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Finanzierung > Wachstumskapital

Ein Börsengang kann sich auch für Mittelständler lohnen

Für viele Mittelständler scheint der Weg an die Börse keine Option zu sein. Dabei kann er sich gleich mehrfach auszahlen – wenn das Unternehmen ihn richtig vorbereitet und sich der möglichen Risiken bewusst ist. Und: Nicht jeder, der an die Börse will, kann es auch.

Für diesen Artikel wurde Martin Pirkl im Mai 2019 mit dem Journalistenpreis kumU des Interessenverbandes Kapitalmarkt KMU ausgezeichnet.

Vor sieben Jahren wagte Datron, ein Hersteller von Fräsmaschinen, den Börsengang (auf Englisch: Initial Public Offering, IPO). Der Mittelständler aus dem hessischen Mühltal benötigte für sein Wachstum frisches Kapital, scheute aber davor zurück, sich in die Abhängigkeit von Bankkrediten zu begeben. „Wir wollten über Eigenkapital wachsen“, sagt Michael Daniel, Finanzchef bei Datron. „Mit dem Börsengang haben wir unser Eigenkapital deutlich erhöht und uns damit ein langfristiges Finanzierungspolster gesichert.“

Den Schritt aufs Börsenparkett wagen bislang nur wenige mittelständische Unternehmen. „Viele Mittelständler schrecken vor einem Börsengang zurück, da sie befürchten, sich permanent vor Investoren rechtfertigen zu müssen“, sagt Norbert Kuhn, Leiter Unternehmensfinanzierung beim Deutschen Aktieninstitut (DAI). Diese Sorge hat der Datron-CFO Daniel nicht, im Gegenteil: „Der Dialog mit den Investoren gibt uns auch die Chance, unser Handeln laufend selbstkritisch zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Wir pflegen einen offenen und ehrlichen Austausch mit unseren Investoren. Das wird auch erwartet.“

Lukrativer IPO

Für Mittelständler kann sich ein IPO gleich mehrfach auszahlen. Dank des gestiegenen Eigenkapitals kommen die Unternehmen günstiger und einfacher an Fremdkapital, beispielsweise über Bankkredite. Die Börsennotierung und damit der Aktienhandel steigern außerdem die Bekanntheit der Firma – nicht nur bei Investoren, sondern auch bei Lieferanten und Kunden. „Ein Börsengang ist vor allem für Unternehmen interessant, die stark wachsen wollen“, sagt Kuhn vom DAI.

Ein Vorteil der Finanzierung über die Börse ist, dass das zusätzliche Kapital dem Unternehmen dauerhaft zur Verfügung steht und, anders als ein Kredit, nicht an einem bestimmten Stichtag zurückgezahlt werden muss. Je nachdem, wie sich das Unternehmen und die gesamtwirtschaftliche Lage allgemein entwickeln, kann die Rückzahlung zu einem ungünstigen Zeitpunkt auftreten und das Unternehmen in eine unangenehme Lage bringen. Diese Sorge fällt bei frischem Kapital durch Aktienemissionen weg. Ein Mittelständler kann daher flexibler planen und ist nicht so abhängig von der Zinsentwicklung an den Finanzmärkten.

Schutz vor feindlichen Übernahmen

So behalten Mittelständler die Kontrolle über ihr Unternehmen

  • Die sicherste Variante ist, als Unternehmer die Mehrheit der Aktien selber zu halten. Dann ist eine feindliche Übernahme unmöglich.
  • Namens- statt Inhaberaktien ausgeben: Bei jeder Transaktion wird der neue Inhaber der Wertpapiere in ein elektronisches Aktionärsbuch eingetragen. So erfährt der Unternehmer frühzeitig, wenn sich jemand in großem Maßstab in seinen Betrieb einkauft.
  • Einen vertrauensvollen Investor suchen, der seine Anteile niemals an die Konkurrenz verkauft.
  • Mit einer Kapitalerhöhung die Übernahme verteuern: Das Unternehmen bietet seinen Aktionären eine Kapitalerhöhung mit Bezugsrecht und einen möglichst hohen Emissionspreis an. Dadurch steigt der Gesamtwert der sich im Umlauf befindlichen Aktien. Auch der feindliche Investor erhält natürlich das Angebot, muss aber für eine mögliche Übernahme nun insgesamt mehr bezahlen.

Trotz aller Vorteile sollte sich ein Unternehmen einen Börsengang allerdings gut überlegen. Ist ein Mittelständler an der Börse gelistet, muss er nicht nur die Jahreshauptversammlung seiner Aktionäre organisieren, sondern auch Halbjahresberichte veröffentlichen und Analystenveranstaltungen abhalten. Außerdem muss das Unternehmen einen Aufsichtsrat haben. „Die Umsetzung eines Börsenganges bedeutet einen hohen administrativen Aufwand – besonders für einen Mittelständler“, erinnert sich Daniel an den IPO von Datron. Daher empfiehlt er Unternehmen, die mit einem IPO liebäugeln, vor, während und nach dem Börsengang Personal mit entsprechendem Know-how einzustellen.

Was steht im Geschäftsbericht?

Durch die zusätzliche Berichtspflicht steigt die Transparenz über das Unternehmen, seinen Geschäftsplan und seine tatsächliche wirtschaftliche Lage. Im Extremfall kann das zu einem Wettbewerbsnachteil werden – schließlich liest auch die Konkurrenz mit. Daher sollten Mittelständler in ihrem Lagebericht zwar ehrlich sein – aber sie müssen nicht sämtliche Interna und strategischen Pläne verraten. Sieht das Unternehmen enormes Wachstumspotential in Polen, sollte es in seinem Bericht lieber von Osteuropa sprechen. Das entspricht der Wahrheit und ist gleichzeitig unkonkret genug, um der Konkurrenz keine Geschäftsgeheimnisse zu verraten.

Ein Börsengang ist außerdem mit erheblichen Kosten verbunden. Die Provision der Banken, die den IPO begleiten und nach interessierten Investoren für das Unternehmen suchen, bildet den mit Abstand größten Kostenblock. Mindestens die Hälfte der Aufwendungen entfällt auf die – mal mehr, mal weniger erfolgreiche – Dienstleistung der Investmentbanken. Zudem müssen die Unternehmen IPO-Berater, Rechtsanwälte und die Kosten für das Listing an der Börse bezahlen. Dazu kommen noch Inhouse-Kosten, die bei der Kalkulation gern übersehen werden. Das können etwa Überstunden sein, die vor allem die Mitarbeiter aus der Buchhaltung oder der Kommunikationsabteilung einlegen müssen, um den Börsengang bilanztechnisch und kommunikativ vorzubereiten.

Gute Planung vonnöten

Alles in allem dauern die Vorbereitungen für einen Börsengang zwischen sechs und zwölf Monate und kosten einen Betrag, der etwa 10 Prozent des Bruttoemissionserlöses, also der platzierten Aktien multipliziert mit dem Emissionskurs, entspricht. Werden viele Aktien gezeichnet, kommt so schnell ein Millionenbetrag zusammen. Diese Ausgaben können die wenigsten Mittelständler aus ihrem Cashflow decken. Die Folge: Ein erfolgreicher IPO führt absurderweise oft zu einem negativen Ergebnis im ersten Jahr.

Der Kapitalmarkt bewertet diese Kosten allerdings als außerordentlich und berücksichtigt sie daher nicht bei der Analyse des unternehmerischen Ergebnisses. Wenn ein Unternehmen die IPO-Kosten nicht selber decken kann, muss es mit einer Bank einen Übergangskredit vereinbaren. Dieser wird zurückgezahlt, wenn die Einnahmen durch die Emission der Aktien eingetroffen sind. Dann bleibt dem Mittelständler im Vergleich zu den Kosten immer noch ein Vielfaches an Geld für Investitionen übrig.

Wie viel kostet der Gang an die Börse?

Beispiel für Scale, Emissionsvolumen: 18 Millionen Euro

  • Rechtsberatung: 260.000€
  • Wirtschaftsprüfer: 362.000€
  • Emissionsberatung: 85.000€
  • Bank: 1.100.000€
  • PR-Agentur: 50.000€
  • Notar: 17.500€
  • Sonstiges: 20.000€
  • Summe: 1.894.500€

Quelle: Blättchen & Partner

Und dennoch: Ein Börsengang bleibt ein finanzielles Risiko. Kommt es während der Vorbereitungszeit zu einem Abbruch des Prozesses, da etwa das „Börsenklima“ für einen IPO ungünstig geworden ist, bleibt der Mittelständler auf den bereits angefallenen Kosten sitzen.

Gelingt der Börsengang, muss das Unternehmen jedes Jahr die laufenden Kosten für seine Notierung bezahlen. Dazu zählen neben den Listinggebühren der Börse auch die Kosten für einen sogenannten Designated Sponsor. Dieser sorgt dafür, dass immer Aktien im Umlauf sind, indem er zu bestimmten Kursen die Aktien kauft und verkauft. Gerade bei kleineren Unternehmen ist die Menge der gehandelten Aktien sonst oft gering. Kapitalmarktexperten sprechen dann von einer niedrigen Liquidität. Das schreckt potentielle Investoren ab, da nicht garantiert ist, dass sie zu jedem Zeitpunkt, an dem sie handeln wollen, es auch können. „Da Aktien bei Mittelständlern nicht so liquide sind, ist die Suche nach Investoren kein Selbstläufer“, sagt Daniel. Summa summarum können sich die laufenden Kosten für eine Börsennotierung auf einen fünf- bis sechsstelligen Betrag pro Jahr addieren.

Das richtige Börsensegment wählen

Kommt ein Mittelständler nach Abwägung aller Vorteile und Risiken zum Schluss, dass er den Gang aufs Parkett wagen will, muss er sich noch für ein Börsensegment entscheiden. Speziell für kleine und mittlere Unternehmen hat die Deutsche Börse das Segment Scale geschaffen. Hier sind die Auflagen weniger streng als bei anderen Segmenten wie dem Prime oder dem General Standard.

„Ein wesentlicher Vorteil von Scale und anderen KMU-Segmenten im Freiverkehr ist, dass der Unternehmer nicht nach IFRS bilanzieren muss“, sagt DAI-Experte Norbert Kuhn. Diese Umstellung sollten Unternehmen nicht unterschätzen. Zum einen braucht es dafür jemanden innerhalb des Betriebs, der sich mit IFRS auskennt, und zum anderen bietet das HGB die Möglichkeit, konservativer zu bilanzieren. So müssen nach den IFRS-Standards die Forschungs- und Entwicklungskosten in der Regel aktiviert werden, was den Aufwand auf dem Papier verringert und damit die Eigenkapitalbasis erhöht.

Bei Scale wird nach HGB bilanziert. Daher locken diese Segmente auch vor allem deutsche Anleger. Wer bei der Suche nach Geldgebern verstärkt ins Ausland blickt, sollte sich eher für eine Notierung im Prime Standard entscheiden. Zu beachten ist außerdem, dass die Emissionskosten bei Scale deutlich über denen beim Prime Standard liegen.

Nicht ohne Auflagen

Nicht jeder, der an die Börse will, kann es auch. Damit die Deutsche Bankenaufsicht einem Mittelständler eine Zulassung erteilt, muss er je nach Börsensegment unterschiedliche Kriterien erfüllen: Bei Scale muss der voraussichtliche Kurswert der Aktien mindestens 30 Millionen Euro betragen; mindestens 20 Prozent der Anteile oder eine Million Aktien müssen sich frei im Handel befinden; das Unternehmen muss seit mindestens zwei Jahren existieren; und die letzten beiden konsolidierten Jahresabschlüsse müssen vorliegen. Außerdem ist der Unternehmer verpflichtet, einen Halbjahresabschluss einzureichen, wenn die Antragsstellung später als zehn Monate nach dem letzten Bilanzstichtag erfolgt ist.

Daneben gibt es noch fünf weitere Kriterien, von denen ein Mittelständler mindestens drei erfüllen muss: ein Umsatz von mindestens 10 Millionen Euro, mindestens 20 Mitarbeiter, ein positiver Jahresüberschuss, positives bilanzielles Eigenkapital und eine kumulierte Eigenkapitalzuführung vor dem Börsengang von mindestens 5 Millionen Euro.

Abschied vom Börsenparkett

Auf diese Weise erhalten Unternehmen ihre Anteile zurück

Der Gang aufs Parkett ist keine Einbahnstraße. Unternehmen können sich von der Börse auch wieder zurückziehen – etwa im Zuge einer Insolvenz, wenn sich die Aktionärsstruktur vom Streubesitz in Richtung Mehrheitseigentum verändert hat oder wenn die Firma von einem anderen Unternehmen übernommen wurde. Wie ein solches Delisting von (am regulierten Markt notierten) Firmen ablaufen muss, ist gesetzlich genau geregelt. Paragraf 39 des Börsengesetzes schreibt unter anderem vor, dass den Aktionären ein Abfindungsangebot unterbreitet werden müsse, dessen Höhe sich nach dem durchschnittlichen Kurs der Aktie in den vergangenen Monaten richtet. Damit die Aktionäre nicht Gefahr laufen, durch ein Delisting „enteignet“ zu werden, wacht die Bafin über den Prozess. Bei Unternehmen, die im Freiverkehr gehandelt werden (zu dem etwa das neue Börsensegment Scale gehört), regelt sich das Delisting nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Eine Statistik, wie viele börsennotierte Mittelständler sich jährlich delisten lassen, gibt es nach Auskunft der Deutschen Börse nicht.

Trotz allen Aufwands und Risiko ist die Eigentümerfamilie des Fräsmaschinenherstellers Datron mit ihrer Entscheidung, an die Börse zu gehen, zufrieden. Obwohl die Aktie seit der Notierung nur leicht von 12,40 Euro auf etwa 13,50 Euro zugelegt hat, konnte der Mittelständler bisher 10 Millionen Euro von seinen Investoren einsammeln. Datron hat den IPO auch dazu genutzt, seine Arbeitgeberattraktivität zu steigern. Die Angestellten können selber Aktien von Datron zu einem günstigeren Kaufpreis erwerben. „Die Mitarbeiter identifizieren sich so mehr mit dem Unternehmen und bringen sich auch stärker ein“, sagt Daniel. Beschäftigte dürfen von ihrer Firma pro Jahr bis zu 360 Euro Vergünstigungen auf Aktien steuer- und abgabenfrei erhalten.

Regelmäßig lädt der Mittelständler außerdem seine Investoren zu Werksbesichtigungen nach Mühltal ein. „Unsere Aktionäre gewinnen durch einen Besuch einen ganz anderen, direkteren und persönlicheren Bezug zum Unternehmen. So entsteht eine langfristige und vertrauensvolle Bindung zu unseren Ankerinvestoren – und die halten uns auch in schlechten oder schwierigeren Zeiten die Treue.“


Dieser Text gehört zu einem Thema aus der Markt-und-Mittelstand-Ausgabe 07-08/2018. Hier können Sie das Heft bestellen und „Markt und Mittelstand“ abonnieren.

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