle ansetzbare Teil der Abschreibung. Allerdings können die Gesamtkosten die gewonnene Liquidität über die gesamte Laufzeit hinweg übersteigen – das sollte sorgfältig gegengerechnet werden.
  • Asset Based Credit/Lending: Diese noch recht junge Finanzierungsform gilt als besonders geeignet, um als Start-up und in der Wachstumsphase Fremdkapital für das operative Geschäft aufzunehmen, beispielsweise um das Lager aufzustocken, die Belegschaft zu vergrößern oder Prozesse auszuweiten. Unternehmen können vergleichsweise umstandslos vorhandene Vermögenswerte beleihen. Voraussetzung ist, dass diese auch als Banksicherheiten infrage kommen, werthaltige Maschinen etwa, Anlagen oder Fahrzeuge.
  • Mezzanine: Mezzanine-Kapital steht auf einer Zwischenstufe (Mezzanine = Zwischengeschoss) zwischen Eigen- und Fremdkapital. Zu den Mezzanine-Finanzinstrumenten gehören beispielsweise die stille Beteiligung, das Nachrangdarlehen oder etwa Options- und Wandelanleihen. Mezzanine-Kapital stärkt die Eigenkapitalquote des Unternehmens, ohne dabei Gesellschafterstruktur und Stimmengewichte zu beeinflussen. Mezzanine-Forderungen sind schuldrechtlich nachrangig.
  • Kreditversicherung: Nicht Banken geben Unternehmen am meisten Kredit, sondern Unternehmen, die zuliefern. Die Summe, die Unternehmen ihren Lieferanten schulden, übersteigt die von Banken und anderen Finanzinstituten im vergangenen Jahr an Firmen vergebenen Darlehen bei weitem. Kreditversicherungen oder Warenkreditversicherungen bieten auch KMU Schutz vor Zahlungsausfall. Sogar Forderungen, denen Schuldner widersprechen, lassen sich absichern – einmalig oder dauerhaft. Ausfälle abzusichern, schont zumindest indirekt auch das Eigenkapital.

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