Schulden: Wo die neue Ampelkoalition in die Trickkiste greift
Stellen Sie sich vor, Sie sind Buchhalter in einem Betrieb und der Chef befiehlt: Investieren, was das Zeug hält. Woher kommt das Geld? Niedrigere Löhne oder Schulden sind verboten. Sie müssten sich einiges ausdenken. Die neue Koalition hat das gemacht. Hier ist das Ergebnis.
Ganz gleich, ob Sie als Vorstand die Finanzen im Unternehmen verantworten, als Meister den Investitionsplan in ihrem Betrieb fürs nächste Jahr ausarbeiten oder sich als Selbständiger mit dem Finanzamt auseinandersetzen- vom neuen Koalitionsvertrag können alle etwas lernen. Die Ampel-Koalition hat nämlich viel Kreativität darauf verwandt, wie sie mehr Geld ausgeben kann, als sie zur Verfügung hat. Immerhin hat sie sich vorgenommen, "Deutschland klimafreundlicher, moderner und gerechter" zu machen. Das kostet Geld, viele Milliarden Euro. Gleichzeitig soll es aber keine Steuererhöhungen geben, auch die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse soll bestehen bleiben. Wie soll das gehen?
Ganz klar ist das den Ampel-Koalitionären auch noch nicht. Denn bei vielen der angekündigten Vorhaben verraten die drei Parteien nicht, wie viel es kosten wird. Als Finanzchef eines Unternehmens kämen Sie deswegen mit so einem "Forecast", wie ihn der Koalitionsvertrag beschreibt, bei Ihren Investoren nicht durch. Er bekomme "die Rechnung nicht zusammen", bemängelte auch der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther. "Mein Eindruck ist: In der Haushaltspolitik steckt noch viel Hoffnung drin und nur wenige Ideen zur tatsächlichen Ausgestaltung."
Die Hoffnung, dass am Ende alles gut wird, speisen die Koalitionäre allerdings aus zwei Tatsachen, die ihnen Mut machen. Einerseits gilt das Motto: Gespart wird später. Die Schuldenbremse bleibt im Jahr 2022 noch pandemiebedingt ausgesetzt. In den nächsten 13 Monaten können SPD, Grüne und FDP also nach Herzenslust Schulden aufnehmen. Und zweitens sprudeln die Steuer-Quellen: Von 2022 bis einschließlich 2025 werden allein die Steuereinnahmen des Bundes knapp 60 Milliarden Euro höher liegen als gedacht, hat das Finanzministerium ausgerechnet.
Soweit zum Thema Hoffnung im Koalitionsvertrag. Als guter Finanzchef, wissen aber auch Sie, dass es damit allein nicht getan ist, es braucht noch handfeste Unterstützung. Die Ampelkoalition greift dafür in die Trickkiste. Der wichtigste Fund darin: Sie hat den seit 2010 vorhandenen "Energie- und Klimafonds" (EKFG) wiederentdeckt, der vor allem aus Einnahmen durch Versteigerungen im Rahmen des sogenannten EU-Emissionshandels gefüttert wird. Die Ampel will den Geldtopf nun zum "Transformationsfonds" umbauen: Schuldenfinanzierte Mittel aus dem Haushalt 2021, die bereits verplant, aber nicht abgerufen wurden - sogenannte Kreditermächtigungen - will die Ampel sofort in den neuen "Transformationsfonds" umschichten, bevor sie Ende des Jahres verfallen. Im nächsten Jahr dann, in dem neue Schulden ja noch kein Problem sind, soll der Geldtopf weiter aus dem Haushalt gefüllt werden. "Mit dem Bundeshaushalt 2022 werden wir prüfen, wie wir den Klima- und Transformationsfonds im Rahmen der verfassungsmäßigen Möglichkeiten weiter verstärken", heißt es dazu im schönsten Koalitionsvertragsdeutsch.
Damit nicht genug: Die Ampel-Regierung will ab 2023 die Berechnung der Schuldenbremse so ändern, dass der Sondertopf nicht mehr zum Bundeshaushalt zählt – und somit nicht von der Schuldenbremse betroffen wären. Das Ergebnis wäre eine Rücklage von Hunderten Milliarden Euro, aus der sich die Ampel jederzeit bedienen könnte. "Der Staat saugt sich 2022 mit Krediten voll", sagt Jens Boysen-Hogrefe vom Kieler Institut für Weltwirtschaft bei Focus online. Ausgebrütet hat diese Idee Clemens Fuest, der Präsident des ifo-Instituts, das sich sonst eher gegen Neuverschuldung ausspricht. Fuest weiß aber auch um den Drahtseilakt, den die Regierung damit begeht. "Wird spannend zu sehen, ob das Bundesverfassungsgericht da mitspielt", schreibt der Ökonom jetzt auf Twitter. Er habe "verschiedene Verfassungsrechtler gefragt, die hatten schon Zweifel". Denn: Die Schuldenbremse ist ausgesetzt worden, um den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu begegnen – eine Neuverschuldung für andere Zwecke ist verfassungsrechtlich zweifelhaft. Die neue Opposition hat das auch schon gemerkt. Die Ampel-Koalition finanziere sich über "Schattenhaushalte", kritisiert etwa der Wirtschaftsrat der CDU. Als Finanzchef müssten Sie ab jetzt aufpassen: Ihre Eigentümer und Geldgeber riechen Lunte.
Der Ampel sind die Ideen aber damit noch nicht ausgegangen. Neben dem großen Wurf mit dem EKFG hat sie noch einige Taschenspielertricks auf Lager. Tasche Nummer eins: die Deutschen Bahn. Bislang sind die Infrastruktur-Gewinne aus der lukrativen Netzsparte immer in den gesamten Konzerngewinn geflossen – und haben dort die Bilanzen aufgehübscht, ohne für die Schiene verwendet zu werden. Zukünftig sollen die Gewinne in der Netzsparte bleiben und "gemeinwohlorientiert" für den Ausbau des Bahnnetzes genutzt werden. Die Schulden der bahn steigen damit, der Bund muss sie ausgleichen. Aber erstmal sind es ja Schulden der Bahn. Tasche zwei: Die staatliche Förderbank KfW soll private Investitionen in den Klimaschutz finanzieren – an der Schuldenbremse vorbei. Außerdem wird ein bislang eher unbekannter staatlicher Riese zu neuem Leben erweckt: Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) ist mit 460 000 Hektar Grundeigentum und 38 000 Wohnungen eine der größten Immobilieneigentümerinnen Deutschlands und entstand 2005 als Nachfolgerin Bundesvermögensverwaltung. Sie managt die Immobilien und Flächen, die dem Bund gehören, darunter auch viel Wald und unbebautes Land. "Die BImA werden wir stärken und ihre Finanzierungsmöglichkeiten verbessern. Dafür können von Fall zu Fall Instrumente wie Kreditermächtigungen und Eigenkapitalstärkung genutzt werden", heißt es nun im Koalitionsvertrag. Das klingt nach einer besonders tiefen Tasche und danach, als könnten selbst erfahrene Finanzmanager von dieser Koalition noch etwas lernen.