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Finanzierung > Tarifvertrag Metallindustrie

Tarifwende 2.0: Flexibilität als Krisen-Booster in der Metallbranche

Die Tarifparteien der Metall- und Elektroindustrie in Baden-Württemberg haben einen Abschluss erzielt, der bundesweit Signalwirkung haben wird.

„Dieser Vertrag macht nochmal deutlich wie innovativ Tarifpolitik sein kann. Er leistet einen Beitrag zur konjunkturellen Beschäftigungssicherung", betont Alessandro Lieb der als Erster Bevollmächtigter der IG Metall Esslingen als einer der Väter dieser besonderen Einigung für die Metaller gilt. (Foto: shutterstock)

Innovativer Tarifvertrag schafft Flexibilität in der Krise

von Andreas Kempf

 

Der Tarifabschluss der Metaller in Baden-Württemberg schafft die Grundlage, damit sich Unternehmen kurzfristig und rechtssicher Arbeitnehmer untereinander für eine gewisse Zeit ausleihen können. Das entlastet einerseits Betriebe, die in der Krise nicht ausgelastet sind, oder sich mitten in der Transformation zu einem neuen Geschäftsmodell befinden. Gleichzeitig können Unternehmen aus der Nachbarschaft während Produktionsspitzen auf Fachkräfte zugreifen, die sie so auf dem Arbeitsmarkt nicht bekämen. Die neue Regelung tritt bereits am 1. März in Kraft.

An den Details haben die Tarifparteien im Südwesten parallel zur vergangenen Lohnrunde gefeilt. „Wir geben den Unternehmen damit ein Instrument an die Hand, mit dem sie flexibel auf unterschiedliche Auslastungssituationen reagieren können", erklärt Joachim Schulz, Vorsitzender des Arbeitgeberverbands Südwestmetall. Teilnehmen können alle Unternehmen der Branche, die gemeinsam mit dem Betriebsrat den Beitritt zu dieser Regelung erklären. „Ohne Unterstützung des Betriebsrats wird ein solches Modell ohnehin nicht funktionieren", so Schulz.

Vorteile für Arbeitgeber und Arbeitnehmer

„Damit schaffen wir ein weiteres tarifvertragliches Instrument zur Sicherung von Beschäftigung. Die können sich für eine begrenzte Zeit auf eine neue Aufgabe einlassen und dabei ihre arbeitsrechtlichen Sicherheiten bewahren.", erklärt Barbara Resch, Bezirksleiterin der IG Metall Baden-Württemberg.

In der Praxis gilt das Prinzip der doppelten Freiwilligkeit – weder Beschäftigte noch Unternehmen können zu einem Personaleinsatz in einem anderen Betrieb gezwungen werden. Zudem regelt die Vereinbarung, dass in einem anderen Unternehmen das gleiche Entgelt wie am ursprünglichen Arbeitsplatz gilt. Auch die Mitbestimmung der Betriebsräte fest verankert, betont die IG Metall in Stuttgart in einer Mitteilung. „Sie müssen jedem Einsatz zustimmen und können über Betriebsvereinbarungen sicherstellen, dass die Bedingungen stimmen."

Abgebender und aufnehmender Betrieb sind durch den Tarifvertrag von den gesetzlichen Regelungen befreit, die normalerweise bei der Personalleihe gelten. (beispielsweise eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung oder die zeitlich definierte Begrenzung des Einsatzes). Diese Abweichung erlaubt das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) dort, wo eine entsprechende Regelung der Branche gilt. „Wir schaffen damit einen echten Vorteil für Unternehmen, die diesen Tarifvertrag anwenden", sagte Schulz.

Entlastung in der Krise und neue Chancen

Die Betriebe können in der Krise die Belastung durch Personalkosten signifikant entlasten. Denn bei der Kurzarbeit bleiben die so genannten Remanenzkosten. Die reichen von der tariflichen Aufstockung des Kurzarbeitergeldes, über Sozialversicherungsbeiträge bis zu Entgeltbestandteile wie beispielsweise betriebliche Altersvorsorge Weihnachts- und Urlaubsgeld. So bleiben bis zu 40 Prozent der Personalkosten trotz Kurzarbeit bei den Firmen hängen. Die Arbeitnehmer bekommen über die Ausleihe hingegen das volle Gehalt und die Sicherheit, dass der Arbeitsplatz in der Heimfirma bestehen bleibt. Mit der haben sie auch weiterhin einen Arbeitsvertrag. Interessanter Nebeneffekt: Durch die Ausleihe lernen die Betroffenen auch neue Verfahren und Abläufe kennen. Für die aufnehmenden Betriebe eröffnet sich nun die Möglichkeit, erfahrene Fachkräfte aus der Umgebung schnell in die Prozesse integrieren lassen.

Erfolgreiche Erfahrungen mit dem "Esslinger Modell"

Der Tarifvertrag baut auf die jahrelangen Erfahrungen des „Esslinger Modells" das bereits 2008 in der Finanzkrise eingeführt wurde. Dem haben sich gut drei Dutzend mittelständische Autozulieferer und Maschinenbauer angeschlossen. Als ungeschriebene Gesetz gilt, dass man sich die so gewonnen Mitarbeiter nicht abwirbt. So hat der Nürtinger Maschinenbauer Nagel über diesen Weg seine Transformation vollzogen: vom Hersteller von Honer-Werkzeugen für Verbrennungsmotoren hin zu Maschinen die Scheibenbremsen ultrahart beschichten. Die so bearbeiteten Produkte reduzieren die Feinstaubbildung und sind aufgrund der Euro7-Norm sehr gefragt. Inzwischen nutzt Nagel das regionale Ausleihprogramm selbst, um an fehlende Fachkräfte zu kommen.

Beim „Esslinger Modell", das auch im Raum Ludwigsburg und Ulm ähnlich gelebt wird, mussten die Betriebe jeweils Betriebsvereinbarungen aushandeln. Oft haben Vertreter von Südwestmetall und IG Metall dabei unterstützt. Der Vorteil. Die Regelungen waren sehr individuell. Diese Stärke bleibt durch den neuen Tarifvertrag erhalten". Die jetzt getroffene Vereinbarung passt auf zwei Seiten", erklärt ein Sprecher von Südwestmetall. Wie viele Betriebe den neuen Abschluss nutzen werden, sei schwer abzuschätzen. „Doch es gibt ein spürbares Interesse", bestätigt der Südwestmetall-Sprecher.

Innovative Tarifpolitik als Vorbild

„Dieser Vertrag macht nochmal deutlich wie innovativ Tarifpolitik sein kann. Er leistet einen Beitrag zur konjunkturellen Beschäftigungssicherung", betont Alessandro Lieb der als Erster Bevollmächtigter der IG Metall Esslingen als einer der Väter dieser Einigung gilt. Dass aus dem regionalen Modell ein veritabler Tarifvertrag geworden ist, mache schon ein wenig stolz, gesteht er. Tatsächlich setzen die Tarifparteien mit dem Abkommen auch ein Ziel um, das sich die Sozialpartner der Metallbranche schon vor der vergangenen Lohnrunde gesetzt haben: Das Tarifregelwerk wo möglich zu entschlacken. „Oft endet es dann doch so, dann man noch dies und das auch noch festschreibt und so dicke Abkommen entstehen", hat Resch noch vor ein paar Wochen eingeräumt. Offenbar tun es manchmal zwei Seiten auch.

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