Eine Modekette wird zum Stehaufmännchen: Rettung für Sinn
Vier Insolvenzen sind kein Aus: Bei der Gläubigerversammlung von Sinn kam es zu einer Überraschung. Ein prominenter Interessent ging leer aus – und die bisherige Eigentümerin bleibt an Bord. Die ganze Geschichte lesen Sie hier.

Die traditionsreiche, 175 Jahre alte Modekette Sinn hat ihre vierte Insolvenz erfolgreich überstanden. In einer ungewöhnlichen Gläubigerversammlung am Amtsgericht Hagen setzten sich am Montag die Pläne der bisherigen Eigentümerin Isabella Göbel gegen ein Übernahmeangebot der JC Switzerland Holding durch – der Muttergesellschaft von Peek & Cloppenburg Düsseldorf. Beide Parteien hatten jeweils einen eigenen Insolvenzplan vorgelegt – ein seltener Fall im deutschen Insolvenzrecht.
„Ich danke den Gläubigern für ihr Vertrauen“, erklärte Göbel nach der Entscheidung. Ihr Sanierungsplan sieht vor, alle 34 verbliebenen Standorte sowie die rund 1.500 Arbeitsplätze zu erhalten. Auch der Firmensitz in Hagen soll bestehen bleiben.
Zwei Bieter mit ähnlichen Konzepten
Die Ausgangslage für die Gläubiger war ungewöhnlich komfortabel. Sowohl Göbel mit ihrer SLE Erwerbs- und Beteiligungs GmbH als auch die JC Switzerland Holding hatten nahezu identische Angebote vorgelegt. Beide Bieter wollten sämtliche Standorte und Arbeitsplätze sichern.
"Wir haben im Insolvenzverfahren eine komfortable Situation geschaffen", erläuterte Insolvenzverwalter Michael Mönig. Von beiden Interessenten sei eine "überdurchschnittliche Quote" auf die Forderungen der Gläubiger in Aussicht gestellt worden. Laut Branchenberichten lagen die angemeldeten, noch nicht endgültigen Forderungen bei etwa 42 Millionen Euro. Mönig hatte zuvor von einer möglichen Befriedigungsquote zwischen 29 und 50 Prozent gesprochen.
Bemerkenswert: Das Bundeskartellamt hatte der P&C-Muttergesellschaft bereits Ende Februar grünes Licht für eine Übernahme gegeben. Dies verdeutlicht den Zustand des deutschen Einzelhandels – selbst die großen Akteure sind längst keine Riesen mehr.
Ungewöhnlicher Entscheidungsprozess
Der Weg zur Entscheidung verlief alles andere als geradlinig. Eigentlich wollte das Unternehmen bereits im Dezember einen Insolvenzplan einreichen. Doch die Sinn-Führung konnte sich nicht zwischen den Angeboten von Göbel und der JC Switzerland Holding einigen. Das Verfahren wurde daraufhin von der Eigenverwaltung in ein herkömmliches Insolvenzverfahren umgewandelt.
Zunächst hatte die JC Switzerland ein Übernahmeangebot eingereicht. Die Gläubiger beauftragten daraufhin Mönig, einen Insolvenzplan zu erstellen. Dadurch erhielt Göbel die Möglichkeit, auf dieser Basis ihr eigenes Angebot zu formulieren. Branchenkreisen zufolge hatte sie in den Tagen vor der Abstimmung intensiv für ihren Plan geworben.
P&C-Geschäftsführer Thomas Freude zeigte sich trotz der Niederlage unbeirrt: "Von unserem Wachstumskurs lassen wir uns nicht abbringen. Dafür planen wir zukünftig neue Verkaufshäuser der Marken Peek & Cloppenburg und Anson's in Innenstadtlagen und attraktiven Einkaufszentren."
Faktenbox: Sinn im Überblick
Die Modekette Sinn blickt auf eine bewegte Geschichte zurück und hat mehrere Eigentümerwechsel und Insolvenzverfahren durchlaufen.
- Gründung: Das Unternehmen wurde vor 175 Jahren als Wanderhandel der Brüder Johannes und Friedrich Sinn gegründet.
- Umsatz: Zuletzt erwirtschaftete Sinn mit 34 Filialen einen Jahresumsatz von rund 240 Millionen Euro. In der Hochzeit der Kaufhäuser 1997 wurden in 46 Filialen noch etwa 1,7 Milliarden Mark umgesetzt.
- Eigentümerschaft: Isabella Göbel ist seit 2017 Alleininhaberin von Sinn. Sie war mit dem ehemaligen Sinn-Manager Friedrich-Wilhelm Göbel verheiratet, der nach der Trennung entlassen wurde und später die inzwischen insolvente Modekette Aachener gründete.
- Insolvenzverfahren: Die aktuelle Insolvenz ist bereits die vierte in der Unternehmensgeschichte. Vorherige Verfahren fanden 2008, 2016 und 2020 statt.
Die Geschichte der Modekette Sinn - von den Anfängen bis zur Gegenwart
Die 175-jährige Geschichte von Sinn spiegelt die Entwicklung des deutschen Einzelhandels wider. Was als Wanderhandel der Brüder Johannes und Friedrich Sinn begann, entwickelte sich zu einer bedeutenden Modekette. In den 1990er Jahren erlebte das Unternehmen seine Blütezeit: 1997 wurden in 46 Filialen rund 1,7 Milliarden Mark Umsatz erzielt.
Die Unternehmensgeschichte ist geprägt von wechselnden Eigentümern. Zeitweise gehörte Sinn zum Imperium der Schickedanz-Gruppe, zu der auch Quelle zählte. Durch die Fusion mit der Leffers AG entstand Sinn Leffers. Doch bereits 2005, vier Jahre vor der Arcandor-Insolvenz, trennte sich Karstadt/Quelle von der Tochtergesellschaft und verkaufte sie an die Deutsche Industrie Holding.
Es folgten weitere Eigentümerwechsel und Restrukturierungen. 2013 übernahm die Unternehmensgruppe Wöhrl die Modekette als Alleininhaberin. Die Insolvenzen von 2017 und 2020 führten dazu, dass nur noch der Name Sinn übrig blieb. Seit 2017 ist Isabella Göbel Alleininhaberin des Unternehmens.
Diese Entwicklung steht exemplarisch für die Konsolidierung im deutschen Einzelhandel. Traditionsunternehmen wie Sinn müssen sich gegen die wachsende Konkurrenz durch Online-Plattformen behaupten. Das Bundeskartellamt betonte bei der Prüfung der möglichen Übernahme durch P&C, dass Plattformen wie Zalando oder Otto inzwischen deutlich bedeutender im Wettbewerb seien als stationäre Modeketten.
Resilienz im Einzelhandel - Lehren aus dem Fall Sinn
Der Fall Sinn wirft grundlegende Fragen zur Widerstandsfähigkeit von Unternehmen auf. Wie kann ein Unternehmen vier Insolvenzen überstehen und dennoch fortbestehen? Diese bemerkenswerte Resilienz verdeutlicht, dass der wirtschaftliche Tod eines Unternehmens kein binäres Ereignis ist, sondern ein komplexer Prozess mit Wendepunkten.
Die wiederholten Rettungen von Sinn lassen sich aus zwei Perspektiven betrachten: Einerseits zeugen sie von der Anpassungsfähigkeit des Unternehmens und dem Wert seiner Marke und Standorte. Andererseits könnten sie auf strukturelle Probleme hindeuten, die durch die Insolvenzverfahren nicht nachhaltig gelöst wurden.
Besonders bemerkenswert ist die Entscheidung der Gläubiger für Kontinuität statt Veränderung. In einer Zeit, in der der stationäre Einzelhandel fundamental herausgefordert wird, haben sie sich gegen die Integration in einen größeren Konzern entschieden. Dies könnte als Vertrauensbeweis in die bestehenden Strukturen und die Führung durch Isabella Göbel interpretiert werden.
Der Fall illustriert auch die Spannung zwischen ökonomischer Rationalität und emotionaler Bindung. Traditionsunternehmen wie Sinn verkörpern mehr als nur wirtschaftliche Einheiten – sie sind Teil der lokalen Identität und Einkaufskultur.
Fazit
Die Rettung der Modekette Sinn durch die bisherige Eigentümerin Isabella Göbel markiert einen ungewöhnlichen Fall in der deutschen Insolvenzgeschichte. Während viele Traditionsunternehmen im Einzelhandel endgültig verschwinden, erhält Sinn eine weitere Chance – bereits nach der vierten Insolvenz. Die Entscheidung der Gläubiger für Göbels Konzept statt für die Übernahme durch P&C zeigt, dass sie in der Kontinuität die besseren Perspektiven sehen. Für das Unternehmen beginnt nun die eigentliche Arbeit: Es muss das Vertrauen der Gläubiger rechtfertigen und ein nachhaltiges Geschäftsmodell entwickeln. Der Fall Sinn verdeutlicht, dass selbst in einem zunehmend digitalisierten Marktumfeld traditionelle Modehäuser überleben können – wenn sie bereit sind, sich immer wieder neu zu erfinden.