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Politik > Politiker-Sprech - ein Kommentar

Sondervermögen oder Schulden? Wie Politiker-Sprech das Vertrauen untergräbt

Irreführende Begriffe in der Politik sorgen für Entfremdung. Ein Blick auf die Auswirkungen von Sprachverschleierung in Politik und Wirtschaft.

(Foto: ki-generiert)

Semantische Taschenspielertricks

„Liebe Bank, ich muss bei dir Sondervermögen machen." Die Entfremdung vieler Menschen mit den Parteien der Mitte hat auch mit deren Sprache zu tun. Mit Begriffen wie „Sondervermögen", um Schulden zu beschreiben, schaden sich die Parteien nur selbst. Ein Kommentar.

von Thorsten Giersch

Was ist schlimmer? Dass Politikerinnen und Politiker Begriffe wie „Sondervermögen" erfinden, oder dass die Medien es bereitwillig übernehmen. Irgendwie nutzten den Begriff alle. Wenn Otto Normalmensch ein Vermögen hat, ist das gut. Wenn er oder sie Schulden hat, müssen diese beglichen werden. Ein Vermögen ist etwas anderes als Schulden. Das verstehen Kleinkinder.

Wenn Erwachsene Nachrichten gucken, hören sie fast täglich von Sondervermögen. Gemeint sind Schulden. Nicht anderes. Aber die Ampel-Regierung wollte das wegen der „Schuldenbremse" nicht so nennen. Mal abgesehen von der Frage, ob es bald auch eine „Sondervermögen-Bremse" geben wird: Wieso erfinden wir solche Begrifflichkeiten? Finden es Wählerinnen und Wähler gut, dass man sie mit solchen semantischen Taschenspielertricks hinters Licht führen will?

Shitstorms vermeiden

Hier zeigt sich kein Mangel rhetorischem Talent, sondern ein Zu-Viel davon. Ein Heer von Redenschreibern hat sich Politik und Unternehmenswelt darauf spezialisiert, Sprache zu frisieren. Zum Teil ist das notwendig, weil man Shitstorms vermeiden will, wenn irgendwer irgendeinen Satz unbedingt falsch verstehen will. Aber Beispiele wie „Sondervermögen" belegen, wie pervers das Spiel geworden ist.

Neu ist das alles wahrlich nicht und vor allem die TV-Medien spielen das Spiel gerade in der Kriegsrhetorik seit langem mit: Wenn westliche Länder Bomben abwerfen, sind das freilich „Luftschläge". Kriegerische Akte werden zu „militärischem Engagement". Wenn Putin dasselbe tut, sind Bomben in der Regel Bomben. Sprache schafft Wirklichkeit, wusste schon Wittgenstein. Objektivität braucht aber auch eine objektive Sprache, die für alle gleich gilt.

Der Einfluss von Sprache auf Wahrnehmung und Wahrheit

Den größten Fehler haben wir alle vermutlich bei den sogenannten „Sozialen Medien" gemacht, wo sich Medien bis heute uneins sind, ob das s groß oder kleingeschrieben werden sollte. Wir schreiben es groß, weil wir „sozial" nicht als Adjektiv im Wortsinne verstehen – die Wirkung und die Absichten dieser Plattformen ist bekanntermaßen oft nicht sozial. Wir schreiben „Sozial" groß, weil es ein feststehender Begriff ist, der sich – leider – etabliert hat und nicht mehr aus Welt zu schaffen ist.

Auf Bilanzpressekonferenzen von börsennotierten Unternehmen hörte man früher ständig Begriffe wie „Minuswachstum", was besser klang als „Verlust". Solcherlei gehört längst der Vergangenheit an. Zum Teil, weil solcherlei bei bestimmten Stakeholdern wie den Aktionären nicht verfängt. Zum anderen, weil die Trickserei durch die Übersetzung ins Englische ohnehin verloren ging. Es braucht also nur genug, die dem Treiben Einhalt gebieten, damit wir wieder eine ehrliche Sprache pflegen.

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