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Finanzierung > Führungskrise EU

Deutschlands Führungsschwäche in der EU wird zum Problem

Ein schwacher Kanzler und Koalitionsstreitigkeiten sind schuld daran

Emmanuel Macron und Olaf Scholz sind zu einer Arbeitssitzung zusammengekommen. Beide wirken ratlos.
Emmanuel Macron und Olaf Scholz haben sich zu einer Arbeitssitzung getroffen. Angesichts der komplexen Herausforderungen und Krisen, mit denen Europa derzeit konfrontiert ist, wirken beide Staatsmänner ratlos. (Foto: picture alliance/dpa, Kay Nietfeld)

Mitte der 2010er Jahre, als die Europäische Union sturzbetrunken von einer Krise in die nächste schlitterte, gab es eine Konstante. Deutschland und insbesondere Angela Merkel, seine Kanzlerin, war der Stern, um den der Rest Europas kreiste. Die südeuropäischen Länder ärgerten sich über die Sparmaßnahmen, die sie als Preis für ihre Rettungsaktionen schlucken mussten; die östlichen Länder wünschten sich, dass Frau Merkel nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 eine härtere Gangart gegenüber Russland eingeschlagen hätte. Alle hatten Recht. Doch keiner hatte eine Möglichkeit, Deutschland zu umgehen.

Wenn man jetzt nach Brüssel kommt, hört man nur Geschichten über deutsche Unfähigkeit. Die Dysfunktion der Drei-Parteien-Koalition von Olaf Scholz schwappt auf Europa über und erschwert das Tagesgeschäft, da die deutschen Regierungsparteien zanken und streiten. Alte Allianzen werden neu geformt, während Deutschlands Freunde um es herum arbeiten. Als Bundeskanzler scheint Scholz nicht die Geduld von Frau Merkel zu haben, wenn es um Verhandlungen geht. Auf Gipfeltreffen der EU-Führer vertritt er die deutsche Position und zeigt sich überrascht, wenn andere nicht mitziehen.

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Enttäuschte Erwartungen an die deutsche Führung sind weder neu noch leicht zu überwinden. Koalitionen, Gerichte und die föderale Struktur des Landes machen die Entscheidungsfindung schwerfällig. Manchmal funktionieren die Dinge aber auch. Die Zeitenwende war ein echter Wandel in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik, den Herr Scholz nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Jahr 2022 eingeleitet hat. Deutschland rüstet endlich seine Streitkräfte auf, schickt Waffen in die Ukraine und hat seine Energiepolitik geändert. Doch die Partner Deutschlands bleiben eher enttäuscht.

Das liegt daran, dass sie Herrn Scholz beim Wort nehmen, wenn er wie bei seinem Amtsantritt 2021 sagt, Deutschland habe eine "besondere Verantwortung" für Europa. Dies gilt mehr denn je, wenn es anderswo an Führung mangelt. Frankreich, Deutschlands traditioneller, wenn auch manchmal eigenwilliger Partner, ist nach Emmanuel Macrons unkluger Entscheidung, im letzten Monat vorgezogene Parlamentswahlen abzuhalten, wie gelähmt. Andere Staats- und Regierungschefs sind in bestimmten Fragen wichtig, aber keiner kann mit Deutschlands Gesamtgewicht mithalten. Und ohne die tatkräftige deutsche Unterstützung drohen mehrere Punkte auf der To-Do-Liste der EU in der Schwebe zu bleiben.

Das erste, die Erweiterung der EU auf die Ukraine und andere Länder, wurde von Herrn Scholz als eine Priorität für ein "geopolitisches Europa" bezeichnet. Um jedoch zu verhindern, dass der Prozess in der Bürokratie stecken bleibt, muss Deutschland den Kampf mit anderen, skeptischeren Regierungen aufnehmen. Die EU wird sich im Zuge ihrer Wachstumsvorbereitungen auch selbst reformieren müssen, indem sie beispielsweise ihre teure Agrarpolitik ändert und die nationalen Vetorechte beschneidet. Die Vollendung der Kapitalmarktunion, ein wertvolles, aber wichtiges Projekt, das private Investitionen in Europa ankurbeln soll, und die bevorstehende Diskussion der EU über die Frage, ob ihre Binnenmarkt- und Beihilferegeln angesichts der zunehmenden us-China-Spannungen noch zeitgemäß sind, werden Deutschland ebenfalls einiges abverlangen.

 

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Aus The Economist, übersetzt von der Markt & Mittelstand Redaktion, veröffentlicht unter Lizenz. Der Originalartikel in englischer Sprache ist zu finden unter www.economist.com

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