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Recht und Steuern > Lieferkettengesetz

Mittelstand erlebt Bürokratie als größten Gegner

Das Lieferkettengesetz belastet deutlich mehr Mittelständler als ursprünglich gedacht. Der Grund: sie müssen im Auftrag der Großkunden umfangreiche Nachweise vorhalten, obwohl sie eigentlich nicht dazu verpflichtet sind.

Das Lieferkettengesetz zwingt Mittelständler zu unerwarteten Bürokratiehürden. Obwohl nicht direkt betroffen, müssen sie umfangreiche Nachweise für Großkunden erbringen. Verweigern sie sich, droht der Verlust wichtiger Aufträge. Bild: Shutterstock

Es ist noch schlimmer gekommen als befürchtet. Eigentlich sollte das Lieferkettensorgfaltsgesetz vor allem große Unternehmen mit Verbindungen in aller Welt zum Nachweis verpflichten, dass sie Waren einkaufen und dabei Umwelt- und Arbeitsschutz-Standards einhalten. Eigentlich, denn eine Untersuchung der Landesbank Baden-Württemberg kommt in einer Studie zu einem anderen Ergebnis. „Fast drei Viertel der befragten Unternehmen sehen sich direkt oder indirekt vom deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz betroffen“, stellt Mittelstands-Analyst Andreas da Graça.

Dabei sind kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU), von der Berichtspflicht befreit - theoretisch. Tatsächlich müssen sie oftmals trotzdem einen umfassenden Beitrag zur Berichterstattung über die Erfüllung von Sorgfaltspflichten leisten, heißt es in dem jetzt veröffentlichten „LBBW-Mittelstandsradar“. Viele dieser Firmen werden schlicht von Geschäftspartnern zur Mithilfe aufgefordert. Verweigern sie sich, droht ihnen der Umfrage zufolge womöglich der Verlust von Aufträgen. Unter den befragten Mittelständlern schätzen 60 Prozent der indirekt Betroffenen den Aufwand als hoch ein. Drei Viertel der direkt betroffenen Unternehmen konstatieren einen hohen Mehraufwand. So müssen zusätzliche Stellen geschaffen werden. Hinzu kommen Kosten für externe Beratungsunternehmen, Zertifizierungsstellen und Anwaltskanzleien.

Das deutsche Lieferkettensorgfaltsgesetz (seit 2023) und das im Juni endgültig verabschiedete EU-Lieferkettengesetz (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) verpflichten - nach Firmengröße gestaffelt - bis 2029 immer mehr Unternehmen zu umfassenden Sorgfaltspflichten. Die Betriebe müssen künftig europaweit dokumentieren, dass von ihnen importierte Produkte aus Drittländern nicht zu Kinderarbeit oder Umweltschäden führen. Die Kontrolle weltweiter Lieferketten und (in)direkter Geschäftspartner ist dabei mit erheblichem bürokratischem Aufwand verbunden. „Das ist allerdings nicht nur ein Sieg für die Menschenrechte, sondern auch ein Sieg für die Bürokratie“, heißt es in der LBBW-Studie. Die Umsetzung der neuen Normen soll in Deutschland das Bundesamt für Ausfuhrkontrolle (Bafa) übernehmen, das allerdings schon mit der Bearbeitung der Förderanträge nach dem neuen Heizungsgesetz überlastet ist.

Umfassende Nachweispflichten

Die Nachweispflichten sind umfassend. Sie betreffen die gesamte Lieferkette. Teilweise erstreckt sich die Dokumentation sogar in Richtung der Kunden, die die die Produkte weiterverarbeiten. Unternehmen, die sich nicht an die Nachweispflicht halten drohen Strafen von zwei Prozent des Umsatzes. Zudem werden sie für drei Jahre von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen. Zivilrechtlich haften die Betriebe dem Gesetz zufolge allerdings nicht für Schäden, die von den Zulieferern verursacht wurden. Allerdings können Betroffene bis zu fünf Jahre lang ihre Ansprüche gegen Unternehmen geltend machen.

Die deutschen Unternehmen erleiden durch die heimische Gesetzgebung auch noch einen Wettbewerbsnachteil. Denn die Konkurrenz aus den Nachbarländern sind durch die europäische Regelung erst ab 2025 zu entsprechenden Nachweisen verpflichtet. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte deshalb Anfang Juni vorgeschlagen, das deutsche Lieferkettengesetz auszusetzen, bis die europäische Regelung greift. Wie die Umfrageergebnisse der LBBW zeigen, dürften weit mehr Unternehmen profitieren, als bislang vermutet. Denn eigentlich sind Mittelständler mit weniger als 250 Mitarbeitern und weniger als 50 Millionen Euro Jahresumsatz vorerst nicht von der Regelung betroffen. Tatsächlich müssen berichtspflichtige Großunternehmen ihre kleineren Geschäftspartner in die Risikoanalyse und gegebenenfalls in Präventions- und Abhilfemaßnahmen mit einbeziehen und fordern entsprechende Informationen an. Beim Mittelstandsradar 2024 hielten sich nur ein Viertel der befragten Unternehmen direkt vom Lieferkettengesetz betroffen. Aber weitere 43 Prozent sahen sich wegen geschäftlicher Verflechtungen indirekt konfrontiert.

Experten kritisieren Fehlanreize

Bereits heute reagieren nach dem Lieferkettengesetz berichtspflichtige Unternehmen dem Mittelstandsradar zufolge auf die neue Gesetzeslage und passen ihre Lieferketten an. Rund die Hälfte der Betriebe meidet demnach risikoreiche Zulieferer, und jedes dritte Unternehmen möchte auf schwer überprüfbare Zulieferer verzichten. Gleichzeitig planen 29 Prozent der Befragten, sich aus risikoreichen Ländern zurückzuziehen. Nach Ansicht der LBBW-Experten liefert das Gesetz damit Fehlanreize. Noch im vergangenen Jahr sei von Unternehmen mit einem starken China-Anteil in ihrem Geschäft gefordert worden, ihre Lieferketten krisensicherer aufzustellen. „Da den Ergebnissen zufolge die Attraktivität von Zulieferern aus dem Ausland sinkt, könnte dies ein schlechtes Signal für die angestrebte Diversifizierung von Lieferketten und Handelsbeziehungen sein. Allerdings sind sich auch noch viele Unternehmen unschlüssig, welche Anpassungsmaßnahmen in Zukunft getroffen werden sollen“, betont der Analyst Da Graça. Jedes vierte Unternehmen konnte nicht erklären, wie sich ihr Lieferantenstamm wegen neuen Regelungen geändert habe oder verändern werde.

Politik achtet nicht auf Wettbewerbsfähigkeit

Der Studie zufolge macht die überwiegende Mehrheit der Unternehmen in der Bürokratie ihren größten Gegner aus. „Inzwischen benennt der Mittelstand fast unisono die überregulierenden Behörden als Hauptbelastungsfaktor“, erklärt Da Graça. Viele deutsche Mittelständler beklagen seit Längerem, dass die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland nicht mehr im Mittelpunkt des politischen Handelns steht. Statt Planungssicherheit und Berechenbarkeit sowie Entlastungen für Unternehmen gebe es eine Überregulierung, wie zum Beispiel bei den ausufernden Berichtspflichten, stellen die Experten fest. Die weit überwiegende Mehrheit der durch die LBBW im vergangenen April 2024 befragten knapp 300 Unternehmen stuft den hohen bürokratischen Aufwand (84 Prozent) als Hauptbelastungsfaktor ein. An zweiter Stelle stehen die damit stark verwandten hohen regulatorischen Anforderungen (72 Prozent). Erst den dritten Platz teilen sich die Nachfrageschwäche sowie der inzwischen teilweise dramatische Fachkräftemangel mit jeweils 65 Prozent.

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