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Recht und Steuern > StaRUG

StaRUG-Streit: Risiken und Chancen der außerinsolvenzlichen Sanierung

Das StaRUG eröffnet neue Sanierungsmöglichkeiten für Unternehmen, birgt jedoch Risiken für Gesellschafter, die durch Investorenpläne verdrängt werden können.

Glücklose Manager: Michael Tojner (l.) erweckte Varta wieder zum Leben. Chef Herbert Schein ließ den Batteriehersteller zunächst wachsen. Doch nach wenigen Jahren war das Unternehmen ein Sanierungsfall. Schein ist jetzt raus. Und Tojner hat die Mehrheit verloren. (Foto: picture alliance)

Im ersten außerinsolvenzlichen Sanierungsverfahren in Deutschland droht einer kleinen Gruppe medizinischer Versorgungszentren die Zahlungsunfähigkeit.

Mehrere Krankenkassen haben Ansprüche auf Rückzahlungen. Ein externer ärztlicher Investor will übernehmen – aber nur ohne diese Verbindlichkeit. „Deshalb wurden die Krankenkassen und die Kassenärztliche Vereinigung als Restrukturierungsgläubiger einer gemeinsamen Gruppe zugeordnet“, erinnert sich Martin Heidrich, Partner der Kanzlei Taylor Wessing Deutschland und Experte für Restrukturierung und Insolvenzrecht, der diesen ersten Fall nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) betreut hat.

Der Investor bietet den Gläubigern eine Extrazahlung, die sie deutlich besser stellt als die Nullquote im Fall der Insolvenz – wegen der Verfahrenskosten. Gesellschafter und Nachranggläubiger verzichten auf Geld. Der Praxisbetrieb geht an allen Standorten weiter. „Es mussten nicht alle bis hin zu teils schwerkranken Patienten hineingezogen und verunsichert werden“, sagt Heidrich heute. „Arbeitsplätze sowie die regionale medizinische Versorgung blieben erhalten.“

 

Schmerzhafte Lücke

Ein glatter Schnitt auf der Schuldenseite – Sanierung erledigt. Ein Vorzeigebeispiel dafür, was das StaRUG seit 2021 ermöglichen soll. Es bietet Möglichkeiten für die außergerichtliche Sanierung und schließt eine zuvor bisweilen schmerzhafte Lücke.

Doch es ist nicht ohne Tücke für Gesellschafter und Aktionäre. Auch Geschäftsführer sollten Chancen und Risiken kennen. Vor Inkrafttreten des Gesetzes mussten alle wesentlichen Gläubiger zustimmen, wenn Unternehmer Forderungen restrukturieren wollten. Deren Handlungsspielraum endete, sobald die Firma insolvenzreif nach Paragraf 15a Insolvenzordnung war. Das StaRUG erlaubt dagegen Sanierung ohne Insolvenzverfahren. Mit dem Gesetz setzte die Bundesregierung die 2019 erlassene EU-Restrukturierungsrichtlinie 2017/1132 um.

Erfreulich rasch und genau zur rechten Zeit, lobten Experten damals mit Blick auf die Herausforderungen der Pandemie. Ermöglicht doch das Starug nicht nur Sanierungsmaßnahmen außerhalb einer Insolvenz, sondern auch gegen den Willen einzelner Gläubiger, die Sanierungsprozesse oft behindern oder scheitern lassen. Beim Starug-Verfahren geht es  darum, eine drohende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Das Ziel einer Insolvenz dagegen ist die bestmögliche Gläubigerbefriedigung.

Nicht nur die Ziele sind anders, auch Bedingungen und Eintrittsvoraussetzungen. Während Unternehmen bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen Insolvenzantrag stellen müssen, dürfen sie es bei einer drohenden Zahlungsunfähigkeit in den nächsten 24 Monaten. „Unverzüglich ist der Insolvenzantrag beim Vorliegen eines Antragsgrundes zu stellen“, sagt Nadja Raiß, Partnerin und Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Insolvenzrecht und Sanierungsberatung in der Kanzlei K+L Gates in Frankfurt.

Ein StaRUG-Verfahren ist nicht geeignet, wenn die Schwierigkeiten im operativen Geschäft liegen

Das StaRUG eignet sich nur für Fälle, in denen Schulden das Problem sind. Dann können Unternehmer sich im Verfahren aussuchen, was sie anpassen und restrukturieren wollen – auf der Passivseite der Bilanz. „Ein StaRUG-Verfahren ist nicht geeignet, wenn die Schwierigkeiten im operativen Geschäft liegen“, sagt Raiß. Es hilft also nicht, wenn das Problem beispielsweise Pensionsverpflichtungen, Personalkosten oder hohe Mietkosten sind.

Im Vergleich zum Insolvenzverfahren sei ein StaRUG-Verfahren das mildere Mittel, ist sie überzeugt. Die Hoffnung ist, „dass Unternehmen erhalten bleiben und nicht ins Ausland abwandern, um sich dort zu sanieren“, sagt Raiß. 18 Verfahren hat sie bisher begleitet. „Anders als die Insolvenzordnung, die noch auf der alten Konkursordnung aufsetzte, ist das Starug ein völlig neues Gesetz“, sagt die Anwältin. „Wir erkunden im Moment bei jedem dieser Verfahren von Grund auf neu, was geht und was wie zu beurteilen ist.“

Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz - StaRUG)

Das StaRUG ist seit dem 1. Januar 2021 in Kraft und bietet Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten einen präventiven Restrukturierungsrahmen, um eine Insolvenz zu vermeiden. Das Gesetz ist besonders relevant für Kapitalgesellschaften wie Aktiengesellschaften und GmbHs, einschließlich GmbH & Co. KGs, die als haftungsbeschränkte Unternehmensträger gelten.

Der Restrukturierungsplan ermöglicht es Unternehmen, in Eigenregie ihre Schulden zu reorganisieren, indem er Eingriffe in Verbindlichkeiten und Sicherheiten erlaubt. Forderungen können gestundet, gekürzt oder nachrangig behandelt werden. Eingriffe in Arbeitnehmerforderungen oder bestehende Verträge sind im StaRUG nicht möglich, dafür wäre ein Insolvenzverfahren nötig.

Lange Zeit war das Gesetz wenig beachtet. Fachleute witzelten schon, dass es mehr juristische Kommentare darüber gebe als mögliche Anwendungsfälle. Bis zum Fall Leoni. Seither wird heftig diskutiert, nicht nur in juristischen Fachkreisen. Der Fall wird entweder als erfolgreiche Blaupause für ein „Totgesagte leben länger mithilfe des Starug“ in die Geschichte eingehen. oder als fulminantes Beispiel dafür, wie Investoren die Gesetzeslage für feindliche Übernahmen nutzen konnten, um abzuräumen.

Es war das erste Starug-Verfahren bei einer börsennotierten Aktiengesellschaft. Anfang 2023 stieg der Österreicher Stefan Pierer bei dem Autozulieferer ein und baute seinen Anteil auf 20 Prozent aus. Auf sein Betreiben hin beantragte Leoni ein Restrukturierungsverfahren nach dem neuen Gesetz. Mitte August 2023 wurde der Wert der Leoni-Aktien auf null gesetzt, die Wertpapiere vom Markt genommen. Mit einer Kapitalerhöhung von 150 Millionen Euro wurde Pierer alleiniger Eigentümer. Aktionäre zogen dagegen vor das Bundesverfassungsgericht. Das Bundeswirtschaftsministerium prüft den geplanten Verkauf von 50,1 Prozent der Leoni-Anteile an den chinesischen Kabelhersteller Luxshare. Der befeuert die Skeptiker  – ebenso wie der Verkauf von Varta an Porsche, ebenfalls nach einem Starug-Verfahren.

„Wenn ein Investor viel Geld für die Anteile aufbringt, können die vorher angeblich so wertlosen Anteile so wertlos nicht gewesen sein“, sagt Heribert Hirte, emeritierter Juraprofessor mit Schwerpunkt Gesellschaftsrecht an der Universität Hamburg. Er arbeitete damals als Bundestagsabgeordneter am deutschen Gesetzentwurf für  die Umsetzung der EU-Vorgabe. Auf den letzten Gesetzgebungsmetern wurden sogar für mehr Gesellschafterschutz noch Paragraphen gestrichen. Das Gesetz sei nicht dafür gedacht, aber biete die Möglichkeit, sich unliebsamer Mitgesellschafter entschädigungslos zu entledigen, sagt Hirte.

Lücken im Gesetz

„Sie können Aktionäre rauskegeln und mit einer bereinigten Bilanz bequem verkaufen“, pflichtet Hans Haarmeyer bei, Vorstand des Deutschen Instituts für angewandtes Insolvenzrecht und spezialisierter Rechtsanwalt. „Beim StaRUG wurde an alles in den farbigsten Details gedacht“, sagt Haarmeyer. „Aber nicht an die Gesellschafter.“

Geregelt ist, in welchem Umfang Gläubiger mitwirken und notfalls ungewollt Kürzung, Stundung oder sonstige Veränderung ihrer Ansprüche hinnehmen müssen. Die entschädigungslose Enteignung von Aktionären oder Gesellschaftern, die Beobachter bei Leoni und Varta bemängeln, sieht das Gesetz nicht vor. „Aber es verhindert sie auch nicht“, sagt Gesellschaftsrechtler Hirte. Schreiben Geschäftsführer und Sanierungsberater einen entschädigungslosen Squeeze-out in den Sanierungsplan, braucht es bloß einen Amtsrichter, der ihn genehmigt.

„Aber ist die drohende Zahlungsunfähigkeit wirklich gegeben?“ fragt Hirte. „Und die 90 Prozent Wahrscheinlichkeit einer Zahlungsunfähigkeit in zwei Jahren? Wir reden in Zahlen, aber keine Zahl ist wirklich klar, weil es Erwartungen für die Zukunft sind.“ Hirte, der auch Vorstand bei Transparency International Deutschland ist, sieht hier das Risiko von Manipulation.

„Das Gesetz ermöglicht Gesellschaftern und Geschäftsführern, Fakten zu schaffen auf Basis von spekulativen Szenarien.“ Die Waffenungleichheit ist zu groß, bemängeln Hirte und Haarmeyer. „Ein Amtsrichter bekommt einen von 80 Berufsträgern erarbeiteten Antrag – so viele waren es im Fall Varta –, in dem steht, dass dem Unternehmen mit einer 90-prozentigen Wahrscheinlichkeit in den nächsten zwei Jahren Zahlungsunfähigkeit droht, wenn nicht der Sanierungsplan umgesetzt wird“, stellt Haarmeyer fest.

Doch ob stimmt, was in Antrag, Sanierungsplan und Gutachten steht, können mit Insolvenzen befasste Amtsrichter hierzulande seiner Einschätzung nach nicht sachgerecht beurteilen. Meist fehlen Erfahrung und Kenntnisse. Und überlastete Richter wickeln Insolvenzverfahren meist neben anderen Verfahren ab. Fast 150 Insolvenzgerichte listet der Datendienst Indat.info auf. Nur 20 davon mit einer zweistelligen Zahl Fälle. „Wir bräuchten vielleicht fünf gut ausgestattete Restrukturierungsgerichte“, sagt Haarmeyer, „aber mit Erfahrung und Expertise.“ Ähnlich wie in den USA, wo an für Insolvenzen zuständigen Bundesgerichten – in der Regel eines pro Bundesstaat – spezialisierte Richter mit großen Teams sitzen.

Die Fälle Leoni und Varta zeigen möglichen politischen Nachbesserungsbedarf und Haftungsrisiken für Geschäftsführer. „Wenn sich nach drei oder fünf Jahren zeigt, dass die für das StaRUG-Verfahren vorgenommene Bewertung falsch war, kann Deliktrecht greifen“, erklärt Gesellschaftsrechtler Hirte. Das ermöglicht Schadenersatzforderungen beispielsweise für den Fall, dass Patente oder sich abzeichnende Chancen nicht aus Sanierungsplan und Gutachten hervorgingen.

„Um Haftungsrisiken zu vermeiden, müssen Geschäftsführer darauf achten, alle relevanten Faktoren für den künftigen Ertrag bekanntzumachen“, empfiehlt Haarmeyer. Ein Informationsgefälle zulasten einzelner Gläubiger kann Haftungsansprüche begründen. Ein Risiko trifft Geschäftsführer potenziell, wenn Gesellschafter sich nicht einig sind oder sie die Lage positiver einschätzen als ein Gesellschafter, der ein Starug-Verfahren will. „Geschäftsführer müssen nicht jede Weisung umsetzen“, sagt der Insolvenzexperte. Für den Fall, dass Gesellschafter Druck machen, hilft aus seiner Sicht notfalls, den Geschäftsführerposten niederzulegen und dies dem Registergericht anzuzeigen.

Insolvenzrechtler Heidrich erinnert dagegen an die Vorgaben aus Paragraf 1 des neuen Gesetzes, der Geschäftsführern haftungsbeschränkter Gesellschaften Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement vorschreibt. „Der Zeithorizont für dieses mit dem Starug für alle verpflichtende Risikomanagement entspricht mit wenigstens zwei Jahren dem Prognosezeitraum für die drohende Zahlungsunfähigkeit als Voraussetzung für ein Recht auf Insolvenzantragstellung“, sagt er. Das Unternehmen muss nicht nur mit aussagekräftigen fortlaufenden Kennzahlen arbeiten, sondern auch Schwellenwerte festlegen, über deren Eintreten das Aufsichtsgremium informiert werden muss. „Wer als Geschäftsleiter das Risikomanagement sorgfältig führt, braucht sich um Haftung im Fall der Fälle keine großen Sorgen mehr zu machen“, sagt Heidrich.

Für Gesellschafter besteht wie für Aktionäre das Risiko, verdrängt zu werden – sofern sie nicht selbst Geschäftsführer sind und es zu Interessenskonflikten mit Mitgesellschaftern kommt. Im ungünstigsten Fall erfahren sie vom Verlust ihrer Anteile aus den Insolvenzbekanntmachungen oder den Nachrichten – auch dies sieht das Starug nicht vor, aber das Risiko besteht. Im Insolvenzverfahren werden zwar auch Gesellschafteranteile wertlos, aber die Lage ist prekärer, das Verfahren transparenter.

Gesellschafter können zumindest sicherstellen, dass sie vom Beginn eines StaRUG-Verfahrens erfahren. „Indem sie zum Beispiel eine Schutzschrift beim Amtsgericht hinterlegen mit der Aufforderung, sie zu informieren, falls für Gesellschaft XYZ ein Sanierungsverfahren nach dem StaRUG beantragt wird“, schlägt Haarmeyer vor.

„Am besten bei allen Amtsgerichten, das kann der Anwalt über das elektronische Postfach leicht erledigen.“ Damit vermeiden Gesellschafter auch, dass sie mit einem anderen Trick ausgebootet werden: dem Verlegen des Geschäftssitzes zu einem zweckmäßiger scheinenden Gericht – als „Bremer Modell“ bekannt. „Das ist nicht nur ein theoretisches Risiko“, sagt Haarmeyer, „daher lohnt im Fall der Fälle der Zusatzaufwand.“

Einen Gesellschafterbeschluss werden einzelne Gesellschafter kaum einfordern können. Zuletzt entschied Ende August in Stuttgart erstmals ein Oberlandesgericht (OLG), dass für ein StaRUG-Verfahren kein Gesellschafterbeschluss nötig ist, wenn ein Restrukturierungsvorhaben die einzige hinreichend erfolgversprechende Alternative zu einem Insolvenzverfahren ist. Das StaRUG ermögliche ausdrücklich Eingriffe in Gesellschafterrechte, urteilten die Richter (Az.: 6 U 36/23). Ganz so klar ist die Lage aber wegen des Gesellschaftsrechts nicht. Deshalb erwartet Insolvenzexperte Haarmeyer, dass hier das letzte Wort noch nicht gesprochen sein dürfte.

Das gehört in einen StaRUG-Restrukturierungsplan

  • Einführung: Das Unternehmensporträt beschreibt, wie der Geschäftsbetrieb funktioniert und enthält die wichtigsten Kennzahlen.
  • Krisenursachen: Hier schildert der Unternehmer, warum der Betrieb in die Krise geraten ist und warum die Zahlungsunfähigkeit droht.
  • Maßnahmen: Welche Maßnahmen hat der Betrieb ergriffen, um die Krise zu beseitigen? Etwa Einsparungen oder Kreditaufnahme. Erklärt werden muss auch, warum sich die Krise nur durch Verzichte bestimmter Gläubiger beseitigen lässt.
  • Gläubiger: Das Unternehmen muss darlegen, welche Arten von Gläubigern es gibt, inklusive nicht fälliger Forderungen. Auch muss die Auswahl der Gläubiger begründet werden, deren Forderungen gekürzt oder gestundet werden sollen.
  • Grund für Eingriff in Gläubigerrechte: Der Eingriff in die Rechte der ausgewählten Gläubiger muss geeignet sein, die Krise zu beseitigen und die Zahlungsunfähigkeit abzuwenden.
  • Gründe für die Gruppeneinteilung: Die Gläubiger werden je nach wirtschaftlichen Interessen in unterschiedliche Gruppen aufgeteilt, um die erforderlichen Mehrheiten für die Eingriffe in die Rechte der Gläubiger herzustellen.
  • Planung: Zum einen ist eine Unternehmensplanung nötig, die zeigt, wo es hingehen soll. Zum anderen muss erklärt werden, wie sich die Liquidität entwickeln soll.  

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