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Recht und Steuern > Bürokratie

„Im Alltag grenzt das an Absurdität“: Bei diesen acht Bürokratiehürden fasst sich die Unternehmerin nur noch an die Stirn

Verbotene Schriftarten, Mitarbeiter in der Warteschleife, vorfällige Sozialversicherungsbeiträge, Nachteile bei öffentlichen Ausschreibungen - so kämpft Stella Pazzi, Geschäftsführerin eines kleinen Mittelständlers aus dem Saarland, täglich gegen bürokratische Auswüchse.

Bürokratie bremst Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen aus. Bildquelle: Shutterstock

Wenn Stella Pazzi einem Mitarbeiter zum Geburtstag gratuliert, verstößt sie gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Sie hätte sich erst dessen Einverständnis zu ihrer Kenntnis seines Geburtstages einholen müssen - denn das sind geschützte Daten. „Über solche Auswüchse rege ich mich schon gar nicht mehr auf“, sagt die quirlige Saarländerin. „Aber wenn in Deutschland dringend nötige Digitalprojekte wegen der Bürokratie zur Förderung dringend nötiger Digitalprojekte verschoben werden müssen, dann ....“

Als Geschäftsführerin der Moltomedia GmbH & Co. KG in Saarbrücken mit 20 Mitarbeitern kämpft die 36-Jährige jeden Tag mit der deutschen Bürokratie und mangelnder Digitalisierung. Sie ist vom Fach: Ihre Firma entwickelt und berät Unternehmen rund um deren digitale Prozesse und Produkte.

Pazzi hat einige sehr konkrete Beispiele aus ihrem Alltag, die die Regulierungswut deutscher Behörden belegen – und sie macht auch – ganz Beraterin Vorschläge, wie es besser gehen könnte.

1. An der Grenze droht die Schikane

Der Gang über die Grenze ist für Saarländer so selbstverständlich wie der Besuch von Potsdam für Berliner. „Sobald ich aber einen Kunden um die Ecke in Luxemburg besuche, muss ich laut Gesetz wie für jede Geschäftsreise ins Ausland eine aktuelle A1-Bestätigung dabeihaben, sprich den Nachweis, dass ich in Deutschland korrekt sozialversichert bin, plus meinen Arbeitsvertrag und eine Gehaltsabrechnung“, ärgert sich Pazzi. Kontrolliert worden ist sie noch nie. „Gerade für Grenzregionen sollte diese Auflage abgeschafft werden.“

2. Sozialversicherungsbeiträge werden zweimal gewälzt

Wie in der IT-Branche üblich, überweist sie die Gehälter zum Ende des Monats. Die Sozialversicherungsbeiträge muss sie als Arbeitgeberin aber schon zur Monatsmitte an die entsprechenden Kassen abführen. Vorfällig nennt sich das. „Das bedeutet für uns, dass wir jeden Sozialversicherungsbeitrag zwei Mal anfassen“, erklärt Pazzi das Procedere. „Einmal Mitte des Monats, wenn wir überweisen und dann nochmal zu Beginn des Folgemonats, wenn wir kontrollieren müssen, ob jeder Mitarbeiter im Vormonat nicht doch noch krank war oder Ausfalltage hatte, die für die Abrechnung des Vormonats relevant gewesen wären.“ 

3. Aus-Cheken bei jedem Gang zum Klo

In der IT-Branche war zeitlich und örtlich flexibles Arbeiten schon lange vor Corona Standard. „Die Bundesregierung ist allerdings gerade dabei, ein neues Arbeitszeitgesetz infolge einer Gerichtsentscheidung zu schreiben. Aber meine internationalen Mitarbeitenden können so wenig wie ich nachvollziehen, warum sie nach dem jetzigen Referentenentwurf dann für jede Pause, jeden Gang aus- und wieder einstempeln müssen“, ärgert sich Pazzi über das schlechte Bild, das Deutschland abgibt und den mühsamen Erklär- und Kontrollaufwand der Arbeitgeber. „Das Arbeitsministerium hätte gegen die Entscheidung vorgehen und darauf drängen müssen, dass es reicht, Arbeitsbeginn und -ende zu erfassen“, fordert sie.  

4. Der gelbe Schein wird zweimal abgefragt

Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat eigentlich den sogenannten gelben Schein bei einer Krankschreibung ersetzt. Die Krankmeldung geht direkt vom Arzt elektronisch an die Krankenkasse. „In der Praxis funktioniert das nicht. Unsere 20 Mitarbeitenden sind bei mehr als einem Dutzend verschiedener Krankenkassen versichert. Weil weder alle deutschen Ärzte, noch die ausländischen Mediziner in unserer Grenzregion das Verfahren nutzen, müssen wir jetzt parallel den Papierkram über den gelben Schein abwickeln und jeden Monat alle Krankenkassen elektronisch abfragen“, beschreibt Pazzi die doppelte Arbeit. Ihre Frage an die Politik: „Warum gibt es keine digitale Sammelstelle, an der einmal die Woche alle Anfragen gebündelt runtergeladen werden können?“

5. Falsche Schriftart? Dokument ungültig

Die Datengrundschutzverordnung verhindert, dass bestimmte Schriftarten aus dem Internet verwendet werden. Klingt seltsam, ist es auch. „95 Prozent aller Webseiten nutzen Google Fonts, das sind mehr als 1550 verschiedene Schriftarten, die Google für Internetseiten anbietet. Die DSVGO verlangt, dass für den Kunden ersichtlich dokumentiert wird, welche Software sein Dienstleister verwendet. Wer die Schriftarten nicht in seiner Datenschutzerklärung auswies, wurde von Abmahn-Anwälten erfolgreich verklagt - obwohl die Schriften immer auf den Google-Servern liegen und nie bei dem Nutzer“, berichtet Pazzi. Inzwischen war eine Klage gegen die Kläger erfolgreich. „Wegen solchem Irrsinn müssen die Unternehmen ihre Datenschutzerklärungen ständig wieder von Juristen prüfen lassen“, berichtet die Praktikerin. „Im Alltag grenzt das an Absurdität.“

6. Papierstau in der Behörde

2022 freute sich Moltomedia über einen talentierten Werkstudenten aus Marokko, und machte ihm schon ein halbes Jahr vor seinem Abschluss ein Jobangebot. „Wir haben eine Woche vor Arbeitsbeginn noch nicht gewusst, ob die Ausländerbehörde zustimmt“, erinnert sich Pazzi mit Grausen. Alle Papiere waren fristgerecht eingereicht. „Die Behörden sind so überlastet, dass sie nicht mal ihre eigenen Termine einhalten können. Wieso gibt es nicht die Möglichkeiten, Unterlagen digital einzureichen und zu bearbeiten, statt alles auf Papier und mit persönlichem Erscheinen zu verzögern?“ Da graust es der Digital-Expertin doppelt. „Warum gibt es nicht ein One-Stop-Office zum Beispiel an der Saarbrücker Universität, wo Ansprechpartner aller Behörden sitzen und gesuchte internationale Fachkräfte an einem Ort alle Fragen klären können?“ 

7. Aufwendige Auflagen schließen kleine Anbieter aus

Verhindert überflüssige Bürokratie den Zugang kleinerer Unternehmen zu öffentlichen Aufträgen? „Komplizierte Ausschreibungen kosten uns mehrere Personenarbeitstage. Dazu kommt eine Vielzahl von Auflagen, zum Beispiel, dass bestimmte Zertifizierungen, Produkte oder Personalkapazitäten vorgehalten werden müssen, die kleine Unternehmen kaum leisten können“, beschreibt Pazzi den Aufwand und ärgert sich: „So gehen Aufträge an Konzerne, für die das alles kein Problem ist.“

8. Wegen Überlastung beginnt das Amt zu losen

Völlig offensichtlich wird der Unterschied zwischen praktischer Hilfe und bürokratischen Irrläufen bei den staatlichen Förderangeboten, die seit der Pandemie neu aufgelegt wurden. Damit etwa lokale Händler schneller Online-Shops aufbauen konnten, wurde ihnen staatliche Unterstützung versprochen. Die war erwartungsgemäß so gefragt, dass bei der Antragstellung für die Förderung die staatlichen Server zusammenbrachen. Daraufhin waren Anträge nur noch einmal monatlich für wenige Stunden möglich. Das funktionierte überhaupt nicht, worauf ein Losverfahren eingesetzt wurde. „Doch das war das Ende schneller, neuer Projekte. Denn die dürfen erst gestartet werden, wenn die Förderzusage schon vorliegt“, erklärt Pazzi. „Doch auf die Zusagen mussten die Firmen monatelang warten und legten die digitalen Projekte deshalb solange auf Eis“, berichtet die international ausgebildete Unternehmerin Stella Pazzi und kann sich nur noch an die Stirn fassen.  
  

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