Wir stecken tief in einer strukturellen Krise
Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz und der Banker Dirk Pahlke über die Lage in Deutschland und warum sie jetzt angeschlagene Firmen übernehmen wollen.
Herr Geiwitz, als Insolvenzverwalter sind Sie nah dran an den Schattenseiten der Wirtschaft. Wie steht es um den Standort Deutschland?
Arndt Geiwitz: Wir neigen in Deutschland dazu, alles schlechtzureden. Das ist nicht meine Art. Allerdings sieht uns die Welt kritisch – sowohl unsere europäischen Partner als auch die Amerikaner. Die schütteln den Kopf über unser Land.
Warum?
Geiwitz: Aufgrund einer völlig verfehlten Flüchtlingspolitik haben wir uns die Chancen einer intelligenten Zuwanderungspolitik verbaut, was uns bereits heute Wirtschaftswachstum kostet. Wir haben aber auch wirtschaftspolitisch lange Jahre nichts getan, um unsere Kerntechnologien zu schützen, Stichwort Verbrennermotor. Es geht nicht um den Motor an sich, es geht um die elementar wichtige Automobil- und Zulieferindustrie. Dann – und das ist fast das Schlimmste – sind da die infrastrukturellen Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte; Stammtischparolen zur Deutschen Bahn und zum Zustand der Straßen sorgen dann noch für eine schlechte und resignative Stimmung in der Bevölkerung. Schließlich: Wir sind überbürokratisiert.
Das hört man immer, aber so viel ist doch nicht dazugekommen.
Geiwitz: Die Bürokratisierung, die in Deutschland schon immer hoch war, passte zum alten Wertesystem unserer Kerntechnologien und der damit verbundenen, praktisch 120-prozentigen Ingenieursgenauigkeit. Aber der Trend geht zu 80 Prozent Genauigkeit und dafür mehr Tempo. Denken Sie an Tesla und andere. Weniger Genauigkeit mit den vielen bürokratischen Regeln funktioniert aber nicht in Deutschland. Wir stecken tatsächlich in einer strukturellen Krise.
Das trifft die Unternehmen offenbar, die Zahl der Insolvenzen steigt.
Geiwitz: Wir müssen bei den Statistiken vorsichtig sein. Die Zahl der Insolvenzverfahren ist tatsächlich gestiegen. Wir gehen Richtung 16.000 bis 18.000. Diese Zahlen beunruhigen mich nicht, wir hatten zuletzt ein historisch niedriges Niveau. Wir waren früher einmal in der Spitze bei 40.000 Insolvenzen pro Jahr. Wichtiger als die reine Menge ist die Frage, welche Unternehmen Insolvenz anmelden.
Das bedeutet?
Geiwitz: Es stellen vermehrt größere Unternehmen einen Antrag. In den vergangenen Monaten haben wir bereits höheren Beratungsbedarf wahrgenommen. Meist sind das Firmen, die der Endkunde nicht kennt – Automobilzulieferer, Photovoltaikhersteller, 200 bis 800 Mitarbeiter. Keine große Presse, da berichtet allenfalls die Regionalzeitung vor Ort. Das ist schleichend. Noch haben einige Unternehmen ausreichend Liquidität. Der Staat hat während der Pandemie Firmen durch Kurzarbeitergeld oder strukturelle Hilfen am Leben gehalten und so volkswirtschaftlich normale Transformationsprozesse verhindert. Und die kommen jetzt. Es wird mehr Insolvenzen auch größerer Firmen geben.
Das Unternehmen
- SGP Schneider Geiwitz ist eine Kanzlei mit etwa 400 Mitarbeitern und 21 Standorten.
- Sitz ist Ulm.
- Das Unternehmen ist auf Sanierung und M&A, Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung spezialisiert.
Inwieweit unterscheiden sich da Familienunternehmen und Aktiengesellschaften?
Geiwitz: Tendenziell haben Familienunternehmen weniger Druck, Gewinne auszuschütten, als an den Börsen notierte Firmen. Entsprechend haben viele dieser Familienunternehmen eine extrem gute Substanz, 60 bis 70 Prozent Eigenkapitalquote. Die werden nicht so schnell insolvent, auch wenn sie mal Verluste machen.
Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit verschiedene Unternehmen mit hohen Beträgen in der Krise gestützt.
Geiwitz: Es ist tatsächlich volkswirtschaftlich umstritten, Firmen, die vermeintlich too big to fail sind, staatliche finanzielle Unterstützung zu geben. Die Gründe sind teilweise schwer nachvollziehbar. Wenn heute ein Unternehmen mit 50.000 Mitarbeitern ins Wanken gerät, wird die Bundesregierung trotz knapper Haushaltslage Wege finden, es zu stützen. Sie will nicht 50.000 Wähler gegen sich haben.
Das hat schon beim Bauunternehmen Philipp Holzmann 1999 nicht funktioniert.
Geiwitz: Und bei vielen anderen auch nicht. Es wird auch künftig Fälle geben, die aus Sicht einer Bundesregierung unterstützungswürdig sind. Dabei sollten es aber immer Unternehmen sein, deren Geschäftsmodell funktioniert. Das wurde beispielsweise bei der Galeria Karstadt Kaufhof öffentlich kontrovers diskutiert.
Da haben Sie 2020 und 2022 sogar zwei Insolvenzverfahren in Folge begleitet. Warum hat es beide Male nicht geklappt?
Geiwitz: Das hatte überwiegend externe Gründe. Erst kam die lange Pandemie, dann der Ukraine-Krieg. Ich glaube nach wie vor, dass das Innenstadt-Warenhaus eine Daseinsberechtigung hat, auch wenn man es sicher attraktiver gestalten muss. Ich hoffe sehr, dass es dieses Mal klappt.
Galeria gehörte zur Signa-Gruppe des Österreichers René Benko, die jetzt selbst insolvent ist. Da sind Sie auch beteiligt.
Geiwitz: Nein. Ich habe mir das sechs Wochen als Berater angesehen, dann aber kurz vor Weihnachten 2023 abgelehnt. Sechs Monate früher hätte man die Probleme vielleicht noch lösen können, aber letztlich wurden wir zu spät gerufen.
Der Sanierer
- Arndt Geiwitz gehört zu den renommierten Insolvenzverwaltern Deutschlands. Seit 1995 ist er Partner der Kanzlei SGP Schneider Geiwitz. Er betreute unter anderem die Insolvenzen der Drogeriekette Schlecker und zweimal von Galeria Karstadt Kaufhof.
Der Banker
- Dirk Pahlke, Geschäftsführer der neuen SGP Principal Solutions, war bis Ende vergangenen Jahres Global Partner der Finanzberatungsgruppe Rothschild & Co, für die der Investmentbanker fast 30 Jahre lang in Frankfurt und London arbeitete.
Jetzt planen Sie, aktiv ins Restrukturierungsgeschäft einzusteigen, was haben Sie genau vor?
Dirk Pahlke: Wir wollen ein neues Restrukturierungsinstrument schaffen – neben Treuhandschaften, bei denen Schneider Geiwitz schon zu den führenden Kanzleien in Deutschland gehört. Wir übernehmen ein Unternehmen, das Probleme hat, lösen sie und verwerten das Unternehmen dann. Meist geht es um Sanierung, Restrukturierung oder Performanceschwäche.
Wie unterscheidet sich Ihr Modell von der Treuhandschaft?
Pahlke: Bei der Treuhandschaft geht die Verantwortung zum Beispiel für die Sanierung eines Unternehmens auf den Treuhänder über, der wirtschaftliche Gesellschafter bleibt aber gleich. Da müssen sie als Sanierer immer die Gesellschafter fragen. Wir als SGP Principal Solutions übernehmen die Firma und tragen das unternehmerische Risiko – können aber auch frei entscheiden.
Klingt nach Finanzinvestor.
Pahlke: Ein Finanzinvestor kauft das ganze Unternehmen, saniert es, veräußert es und behält den Erlös. Wir arbeiten anders. Wir setzen im Prinzip kein Geld ein. Schneider Geiwitz ist groß, aber nicht so groß, dass man große Unternehmen kaufen könnte. Wir vereinbaren einen Kaufpreis von einem Euro mit dem alten Gesellschafter. Das Geld für die Sanierung kommt entweder aus dem Unternehmen selbst. Oder wir sprechen mit den Banken, die das Unternehmen finanzieren, über ihre Mithilfe. Oder der Altgesellschafter gibt eine Mitgift. Dann sanieren wir das Unternehmen, geben uns zwei, drei Jahre dafür. Danach wird es verkauft. Den Erlös abzüglich unseres Honorars bekommt der Altgesellschafter. Das legen wir alles vorher transparent fest. Und während der Sanierung informieren wir den Altgesellschafter.
Geiwitz: Banken boten uns an, uns zu finanzieren. Aber das wäre dann wieder ein Private-Equity-Ansatz. Wir müssten nach den Naturgesetzen der Ökonomie den entsprechenden Profit erzielen, weil wir auch das Finanzierungsrisiko trügen. Das wollen wir nicht, aber dafür haben wir eine total transparente und eher moderate Vergütungsstruktur. Die ist so ausgelegt, dass wir nur dann wirklich Freude haben, wenn wir besser restrukturieren, als es der bisherige Eigentümer würde. Und es lässt auch nicht zu, dass wir über den massiven Einsatz unserer Berater Kasse machen würden – ganz abgesehen davon, dass wir das aus Gründen der Reputation nicht tun würden.
Pahlke: Für den Altgesellschafter ist ein großer Vorteil, dass er das Unternehmen oder den Konzernteil sofort aus seiner Bilanz raus hat. Meist sind die Unternehmen ja schon abgeschrieben.
Es geht also um Unternehmen, die in Schwierigkeiten sind, aber nicht insolvent.
Pahlke: Eine Insolvenz wollen wir vermeiden. Ist das Unternehmen schon so weit, wäre es zu spät für unseren Ansatz.
Geiwitz: Wir sind keine Bestatter. Wenn die Lage so dramatisch ist, biete ich uns lieber als Insolvenzverwalter an.
Pahlke: Natürlich gibt es keine 100-prozentige Sicherheit, aber eine gute Idee für eine Sanierung sollte man schon haben.
Wer ist Ihre Zielgruppe?
Geiwitz: Oft geht es in einem funktionierenden Konzern um einen Teil, der zum Beispiel nur fünf Prozent zum Umsatz beiträgt und schlecht läuft. Sanieren ist schwierig, weil der Betriebsrat fordern würde, dass der Rest des Konzerns die schwächelnde Sparte stützt. Der Konzern fährt besser, wenn er die Sanierung an einen Profi abgibt. Auch für die Arbeitnehmervertreter wird es einfacher. Sie können sich auf den Konzern einerseits und den Problemsparte andererseits konzentrieren.
Die SGP Principal Solutions wird also eine Holding. Mit wie vielen Beteiligungen rechnen sie?
Geiwitz: Das wissen wir noch nicht. Es geht nicht darum, möglichst viele Fälle zu sammeln. Wir wollen nur Firmen, deren Probleme wir auch wirklich lösen können.
Und warum kommen Sie gerade jetzt auf die Idee?
Geiwitz: Der Bedarf ergab sich aus zahlreichen Gesprächen. Manche Unternehmen wollen Teileinheiten nicht an Private Equity verkaufen. Oder auch nicht sehr viel Geld für sehr teure Berater, ausufernde Power-Point-Präsentationen und langatmiges Gelaber in Sanierungsgutachten ausgeben.
Wann geht es los?
Pahlke: Jetzt.
Warum machen Sie das überhaupt?
Geiwitz: Sowohl Dirk Pahlke als auch ich haben beruflich schon viel bewegt. Wir müssen beide nicht nach dem nächsten Euro springen. Aber dieses Projekt hat uns sehr gereizt, weil es einen hohen Grad an Unternehmertum mit sich bringt. Und damit haben wir, Dirk Pahlke als Banker und M&A-Spezialist und ich als Insolvenzverwalter, Wirtschaftsprüfer und Berater, bisher nur am Rande zu tun gehabt. Eine äußerst spannende Sache. Mal sehen, ob die Unternehmen das Angebot annehmen.
Das Gespräch führte Björn Hartmann.