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Fünf Dinge, die Investoren aus diesem Jahr lernen können

Börse und Anlageklassen haben sich in diesem Jahr widerstandsfähiger gezeigt, als Investoren es erwartet haben. Sogar eine als unumstößlich geltende Regel scheint sich diesmal nicht zu bewahrheiten.

Mit Blick auf das turbulente Marktjahr: Fünf Erkenntnisse, die Investoren nicht übersehen sollten. Bild: Shutterstock

Der Wirtschaftswissenschaftler Paul Samuelson hat einmal gesagt, dass die Börsen neun der letzten fünf Rezessionen vorausgesagt haben. Heute werden sie beschuldigt, wieder einmal den heulenden Wolf zu spielen. Im Jahr 2022 herrschte an den Börsen weltweit Pessimismus, als die Preise für Vermögenswerte einbrachen, die Verbraucher aufheulten und Rezessionen nahezu unvermeidlich schienen. Doch bisher ist Deutschland die einzige große Volkswirtschaft, die tatsächlich eine Rezession erlebt hat - und eine milde noch dazu.

In einer wachsenden Zahl von Ländern ist es nun einfacher, sich eine „sanfte Landung" der Volkswirtschaften vorzustellen, bei der es den Zentralbanken gelingt, die Inflation zu dämpfen, ohne das Wachstum zu bremsen. Dementsprechend haben sich die Märkte monatelang in Partylaune befunden. Die Sommerflaute bietet die Gelegenheit, das bisherige Jahr Revue passieren zu lassen, und hier sind einige der Erkenntnisse, die die Anleger gewonnen haben.

Erstens: Die Fed hat es ernst gemeint

Zu Jahresbeginn hatte die US-Zentralbank den vorangegangenen neun Monaten ihre Geldpolitik so schnell wie seit den 1980er Jahren nicht mehr gestrafft. Und doch waren die Anleger weiterhin nicht von der Weisheit der Zentralbank überzeugt. Zu Beginn des Jahres 2023 gingen die Marktpreise davon aus, dass die Zinssätze in der ersten Jahreshälfte einen Höchststand von unter 5 Prozent erreichen würden und die Fed dann mit Zinssenkungen beginnen würde. Die Vertreter der Zentralbank hingegen gingen davon aus, dass die Zinssätze bis zum Jahresende über 5 Prozent liegen würden und dass Zinssenkungen erst 2024 folgen würden.

Die Beamten setzten sich schließlich durch. Indem sie die Zinsen selbst während einer Mini-Bankenkrise weiter anhob, überzeugte die Fed die Anleger endlich davon, dass sie es mit der Eindämmung der Inflation ernst meinte. Der Markt glaubt nun, dass der Leitzins der Fed am Jahresende bei 5,4 Prozent liegen wird und damit nur geringfügig unter der mittleren Prognose der Zentralbanker selbst. Das ist ein großer Erfolg für eine Zentralbank, deren frühere, unbedachte Reaktion auf steigende Preise ihre Glaubwürdigkeit beschädigt hatte.

Zweitens: Die Kreditnehmer überstehen den Sturm

In den Jahren des billigen Geldes erschien die Aussicht auf drastisch höhere Kreditkosten manchmal wie Märchen-Ungeheuer: erschreckend, aber schwer zu glauben. Die Ankunft des Ungeheuers war dann eine doppelte Überraschung. Höhere Zinssätze haben sich als allzu real, aber nicht als so beängstigend erwiesen.

Seit Anfang 2022 ist der durchschnittliche Zinssatz auf einen Index der riskantesten „Ramsch"-Schulden amerikanischer Unternehmen von 4,4  auf 8,1 Prozent gestiegen. Nur wenige sind jedoch pleite gegangen. Die Ausfallquote für hochverzinsliche Schuldner ist in den letzten 12 Monaten zwar gestiegen, aber nur auf etwa 3 Prozent. Das ist viel niedriger als in früheren Krisenzeiten. Nach der globalen Finanzkrise von 2007-09 beispielsweise stieg die Ausfallquote auf über 14 Prozent.

Dies könnte bedeuten, dass das Schlimmste noch bevorsteht. Viele Unternehmen sind immer noch dabei, ihre während der Pandemie aufgebauten Liquiditätspuffer aufzubrauchen, und verlassen sich auf spottbillige Kredite, die vor dem Anstieg der Zinsen aufgenommen wurden. Dennoch gibt es Grund zur Hoffnung. Der Zinsdeckungsgrad von Ramschschuldnern, der die Gewinne mit den Zinskosten vergleicht, ist fast so hoch wie seit 20 Jahren nicht mehr. Steigende Zinssätze können das Leben der Kreditnehmer erschweren, aber sie haben es noch nicht gefährlich gemacht.

Drittens: Nicht jede Bankenpleite ist eine Finanzkrise

In den panischen Wochen nach dem Zusammenbruch der Silicon Valley Bank, einem mittelgroßen amerikanischen Kreditinstitut, am 10. März kamen einem die Ereignisse schrecklich bekannt vor. Auf den Zusammenbruch folgten Anstürme auf andere regionale Banken (auch die Signature Bank und die First Republic Bank brachen zusammen) und anscheinend auch eine globale Ansteckung. Die Credit Suisse, eine 167 Jahre alte Schweizer Investmentbank, wurde in eine Zwangsehe mit ihrem langjährigen Rivalen, der UBS, gezwungen. Zu einem bestimmten Zeitpunkt sah es so aus, als würde auch die Deutsche Bank ins Wanken geraten.

Glücklicherweise konnte eine ausgewachsene Finanzkrise abgewendet werden. Seit dem Zusammenbruch von First Republic am 1. Mai sind keine weiteren Banken mehr gefallen. Die Aktienmärkte haben den Schaden innerhalb weniger Wochen wieder gutgemacht. Die Befürchtungen einer langanhaltenden Kreditklemme haben sich nicht bewahrheitet.

Doch dieses glückliche Ergebnis war keineswegs umsonst. Amerikas Bankenzusammenbrüche wurden durch ein umfangreiches, improvisiertes Rettungspaket der Fed aufgefangen. Eine Folge davon ist, dass nun auch mittelgroße Kreditgeber als „too big to fail" gelten. Dies könnte diese Banken zu einer rücksichtslosen Risikobereitschaft ermutigen, in der Annahme, dass die Zentralbank sie im Falle eines Scheiterns wieder auffangen wird. Bei der erzwungenen Übernahme der Credit Suisse, über die die UBS-Aktionäre nicht abstimmen durften, wurde ein sorgfältig ausgearbeiteter „Abwicklungsplan" umgangen, in dem genau festgelegt ist, wie die Regulierungsbehörden mit einer scheiternden Bank umgehen sollen. In Friedenszeiten schwören Beamte auf solche Regeln, um sie dann in einer Krise zu verwerfen. Für eines der ältesten Probleme der Finanzwelt gibt es noch immer keine allgemein akzeptierte Lösung.
 

Viertens: Aktienanleger setzen wieder stark auf Big Tech

Das vergangene Jahr war für die Anleger in Amerikas Tech-Giganten eine demütigende Zeit. Zu Beginn des Jahres 2022 sahen diese Firmen unangreifbar aus: Nur fünf Unternehmen (Alphabet, Amazon, Apple, Microsoft und Tesla) machten fast ein Viertel des Wertes des S&P 500 Index aus. Doch steigende Zinssätze machten ihnen einen Strich durch die Rechnung. Im Laufe des Jahres verloren diese fünf Unternehmen 38 Prozent an Wert, während der übrige Index nur um 15 Prozent sank.

Jetzt sind die Giganten wieder da. Zusammen mit zwei weiteren Unternehmen, Meta und Nvidia, dominierten die „glorreichen Sieben" in der ersten Hälfte dieses Jahres die Renditen an den amerikanischen Aktienmärkten. Ihre Aktienkurse stiegen so stark an, dass sie im Juli mehr als 60 Prozent des Wertes des Nasdaq-100-Index ausmachten, was die Nasdaq dazu veranlasste, ihre Gewichtung zu reduzieren, um zu verhindern, dass der Index kopflastig wird. Dieser große Tech-Boom spiegelt die enorme Begeisterung der Anleger für die künstliche Intelligenz und ihre neuere Überzeugung wider, dass die größten Unternehmen am besten in der Lage sind, davon zu profitieren.

Fünftens: Eine umgekehrte Renditekurve ist nicht gleichbedeutend mit dem Untergang

Die Rallye an den Aktienmärkten hat dazu geführt, dass es nun die Anleiheinvestoren sind, die eine Rezession vorhersagen, die noch nicht eingetreten ist. Die Renditen von Anleihen mit langen Laufzeiten liegen in der Regel über denen von Anleihen mit kurzen Laufzeiten, um die Kreditgeber mit längeren Laufzeiten für ihre größeren Risiken zu entschädigen. Doch seit Oktober letzten Jahres ist die Renditekurve „umgekehrt": Die kurzfristigen Zinsen liegen über den langfristigen. Dies ist für die Finanzmärkte das sicherste Signal für eine bevorstehende Rezession. Die Überlegung ist in etwa die folgende. Wenn die kurzfristigen Zinsen hoch sind, liegt das vermutlich daran, dass die Fed ihre Geldpolitik gestrafft hat, um die Wirtschaft zu bremsen und die Inflation einzudämmen. Sind die langfristigen Zinssätze niedrig, deutet dies darauf hin, dass die US-Notenbank schließlich erfolgreich sein wird und eine Rezession auslöst, die eine Zinssenkung in ferner Zukunft erforderlich machen wird.

Diese Umkehrung - gemessen an der Differenz zwischen den Renditen zehnjähriger und dreimonatiger Staatsanleihen - ist in den letzten 50 Jahren nur acht Mal vorgekommen. Jedes Mal folgte eine Rezession. Als die letzte Umkehrung im Oktober begann, erreichte der S&P 500 einen neuen Jahrestiefstand.

Seitdem scheinen jedoch sowohl die Wirtschaft als auch der Aktienmarkt der Schwerkraft zu trotzen. Das ist kein Grund, sich zu entspannen: Es könnte noch etwas passieren, bevor die Inflation so weit gesunken ist, dass die Fed mit Zinssenkungen beginnen kann. Aber es besteht auch eine wachsende Wahrscheinlichkeit, dass ein scheinbar narrensicherer Indikator versagt hat. In einem Jahr voller Überraschungen wäre das die beste Nachricht von allen.

© 2023 The Economist Newspaper Limited. All rights reserved.

Aus The Economist, übersetzt von der Markt & Mittelstand Redaktion, veröffentlicht unter Lizenz. Der Originalartikel in englischer Sprache ist zu finden unter www.economist.com

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