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Recht und Steuern > Urteil der Woche

Massive sexuelle Belästigung rechtfertigt fristlose Kündigung ohne Abmahnung

Das Landesarbeitsgericht Köln hat den Schutz von Frauen vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz gestärkt: Wer wiederholt mit Aussagen wie „die hat einen Knackarsch“ auffällt, kann ohne Abmahnung fristlos gekündigt werden.

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz muss nicht immer Körperkontakt sein: Wer wiederholt mit unpassenden Aussagen auffällt riskiert eine fristlose Kündigung. Bildquelle: Shutterstock

Der Fall

Ein Abteilungsleiter um die 50 wehrte sich gegen seine fristlose Kündigung. Ausgelöst durch eine Mitarbeiterbefragung waren Vorwürfe wegen sexueller Belästigung gegen ihn laut geworden. Mehrere Frauen gaben zu Protokoll, zwischen 2016 und 2020 unangemessene Handlungen des Abteilungsleiters erlebt oder davon erfahren zu haben. So habe der Mann etwa einer Mitarbeiterin Papierschnipsel in den Ausschnitt geworfen, einer schwangeren Mitarbeiterin in den Bauch gepiekst und gefragt: „Sind Sie schwanger oder haben Sie zu viel gegessen?“ und konkret sexistische Sprüche gemacht wie: „Die ist echt auseinandergegangen, die hat doch einen Braten in der Röhre“, „Frau K hat einen Knackarsch“ oder „Ihnen würde ich gerne mal auf den Hintern klatschen“. 

Der Arbeitgeber stellte den Mann von der Arbeit frei und kündigte ihm nach Beteiligung des Personalrats außerordentlich fristlos. Eine vorherige Abmahnung hatte der Arbeitgeber nicht ausgesprochen – der Mann habe gewusst, was er tue und dass ein solches Verhalten von dem Arbeitgeber nicht geduldet werden könne.

Mit den Vorwürfen konfrontiert, stritt der Abteilungsleiter alles ab und zog vor das Arbeitsgericht. Die Vorwürfe gegen ihn seien zeitlich völlig unbestimmt. Die Befragung der Frauen sei tendenziös gewesen. In der Vergangenheit hätte es keine Beschwerden gegen ihn gegeben und eine Reihe von Personen könne sein professionelles Verhalten bezeugen. Auch die Meinungsfreiheit führte er ins Feld und argumentierte schließlich, dass – wenn denn eine Sanktion doch für angemessen gehalten werde – mildere Mittel, wie eine Abmahnung, Homeoffice, Versetzung oder Beurlaubung, in Betracht gezogen werden sollten. Sexuellen Machtmissbrauch wollte der Mann jedenfalls nicht erkennen, obwohl er seinen Belästigungen teilweise ein „jetzt aber kein me too draus machen“ nachgeschoben hat.

Das Arbeitsgericht Siegburg gab der Kündigungsschutzklage tatsächlich statt. Die Kündigung sei unwirksam, weil der Personalrat nicht ordnungsgemäß angehört worden sei. Auch fehle es an der Benennung eines konkreten Kündigungsgrundes. Es sei nicht deutlich, was die Beklagte mit der „bereits vorliegenden schriftlichen Zusammenfassung“ meine; diese sei dem Gericht nicht vorgelegt worden – und selbst wenn, wäre sie wohl prozessual nicht verwertbar gewesen.


Das Urteil

Ganz anders das Landesarbeitsgericht Köln in der Berufungsinstanz: Die Kölner Richter nahmen sich 15 Stunden Zeit für die Beweisaufnahme, vernahmen zehn Frauen, sahen sich die Protokolle der Befragungen der Frauen sehr genau an und was sie hörten und lasen, reichte ihnen aus für nicht nur einen „wichtigen Grund“, der Voraussetzung für die fristlose Kündigung ist. Sondern gleich für drei Facetten, die jede bereits für sich allein einen wichtigen Grund darstellen können und – so das Gericht – erst recht in Kombination miteinander. Körperliche Übergriffigkeiten, verbale Übergriffe und eine über Jahre hinweg aufgebaute und aufrecht erhaltene Grundsituation sexualisierter hierarchischer Einflussnahme rechtfertigten die fristlose Kündigung wegen sexueller Belästigung, ohne dass zuvor eine Abmahnung ausgesprochen wurde.

In der viele Seiten langen Urteilsbegründung zeichnet das Gericht die Aussagen der Frauen detailliert nach. Rund 25 teilweise immer wiederkehrende sexistische Bemerkungen und Verhaltensweisen wurden aktenkundig. Authentisch und inhaltlich richtig, hinreichend konkret und einer Beweisaufnahme zugänglich, keine Hinweise auf Verschwörung oder Racheakte, so das Fazit der Richter. „Wenn ein belästigender Vorgesetzter seine Bemerkungen mit den Worten ´jetzt aber kein me too draus machen´ abschließt, dann zeigt er damit, dass er weiß, was er tut und dass er weiß, dass er mit seinem Tun den Bestand seines Arbeitsverhältnisses gefährdet“, schrieb das Gericht. 

Das sagt die Expertin

„Wenn die sexuelle Belästigung so schwer wiegt, dass es von vornherein ausgeschlossen ist, dass der Arbeitgeber sie hinnimmt, ist keine Abmahnung erforderlich. In diesem Fall kann gleich fristlos gekündigt werden“, bestätigt die Düsseldorfer Arbeitsrechtlerin Lisa-Marie Niklas von der Kanzlei ARQIS. „Dies gilt auch dann, wenn eine Verhaltensänderung auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten ist“, so Niklas weiter. Von einer solch fehlenden Verhaltensänderung in der Zukunft kann nach Aussage der Arbeitsrechtlerin etwa immer dann ausgegangen werden, „wenn trotz eines Hinweises auf das Fehlverhalten in der Vergangenheit keine Verhaltensänderung eintritt, sich die betroffene Person uneinsichtig zeigt, mit ihrem Verhalten prahlt oder dieses zu rechtfertigen versucht.“

Als einen richtigen und wichtigen Schritt zum Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz und zwar für Beschäftigte jeden Geschlechts bezeichnet Lisa-Marie Niklas die Entscheidung. „Leider werden verbale sexuelle Übergriffe, wie die in dem konkreten Fall, noch viel zu häufig hingenommen oder sogar als „lustig gemeint“ abgetan und die Folgen für die Betroffenen nicht ausreichend beachtet“, sagt Lisa-Marie Niklas. „Es wäre sehr zu begrüßen, wenn aufgrund der Entscheidung des LAG Köln weitere Arbeitgeber entschieden gegen jegliche Art der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz vorgehen.“ Auch die Arbeitsgerichte müssten dann entsprechend entscheiden, wie die Anwältin betont. „Es macht mich sehr nachdenklich, dass das Arbeitsgericht Siegburg noch im Jahr 2021 die Kündigung für unwirksamen gehalten hat.“

Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 03.03.2023, Az: 6 Sa 385/21

Arbeitsgericht Siegburg, Urteil vom 20.05.2021, Az: 5 Ca 2273/20

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