Schluss mit Greenwashing: EU und BGH setzen strengere Regeln für Klimaneutral-Werbung
Die EU will schärfer kontrollieren. So müssen Aussagen unabhängig überprüft werden. Der Bundesgerichtshof hat einigen Regeln vorgegriffen.
Überall in Supermärkten stehen sie, die Produkte, die „Gutes über den Tellerrand hinaus“ bieten, bei deren Kauf ein Quadratmeter Regenwald aufgeforstet wird oder die versprechen, das „offizielle Getränk einer besseren Welt“ zu sein sowie „klima-positiv“ oder „klimaneutral“.
Der Lieferdienst stellt seine Ware ausschließlich mit dem E-Rad zu. Das Tagungshotel bezieht seinen Strom aus der Solaranlage vom Dach, heizt und kühlt mit der solarbetriebenen Wärmepumpe.
Unternehmen, die so etwas zu bieten haben, werben gern damit. Klima und Nachhaltigkeit sind eben auch vielen Konsumenten wichtig geworden, da lässt sich etwas mehr verkaufen oder vermieten. Auch Geschäftspartner wissen ökologische und soziale Vorteile zu schätzen – und werben womöglich selbst gern dafür.
BGH prescht vor: Strengere Regeln gegen Greenwashing schon jetzt in Kraft
Sie sollten ab sofort aufpassen. Denn der Bundesgerichtshof (BGH) hat gerade in einem Urteil manches vorweggenommen, was die EU erst in ein paar Jahren im Kampf gegen Greenwashing, also allzu watteweiche Nachhaltigkeits- und Umweltversprechen vorschreiben will.
Da ist die Green-Claims-Richtlinie mit neuen Regeln für Aussagen zur Klimaneutralität, die noch nicht in Arbeit ist, und die Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den Grünen Wandel (Directive on Empowering Consumers for the Green Transition, ECGT), die von 27. September 2026 an pauschale Aussagen wie „klimaneutral“ für Produkte verbietet.
BGH-Urteil: Werbekampagne von Katjes zur „Klimaneutralität“ irreführend
Ende Juni legte der BGH im Fall des Süßwarenherstellers Katjes fest, dass Unternehmen mit dem Begriff „klimaneutral“ künftig nur werben dürfen, wenn sie auch direkt in der Werbung erklären, was damit konkret gemeint ist (Az: I ZR 98/23).
Katjes hatte in einem Fachmedium der Lebensmittelbranche mit einem Logo samt Schriftzug „klimaneutral“ und der Aussage „Seit 2021 produziert Katjes alle Produkte klimaneutral“ geworben. Der Verein Wettbewerbszentrale hatte dagegen geklagt und gewonnen.
Der BGH stufte die Werbung als irreführend ein. Verbraucher könnten ohne Erläuterungen annehmen, das Unternehmen vermeide sämtliche Treibhausgasemissionen, begründete Wettbewerbszentrale-Hauptgeschäftsführer Reiner Münker die Klage.
Missverständnisse in der Werbung: Verbraucher halten unbedeutende Umweltclaims für besonders klimafreundlich
Verbraucher verstehen die Aussagen zu Umwelt und Klimaneutralität in der Werbung oft nicht, wie eine Studie der Forschungsagentur Zühlsdorf + Partner zusammen mit der Universität Göttingen im Auftrag des Verbraucherportals Lebensmittelklarheit zeigt.
Die Forscher befragten 2109 Verbraucher zu 16 häufigen Umweltclaims im Lebensmittelmarketing. So schätzten 56 Prozent der Befragten einen Schokoriegel mit der Kennzeichnung „plastikfrei“ als besonders umweltfreundlich ein – 30 Prozent mehr als bei der Werbung ohne den Hinweis. Tatsächlich jedoch war der Inhalt des Schokoriegels der Gleiche.
War ein Produkt mit „regional“ gekennzeichnet, war der Effekt noch größer: 72 Prozent der Teilnehmenden hielten regionale Produkte fälschlich immer oder meistens für klimafreundlicher.
„Dass solche einzelnen Aspekte für die Gesamt-Ökobilanz des Lebensmittels oft wenig relevant sind, ist vielen Verbraucher/-innen nicht bewusst“, teilt das zum Dachverband der Verbraucherzentralen gehörende Portal mit. Die Studie bedeutet aus Sicht der Unternehmen allerdings auch, dass die Werbebehauptungen den gewünschten Effekt haben – klimafreundlicher dazustehen und womöglich mehr zu verkaufen.
Verwirrende Nachhaltigkeitswerbung: Verbraucher unterschätzen CO2-Belastung trotz "klimaneutral"-Claims
Auch beim Begriff „klimaneutral“ ließen die befragten Verbraucher sich verwirren, beispielsweise bei der Frage, ob ein Rindersteak, ein Schweineschnitzel oder ein veganer Burgerpatty am klimafreundlichsten sei. Ohne Nachhaltigkeitswerbung nannten 70 Prozent der Befragten korrekt das vegane Patty als klimafreundlichstes Produkt. Wurden die Lebensmittel hingegen mit klimabezogenen Claims beworben, erkannten nur 57 Prozent noch das klimafreundlichste Produkt. Dagegen waren 28 Prozent der Meinung, das Rindersteak sei klimafreundlicher.
Noch ein weiterer in der Studie festgestellter Punkt stützt die Entscheidung der BGH-Richter. So war nur zehn Prozent der Befragten bekannt, dass es keine echte Klimaneutralität gibt, sondern bei der Produktion immer Treibhausgase entstehen. Die Mehrheit ging fälschlicherweise davon aus, dass „klimaneutral“ gleichbedeutend mit „weniger Treibhausgasausstoß“ ist. Tatsächlich jedoch wird „Klimaneutralität“ bei Produkten zumindest teilweise dadurch erzielt, dass der CO2-Ausstoß durch andere Projekte ausgeglichen wird. Und das war für die obersten Richter auch ein wichtiger Punkt im Fall Katjes.
Der Begriff „klimaneutral“ könne „von den Lesern der Fachzeitung – nicht anders als von Verbrauchern – sowohl im Sinne einer Reduktion von CO2 im Produktionsprozess als auch im Sinne einer bloßen Kompensation von CO2 verstanden werden“, erklärte der BGH. Doch der Herstellungsprozess der Produkte laufe nicht CO2-neutral ab, stellten die Richter klar. Stattdessen unterstütze Katjes über ein Umweltberatungsunternehmen Klimaschutzprojekte und weise in der Werbung auf diese Kooperation hin. Das jedoch reicht den obersten Richtern nicht. Sie stuften die Werbung als mehrdeutig und damit irreführend gemäß Paragraf 5 Abs. 1 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ein. Der BGH ist die letzte Instanz in dem Fall, in den Vorinstanzen hatte Katjes noch gewonnen.
Ein Internetlink reicht nicht
Gerade für Werbebegriffe zum Thema Umwelt gelten besonders hohe Maßstäbe, sagte der Vorsitzende Richter des Senats, Thomas Koch, bei der Urteilsbegründung.
„Bei einer Werbung, die einen mehrdeutigen, umweltbezogenen Begriff wie ‚klimaneutral‘ verwendet, muss deshalb zur Vermeidung einer Irreführung regelmäßig schon in der Werbung selbst erläutert werden, welche konkrete Bedeutung maßgeblich ist“, sagte Koch. Ein Internetlink in der Werbung, der zu weiteren Informationen führt, reicht nicht.
Damit bestätigt das Gericht seine Rechtsprechung von 1988. „Nach bisheriger BGH-Rechtsprechung wird Umweltwerbung – und auch gesundheitsbezogene Werbung – besonders streng beurteilt“, erläutert Constantin Eikel, Partner in der Sozietät Bird & Bird in Düsseldorf und Experte für Marken- und Wettbewerbsrecht. Neu sei, dass der BGH Regeln konkret zum Begriff „klimaneutral“ aufstelle.
Das Urteil verpflichtet Unternehmen nun, mehrdeutige Begriffe unmittelbar zu erläutern, „also noch direkt in der Werbung oder auf der Packung“, sagt Eikel.
„Nach dem BGH-Urteil können Unternehmen nun auf der Produktverpackung oder auch in der Werbung sagen ,klimaneutral durch Kompensation‘. Verbunden mit einem erläuternden Satz und QR-Code oder einem Link, der zu einer Seite mit detaillierten Erklärungen führt“, rät der Marken- und Wettbewerbsrechtsanwalt.
Der BGH hat außerdem klargemacht, dass Klimaneutralität durch weniger CO2-Ausstoß in der Produktion einer Klimaneutralität durch Ausgleich vorzuziehen ist. „Wer ‚klimaneutral‘ sagt, muss also nun im gleichen Atemzug sagen, welche Form der Klimaneutralität es ist“, erklärt Eikel. Für Unternehmen ist das misslich. „Wahrscheinlich werden so viele Informationen zur Verfügung gestellt werden müssen, dass Werbung mit Klimaneutralität über Kompensationen jetzt unattraktiv und zu risikoreich wird“, erwartet Eikel.
Diese neuen Vorgaben des BGH gelten ab sofort. „Jeder Unternehmer, der mit Klimaneutralität wirbt, sollte seine Werbung umgehend anpassen und kritisch überprüfen“, sagt Eikel. „Es gibt keine Übergangsfrist.“
Ob sich nun viele Unternehmen die Mühe machen werden, die Werbung anzupassen, ist er sich nicht sicher. Denn: „In zwei Jahren werden sie für nicht waschecht klimaneutrale Produkte gar nicht mehr mit ,klimaneutral‘ werben dürfen“, sagt Eikel. Möglicherweise verschwindet die vermeintliche Klimawerbung deshalb jetzt schon.
Der BGH läutet somit ein, was die EU-Richtlinie ECGT von 2026 an sowieso festlegt. Die Richtlinie verbietet allgemeine Umweltaussagen wie „umweltfreundlich“, „natürlich“, „biologisch abbaubar“, „klimaneutral“, „ökologisch“, sofern sie nicht nachgewiesen sind. Und sie schreibt vor, dass positive Aussagen über die Umweltfolgen eines Produkts nicht mehr mit dem Ausgleich der Emissionen begründet werden dürfen. „Was also mit dem BGH-Urteil heute noch mit einigem Zusatzaufwand in der Werbung und mit Link auf eine Informationsseite ginge, das geht spätestens dann nicht mehr“, sagt Eikel. „,Klimaneutral‘-Werbung wird verschwinden.“
Neue Regeln für Firmen
Zur Unterscheidung: Für Waren und Dienstleistungen im B2C-Bereich bleibt „klimaneutral“ als Aussage komplett verboten, sofern die Klimaneutralität auch auf Zertifikaten beruht. Nur wenn tatsächlich klimaneutral hergestellt wird, darf damit weiter geworben werden, das regelt die ECGT.
Für Unternehmen, die mit „klimaneutral“ werben wollen, gilt die Green-Claims-Richtlinie. Solche Werbung bleibt auch möglich, wenn der CO2-Ausgleich über Zertifikate läuft. Jede nachhaltigkeitsbezogene Werbeaussage, also alle Claims, sollen mit wissenschaftlichen Gutachten belegt und zertifiziert werden, wie Eikel erklärt. „Werben dürfen Unternehmen nach der Green-Claims-Direktive nur noch mit ausführlicher wissenschaftlicher Begründung.“ Das können eine ISO-Zertifizierung in einem für den werblichen Inhalt relevanten Bereich oder Lebenszyklusanalysen wie der Product Environmental Footprint (PEF) sein, den die EU entwickelt hat.
Beide Richtlinien gegen Greenwashing gehen weit darüber hinaus, was es an Sanktionsmöglichkeiten für irreführende Werbung hierzulande bereits gibt. „Unternehmen können derzeit nur nachträglich Ärger bekommen“, sagt Eikel. „Dagegen sollen Unternehmen mit der Green Claims Directive künftig ihre irgendwie auf Umweltaspekte, Nachhaltigkeit, Klimaschutz oder sonstige grüne Themen abzielenden werblichen Informationen vorab einer Art TÜV-Prüfung unterziehen.“
Der TÜV wird vermutlich auch hierzulande eine der Kontrollinstanzen werden. „Die Vorabprüfung ist das strikteste Element der Green-Claims-Richtlinie“, sagt Eikel. „Die meisten Umweltwerbeaussagen dürfen erst kommuniziert werden, wenn sie von Prüfenden freigegeben wurden, was aufwendig, teuer, sehr zeitaufwändig und auch bevormundend ist.“
Der EU-Rat hat die Richtlinie abgeschwächt. „Basierend auf der Pressemitteilung und der Entwurfsversion der Position des Rats, die Ende Mai an die Öffentlichkeit gelangte, werden mehrere Ausnahmen von der Vorabprüfungspflicht gelten“, berichtet Eikel. Sind etwa bestimmte Umweltmerkmale für Produkte vorgeschrieben und Unternehmen übererfüllen diese Merkmale, dürfen sie dafür ohne weitere Prüfung werben. „Für Produkte mit einem Nachhaltigkeitssiegel dürfen Aspekte des Nachhaltigkeitssiegels ohne Prüfung auch in Textform beworben werden und nicht nur im Siegel“, sagt Eikel. Auch Umweltwerbung für bestimmte Agrarprodukte sollen ausgenommen werden.
Nicht vorab prüfungspflichtig sollen auch Werbeaussagen sein, die der EU-Rat in einer Liste aufführt. „Zum Beispiel über Energie-Effizienz, die Wiedernutzbarkeit eines Produkts, verringerten Wasserverbrauch, verringerte Ressourcennutzung“, zählt Eikel auf. An der Liste könnten Unternehmen sich orientieren. „Aber es wird weiterhin Dokumentation geben, die ausgefüllt werden muss“, sagt Eikel. „Die Vorabprüfung bleibt ein viel zu strenges Mittel.“
Der Wettbewerbsrechtler fürchtet, dass es bei dem Versuch der EU, Greenwashing zu verhindern, zu Greenhushing kommen könnte. Also dazu, dass Unternehmen aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen oder negativen Reaktionen ihre Umweltanstrengungen verschweigen. Für Eikel sollten Unternehmen, die wirklich nachhaltige Maßnahmen ergreifen, diese auch weiterhin kommunizieren können.
Schlimmstenfalls falle mit der Möglichkeit, Gutes zu tun und recht einfach darüber zu reden zu können, auch der Anreiz weg, Gutes zu tun. „Ich hoffe, dass die EU weiterhin daran arbeitet, den Rahmen klarer und praktikabler zu gestalten, um sowohl Greenwashing als auch Greenhushing zu verhindern“, sagt Eikel.
„Nachhaltiges Marketing wird schwieriger, aber nicht unmöglich. Konkrete und verständliche Aussagen werden der Schlüssel sein.“