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Finanzen > Erhöhung der Beiträge

Noch weniger Netto vom Brutto

Die Koalition ringt um eine drastische Erhöhung der Beiträge für die Pflege- und Krankenversicherung. Gutverdienende sollen bis zu 220 Euro mehr im Monat zahlen. Arbeitgeber, die ebenfalls zur Kasse gebeten werden, wehren sich bereits. Allen allerdings ist klar: Es muss etwas passieren. Der Schuldenberg der Krankenkasse ist sonst nicht mehr beherrschbar.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD)
Muss irgendwo Geld für die chronisch defizitären Krankenkassen einsammeln: Karl Lauterbach. Bild: Shutterstock

Die gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherungen machen Miese. 17 Milliarden Euro dürften es nach Schätzung der Verbandschefin Doris Pfeiffer in diesem Jahr werden. Um diesen Verlust auszugleichen, fallen Politikern in der Regel zwei Wege ein: Entweder sie belasten alle Steuerzahler und überweisen den Kassen Geld aus dem allgemeinen Steuertopf. Oder sie nehmen es gezielt von den Versicherten und verlangen ihnen höhere Beiträge ab, was sich am Ende in einem niedrigeren Netto-Lohn für Arbeitnehmer und höheren Zuschüssen, die Arbeitgeber zahlen müssen, bemerkbar macht.

Nachdem die Gesundheitspolitiker mit der ersten Idee am eisern „Nein“ sagenden Finanzminister Christian Lindner (FDP) gescheitert sind, versuchen sie es jetzt mit dem zweiten Dreh: Es sei sinnvoll, über eine „deutliche Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze“ in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu diskutieren, sagte die stellvertretende SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt dem Handelsblatt.

Das System funktioniert bislang so: Wer gesetzlich versichert ist, muss einen Beitrag zur Krankenversicherung zahlen, dessen Höhe sich nach dem Einkommen richtet. Der allgemeine Beitragssatz liegt derzeit bei 14,6 Prozent des Verdienstes. Weil das Geld schon längst nicht reicht, dürfen die Versicherer einen Zusatzbeitrag erheben, der derzeit bei 1,6 Prozent liegt. Der Beitrag wird allerdings nur bis zu einer Bemessungsgrenze fällig, wer mehr verdient, muss keinen höheren Beitrag zahlen. Wie hoch diese Beitragsbemessungsgrenze ausfällt, entscheidet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales jedes Jahr neu. Es passt diese Grenze an die allgemeine Einkommensentwicklung in Deutschland an. Wenn die Löhne steigen, hebt das Ministerium meist auch die Beitragsbemessungsgrenze an – und damit steigt der Höchstbeitrag für die GKV.

In diesem Jahr liegt die Beitragsbemessungsgrenze bei 4987,50 Euro im Monat. Daraus ergeben sich bei einem durchschnittlichen Zusatzbeitrag von 1,6 Prozent ein Höchstbeitrag für die gesetzliche Krankenversicherung von 807,98 Euro im Monat. Für kinderlose Versicherte mit einem Gehalt über der Beitragsbemessungsgrenze liegt der Höchstbeitrag zur GKV 2023 inklusive Zusatzbeitrag bei 977,55 Euro. Die Beiträge werden je zur Hälfte von Arbeitgeber und Arbeitnehmer bezahlt.

Es sei kein Geheimnis, dass die SPD die Anhebung auf das Niveau befürworte, was die Rentenversicherung beansprucht, sagte Schmidt. Das liegt derzeit bei 7100 Euro in Ostdeutschland und 7300 Euro im Westen. Ähnlich äußerte sich die Grünen-Fraktionsvize Maria Klein-Schmeink. „Dies würde für die gesetzliche Krankenversicherung deutliche Mehreinnahmen bedeuten und – anders als höhere Beitragssätze – lediglich Gutverdiener belasten“, sagte sie dem Handelsblatt. Das allerdings nicht zu knapp. Martin Werding, Mitglied im Gremium der sogenannten Wirtschaftsweisen, die die Bundesregierung in ökonomischen Fragen beraten, hat ausgerechnet, dass die Beiträge bei Spitzenverdienern um bis zu 220 Euro im Monat steigen.

Eine solche Anhebung würde auch eine Umverteilung bedeuten: von der privaten Krankenversicherung in die gesetzliche. Denn mit der Beitragsbemessungsgrenze stiege auch die Grenze, bis zu der eine Versicherungspflicht für Arbeitnehmer bei der gesetzlichen Krankenkasse besteht. Die Versicherungspflichtgrenze beschreibt, von welchem Einkommen an Arbeitnehmer und Beamte sowie Selbstständige in die private Krankenversicherung wechseln können. Sie liegt mit rund 5500 Euro Bruttomonatslohn derzeit leicht über der Beitragsbemessungsgrenze. Steigt die Versicherungspflichtgrenze können es sich weniger Arbeitnehmer erlauben, in die private Krankenversicherung zu wechseln. Das gesetzliche System wäre nicht nur solider finanziert, es verlöre damit auch einen Teil seiner privaten Konkurrenz. Der Verband der privaten Krankenkassen sieht deswegen seine Felle davonschwimmen und warnt vor einer Einführung der „Bürgerversicherung durch die Hintertür“.

SPD und Grüne fordern seit Jahren eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze, Unterstützung erhalten sie auch von Teilen der CDU. Laut dem Unionsfraktions-Vize Sepp Müller würde eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze auf das Niveau der Rentenversicherung 13 Milliarden Euro in die Krankenkassen spülen, um etwa die Krankenhausreform zu finanzieren. Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP, Andrew Ullmann, glaubt dagegen: „Mehr Geld im System würde nicht zu mehr Effizienz, sondern zu einem noch weiter aufgeblähten System führen und damit einen Teufelskreis in Gang setzen.“ Die FDP pocht stattdessen darauf, die Ausgaben zu kürzen – was in der Tat ein dritter Weg wäre. Auch GKV-Verbandschefin Schmidt hält andere Vorschläge parat: Sie nennt genauso wie der Chef der Techniker Krankenkasse (TK), Jens Baas, das sogenannte Terminservicegesetz, das die Vorgängerregierung eingeführt hat, eine „politische Fehlentscheidung“. Die Ausgaben für diese Regelung von rund vier Milliarden Euro „hätte man sich sparen können", kritisiert Baas im „Spiegel". Mit dem Gesetz sollten gesetzliche Versicherte schneller einen Termin beim Arzt erhalten können. Doch letzten Ende habe sich die neue Terminregelung als „Reinfall" entpuppt: „Es sollte den Versicherten das Gefühl geben: Guck mal, wir haben was gemacht, damit du schneller einen Termin kriegst. Gleichzeitig befriedet es die Ärzte, weil sie deutlich mehr Geld abrechnen können“, sagt der Chef von Deutschlands größter Krankenkasse. Der Effekt sei aber „überschaubar".

Pfeiffer will indirekt mehr Geld vom Bund. Sie schlägt unter anderem vor, die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel zu senken. Es handele sich um lebenswichtige Produkte, sagte Pfeiffer. Eine Senkung von den vollen 19 Prozent auf den ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent würde den Kassen sechs Milliarden Euro Entlastung bringen, die allerdings dem Bund dann als Steuereinnahmen fehlten. Der Verband fordert zudem die Pauschalen, die der Staat als Kassenbeiträge für Bürgergeld-Empfänger zahle, anzuheben.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat ebenfalls Vorschläge. Er will den Kassen ein Darlehen in Höhe von einer Milliarde Euro gewähren. Weitere Milliarden sollen laut Lauterbach aus den Rücklagen der Krankenkassen und des Gesundheitsfonds zusammenkommen, aus einer Abgabe der Pharmaindustrie in Höhe von einer Milliarde Euro sowie durch nicht näher bezeichnete Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen.

Die an Schärfe zunehmende Diskussion führt inzwischen dazu, dass sich auch die Arbeitgebervertreter in Stellung bringen. Schließlich zahlt ihre Seite die andere Hälfte der Beiträge. Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft fordert etwas sehr pauschal „umfassende Ausgaben- und Strukturreformen“ bei den Kassen anstatt einer stetig wachsenden finanziellen Mehrbelastung. Ihr Chef Bertram Brossardt stellt fest: Die angedachte Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung belaste sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber stark. „Die Folgen für die Lohnzusatzkosten wären erheblich und ein klarer Standortnachteil.“ Bei den Arbeitgebern würden die von der Kranken- und Pflegeversicherung verursachten Lohnzusatzkosten um bis zu 46,4 Prozent steigen. „Eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze wäre nichts anderes als eine Sondersteuer auf den Faktor Arbeit.“ Der Wirtschaftsweise Werding stößt ins gleiche Horn, wenn er vorrechnet, dass schon jetzt die Sozialabgaben über der 40-Prozent-Marke lägen, die die Große Koalition aus Union und SPD einmal als Grenze festgelegt hatte.

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