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Recht und Steuern > KI und Urheberrecht

Harry Potter, Shrek & Co.: Wie KI-Modelle Urheberrechte brechen – und die Tech-Welt vor Gericht landet

KI-Modelle kopieren ganze Buchpassagen & Bildmotive. Verlage und Studios klagen: Droht ein juristisches Aus für ChatGPT, Midjourney & Co.?

Illustration Gerechtigkeit und KI
(Foto: Ki-generiert by chatgpt)

Von Hollywood bis Hogwarts: Die juristische Großwetterlage rund um generative KI wird zunehmend stürmisch. Während Unternehmen wie OpenAI, Meta oder Midjourney auf die nächste Innovationsstufe zusteuern, formieren sich Medienkonzerne, Verlage und Autorenverbände zur Gegenwehr – mit Argumenten, Klageschriften und dem Hinweis auf eine bedrohte kreative Ökonomie.

Eine Branche auf der Anklagebank

In den USA läuft derzeit eine beispiellose Welle von Urheberrechtsklagen gegen große KI-Unternehmen. Der Vorwurf: Die Modelle wurden mit urheberrechtlich geschützten Inhalten trainiert – ohne Erlaubnis der Rechteinhaber.

Die prominenteste Klage stammt von der New York Times, die OpenAI und Microsoft vorwirft, KI-Anwendungen wie ChatGPT mit Originalartikeln gefüttert zu haben. Auch Künstler, Fotografen und Schriftsteller – vertreten unter anderem durch die Authors Guild – werfen den Tech-Firmen eine nicht autorisierte Verwertung ihres geistigen Eigentums vor.

Midjourneys Bildgenerator generiert bekannte Figuren wie Shrek, Darth Vader oder Buzz Lightyear. Disney und Universal klagen nun als Rechteinhaber gemeinsam gegen den Anbieter des Bildgenerators. Eingereicht wurde die Klage vor einem US-Bezirksgericht in Kalifornien. Tatsächlich lassen sich mit Midjourney und ähnlichen Tools Darstellungen generieren, die frappierende Ähnlichkeit mit urheberrechtlich geschützten Charakteren wie Darth Vader oder Elsa aufweisen. 

KI erinnert sich besser als gedacht

Besonders heikel wird es, wenn KI-Modelle Inhalte nicht nur "verstehen", sondern nahezu wörtlich reproduzieren. Eine aktuelle Studie von Forschern der Universitäten Stanford, Cornell und West Virginia untersuchte genau dieses Phänomen – bekannt als memorization. Ihr Fokus: das Sprachmodell LLaMA 3.1 70B von Meta.

Das Resultat überraschte selbst die Fachwelt. Das Modell war in der Lage, signifikante Textauszüge aus populären Büchern wie Harry Potter und der Stein der Weisen wiederzugeben – mit erstaunlicher Genauigkeit. In über 50 % der Testfälle konnte ein 50-Token-langer Ausschnitt korrekt rekonstruiert werden. Zwar bedeutet das nicht, dass das gesamte Buch im Modell gespeichert wäre – wohl aber, dass häufige, markante Textabschnitte systematisch erinnert werden.

Diese technische Erkenntnis untergräbt das bislang gängige Argument vieler KI-Entwickler, ihre Modelle würden lediglich "Muster erkennen" – nicht aber Inhalte kopieren. Die Grenze zwischen Analyse und Vervielfältigung verschwimmt.

Fair Use oder fairer Vorwand?

Das zentrale juristische Schlachtfeld in den USA ist die sogenannte Fair Use-Doktrin – eine Ausnahmeregelung im US-Copyright-Recht, die unter bestimmten Umständen die Nutzung geschützter Werke ohne Zustimmung erlaubt. KI-Firmen führen an, dass ihre Modelle „transformativ“ seien: Sie würden nicht die Originalwerke ersetzen, sondern neue, eigenständige Leistungen ermöglichen.

Doch in den Gerichtssälen mehren sich kritische Stimmen. So äußerte Bundesbezirksrichter Vince Chhabria – zuständig für ein Verfahren gegen Meta – offene Zweifel, ob dieses Argument tragfähig sei. In einer Anhörung sagte er sinngemäß: "Wie kann etwas als Fair Use gelten, wenn es ein Produkt hervorbringt, das potenziell eine unendliche Anzahl konkurrierender Inhalte erzeugt?"

Auch juristische Experten wie James Grimmelmann (Cornell Law School) verweisen darauf, dass Fair Use in erster Linie den Markt für das Originalwerk nicht beeinträchtigen darf – was bei KI-Modellen, die in der Lage sind, ganze Passagen zu reproduzieren, fraglich ist.

Zwischen Regulierung und geopolitischem Kalkül

Hinter den Kulissen ist längst ein geopolitisches Ringen entbrannt. Unternehmen wie OpenAI argumentieren gegenüber der US-Regierung, dass das Verbot des Trainings auf urheberrechtlich geschützten Daten einen technologischen Rückstand im globalen Wettbewerb – insbesondere gegenüber China – bedeuten würde. In Strategiepapieren ist daher von einer "Freiheit zum Lernen" die Rede, die angeblich im nationalen Interesse liege.

Kritiker halten dagegen: Es könne nicht sein, dass wirtschaftlicher Fortschritt auf Kosten der Rechte von Künstlern, Autoren und Verlagen geschehe. Innovation, so der Tenor, dürfe kein Freifahrtschein für Enteignung sein.

 

Rechtliche Grauzonen, wirtschaftliche Realitäten

Die Kernfragen, mit denen sich die Gerichte konfrontiert sehen, sind juristisch komplex und technologisch neuartig:

  • Ist das KI-Training mit urheberrechtlich geschützten Werken überhaupt zulässig?

  • Gilt ein KI-Modell, das solche Inhalte intern reproduzieren kann, als „abgeleitetes Werk“ im Sinne des Urheberrechts?

  • Und: Wird bereits die Nutzung eines solchen Modells rechtswidrig, wenn dabei geschützte Passagen ausgegeben werden?

Eine pauschale Antwort darauf gibt es nicht – und möglicherweise wird erst der Oberste Gerichtshof der USA hier für Klarheit sorgen.

Was jetzt auf dem Spiel steht

Die Verfahren gegen KI-Unternehmen markieren nicht weniger als einen Wendepunkt in der Regulierung digitaler Innovationen. Sollte ein Gericht feststellen, dass das KI-Training auf urheberrechtlich geschützten Inhalten nicht unter Fair Use fällt, wären praktisch alle großen Sprach- und Bildmodelle potenziell angreifbar – von GPT-4 bis DALL·E.

Die Branche steht damit an einer Weggabelung. Entweder gelingt es, ein neues Gleichgewicht zwischen Innovation und Urheberrecht zu definieren – oder es droht eine jahrelange juristische Unsicherheit mit erheblichen wirtschaftlichen Konsequenzen.

 

Ausblick: Die Suche nach einem neuen Gesellschaftsvertrag

Die rechtlichen Auseinandersetzungen der kommenden Jahre werden mehr entscheiden als einzelne Geschäftsmodelle. Sie zwingen uns als Gesellschaft, das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine, zwischen geistiger Arbeit und algorithmischer Verwertung neu zu verhandeln. Es braucht Gesetze, die sowohl die Kreativen schützen als auch technologische Entwicklung ermöglichen – ohne dass das eine automatisch das andere gefährdet.

Solche Gesetze zu entwerfen, ist die Herausforderung der nächsten Dekade.

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