Pfisterer liefert Stecker und Verbinder für die Stromnetze der Welt. Der Markt boomt. Große Investitionen sind nötig. Geld könnte ein Börsengang bringen.
von Björn Hartmann
Bei Pfisterer ist alles etwas größer. Stromstecker, die schon mal 60 Zentimeter lang sein können. Kabelverbinder aus Silikon, die 100 Kilogramm wiegen. Und das Testlabor für die Produkte, das eine Halle ist. Sogar die Zukunftsaussichten sind enorm. Der Absatzmarkt wächst rasant, natürlich weltweit, die Nachfrage auch. Und jetzt steht der Mittelständler vor der Frage, wo die großen Euro-Summen herkommen sollen, um mitzuwachsen.
Winterbach, einige Kilometer östlich von Stuttgart, ist eher ein ruhiger Ort: Fachwerkhäuser, die Kirche ist von 1309. Und auch der Verwaltungsbau von Pfisterer am Ortsrand wirkt nicht, als würde hier hergestellt, was die Stromnetze der Welt zusammenhält. Auf der einen Seite plätschert die Rems, auf der anderen rauscht der Verkehr auf der Bundesstraße 29. Drinnen ist es überraschend still für einen Industriebetrieb. Das Unternehmen stellt Stecker, Buchsen und Kabelverbinder sowie Isolatoren her, alles für Mittel-, Hoch und Höchstspannung. Und seit ein paar Jahren sind die Teile gefragt wie noch nie.
„Unser Markt wächst weltweit. Und mit ihm unsere Kunden", sagt Firmenchef Johannes Linden. Denn die Energiewelt wandelt sich gerade radikal. Vereinfacht gesagt bestand die alte Energiewirtschaft aus großen Kraftwerken in der Nähe großer Verbraucher in Industrieregionen. Die Stromerzeuger produzierten so viel Strom, wie benötigt wurde. In der neuen Welt liefern neben einigen konventionellen Kraftwerken vor allem Wind- und Solarparks Strom, dazu kommen viele kleine Anlagen auf Fabriken oder Häusern. Wer Strom aus dem Netz zieht, speist oft auch ein. Speicher sind also nötig. Denn Wind bläst nicht immer, wenn die Kunden Strom brauchen. Und auch die Sonne strahlt nicht rund um die Uhr.
Dazu wird immer mehr Strom nachgefragt. „Der elektrische Bedarf steigt zum Beispiel wegen E-Mobilität und künstlicher Intelligenz. Zudem wächst die Weltbevölkerung", sagt Linden.
Hinzu kommt, dass Strom über längere Strecken geleitet werden muss – in Deutschland etwa von der Nordsee auf die Schwäbische Alb. Statt Wechselstrom wie bisher wird Gleichstrom wichtiger, bei dem über Strecken von 1000 und mehr Kilometern die Verluste deutlich geringer sind. Wechselstrom aus Windanlagen muss in Gleichstrom gewandelt werden und nach dem Transport wieder zurück. Und dann sind da die bestehenden Überlandleitungen. Die Stromnetze sind vielerorts veraltet. Entsprechend viel Geld müssen Staat und Energieunternehmen jetzt investieren. „Die Menschheit hat 200 Jahre am bestehenden Netz gearbeitet. Jetzt muss es in 20 Jahren verdoppelt werden", sagt der Pfisterer-Chef. Die Energiebranche muss also einiges neu bauen. Und immer sind Stecker, Dosen und Kabelverbinder nötig.
Begonnen hat der richtige Boom erst vor kurzem. „Seit 2022 investieren die Netzbetreiber enorm", hat Linden beobachtet. „Wir erwarten, dass das mindestens 15 oder 20 Jahre so weitergeht." Pfisterer schätzt den für das Unternehmen relevanten Teil am Energiemarkt für 2024 auf zwölf Milliarden Euro. Bis 2030 werde er sich Marktstudien zufolge in etwa verdoppeln. Da ist noch einiges drin. Im vergangenen Jahr dürfte Pfisterer gut 380 Millionen Euro umgesetzt haben.
Pfisterers Kunden sind Energieunternehmen, Netzbetreiber und Baufirmen. Alle legen zu: „Um mithalten zu können, müssen wir weiter organisch wachsen und auch nachhaltig in weiteres Wachstum investieren", sagt Linden. „Deshalb loten wir verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten aus, um eine nachhaltig positive Unternehmensentwicklung zu gewährleisten. Gerade prüfen wir die Kapitalmarktfähigkeit." Das könnte an die Börse führen. Linden formuliert noch recht vorsichtig: „Eine attraktive Option in unserem Finanzierungsmix ist gegebenenfalls ein Börsengang. Damit bekämen wir zusätzliches Wachstumskapital und würden über eine langfristige Finanzierungsmöglichkeit verfügen."
Die Firmenpräsentation dürfte Anleger jedenfalls elektrisieren: Dort fallen Worte wie Boommarkt, Umsatzwachstum im zweistelligen Prozentbereich, schwarze Zahlen, steigender Auftragseingang – und das alles mit einigen sehr speziellen Produkten, die es so nur von Pfisterer gibt. Sehr hohe Markteintrittshürden, nennen das Volkswirte. Die Kabelverbinder zum Beispiel, eine Art Lüsterklemme im sehr großen Maßstab, mit denen sich Hoch- und Höchstspannungskabel einfach zusammenbringen lassen. Beide Kabel einstecken, Schrauben so lange anziehen, bis der Kopf abreißt, fertig. Diese patentierten Bauteile liefert die Firma inzwischen weltweit auch an die Konkurrenz. Noch einen Vorteil nennt Linden: „Wir sind im Gegensatz zu anderen Unternehmen im Markt unabhängig von einzelnen Kabelherstellern. Unsere Lösungen sind mit allen Produkten kompatibel." Sollte es zum Börsengang kommen, geht nur ein kleiner Teil der Aktien an den Markt. „Wir haben den Wunsch, Pfisterer als unabhängige Firma weiterzuführen", sagt der Chef. „Wir sind ein Familienunternehmen." Wobei die Gründerfamilie nicht ins operative Geschäft eingreift. Aufsichtsrat und Management sind mit familienfremden Managern besetzt.
Alles begann 1921, als Karl Pfisterer in Stuttgart-Untertürkheim eine „Fabrik elektrotechnischer Spezialartikel" eröffnete. Schon damals ging es um Strom, Netze und Verbindungen. In den 70er-Jahren entwickelte das Unternehmen besondere Stecker und Buchsen für Hochspannungsleitungen, damit ließen sich erstmals Kabel und Transformatoren so verbinden, wie man ein Verlängerungskabel zu Hause in die Steckdose steckt. Später kamen die patentierten Kabelverbinder hinzu. Pfisterer setzt bei großen Verbindern auf Silikon, das deutlich leichter als Porzellan ist. Trotzdem können die Teile bis zu 100 Kilogramm wiegen. Hergestellt werden sie mit verschiedenen leitenden und nicht leitenden Zonen im Spritzgussverfahren. 100 Stück schaffen sie hier in der Produktionshalle in Winterbach in Einzelfertigung. Die Experten haben ein neues Verfahren entwickelt, um die Produktion zu automatisieren und künftig 400 herzustellen.
Nebenan in der Logistik riecht es nach Kiefer. Die Beschäftigten verpacken die Ware in große Holzkisten. Adressiert sind sie unter anderem an Kunden in Deutschland, Südkorea, die USA. Früh setzte das Unternehmen auf das Ausland. Inzwischen ist Pfisterer in mehr als 70 Ländern tätig. Produziert wird in drei Werken in Deutschland sowie in Tschechien und in Rochester, USA. Insgesamt sind mehr als 1200 Mitarbeiter beschäftigt, Tendenz steigend. Alle Standorte sind auf Wachstum ausgelegt.
In Winterbach ist jetzt ein neues Testlabor im Format einer großen Turnhalle für 30 Millionen Euro geplant. Schon im alten Labor können Bauteile mit bis zu einer Million Volt getestet werden – nichts verlässt Pfisterer, ohne 100 Prozent in Ordnung zu sein. Schließlich sind die Stecker, Buchsen und Verbinder locker 40 Jahre im Einsatz. Doch die Anforderungen steigen. „Der Trend geht zu mehr Hoch- und Höchstspannungsleitungen", sagt Pfisterer-Chef Linden. „In dem Sektor spielt nicht nur die Fertigungstechnik eine Rolle, sondern auch die Fähigkeit zur elektrischen EoL-Prüfung." Es reicht nicht, ein Teil gut herzustellen, es muss auch getestet werden können. Deshalb wird jetzt gebaut. Dann werden sie unter anderem sehen können, ob ihre Bauteile auch Blitze überstehen.