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Finanzierung > Krupp, Bosch und Co

Stiftungen - die wahre Macht im Hintergrund

Mancher Gründer hat seine Firma in eine Stiftung eingebracht, um sie zu bewahren. Das geht nicht immer gut.

Gut gelaunt, trotz schwieriger Lage: Ursula Gather leitet das Kuratorium der Krupp-Stiftung, die Großaktionär beim angeschlagenen Konzern ThyssenKrupp ist. Bildquelle: © picture alliance/dpa | Christoph Reichwein

„Hinweis von A1“ – wenn so eine Mitteilung bei Bosch im Umlauf ist, folgt hektische Betriebsamkeit. „Hinweise“ sind bei dem Technologiekonzern intern die verniedlichte Form von Anweisung. Kommen sie allerdings von „A1“ – das ist selten – dulden sie keinen Widerspruch. Ihnen begegnet man fast noch ehrfurchtsvoller als Anfragen aus der operativen Geschäftsführung. Dann blitzt kurz jene Macht auf, die sonst bei Bosch eher im Verborgenen handelt, aber an allen bedeutsamen Entscheidungen des Konzerns unmittelbar beteiligt ist: eine Stiftung.

Insgesamt gab es Ende des vergangenen Jahres 25.254 Stiftungen in Deutschland. Die meisten verfolgen soziale oder kulturelle Zwecke. 46,1 Prozent haben soziale Dienste als Zweck in der Satzung stehen, wie der Bundesverband Deutscher Stiftungen ermittelt hat. 33,1 Prozent kümmern sich um Bildung und Erziehung, 29,2 Prozent um Kunst und Kultur. Oft sind mehrere Zwecke genannt. Und ein Teil des Kapitals sind häufig Firmenbeteiligungen. So sieht es bei der Robert-Bosch-Stiftung aus, eine der größten privatwirtschaftlichen Stiftungen in Deutschland und Europa, aber auch bei denjenigen hinter Mahle, Carl Zeiss, ThyssenKrupp, ZF Friedrichshafen, Lidl oder Aldi Nord.

Stiftungen sollen zum Beispiel das Erbe des Gründers sichern, den Einfluss der Familien auf die Geschäfte beschränken oder verhindern, dass sich die Nachfahren überwerfen und dadurch das Unternehmen gefährden. Stiftungen erschweren Investoren den Einstieg. Auch steuerlich können sie interessant sein, schließlich sind viele der Stiftungen gemeinnützig. Sie arbeiten bei Unternehmen oft im Hintergrund, haben aber große Macht. Wie bei Bosch.

A1 steht im Konzern für den Vorsitzenden des Aufsichtsrates, der – wie in allen großen Unternehmen – paritätisch besetzt ist. Getreu den Regeln der Mitbestimmung bekommen dort die Arbeitnehmervertretungen einen Einblick in die Strategie und den Geschäftsverlauf des Unternehmens. Normalerweise können dort Betriebsrat und Gewerkschaften ihre Macht voll ausspielen. Gegen sie geht etwa bei VW so gut wie nichts. Bei Bosch sitzen in dem Aufsichtsgremium mit IG-Metall-Chef Jörg Hofmann und der künftigen Vorstandsfrau Nadine Boguslawski mächtige Vertreter. 

Doch hier läuft das anders. A1 ist gleichzeitig einer der beiden persönlich haftenden Gesellschafter der Robert Bosch Industriehand KG (RBIK) deren einziges Ziel es ist, 93 Prozent der Stimmrechte an dem Technologiekonzern zu verwalten und aktiv mitzubestimmen. So ist die RBIK an allen Strategien, Übernahmen, Schließungen oder Umstrukturierungen beteiligt. Im A1-Büro laufen alle wichtigen Fäden zusammen. Die graue „Bosch-Eminenz“ residiert in der obersten Etage am Konzernsitz auf der Schillerhöhe oberhalb von Gerlingen bei Stuttgart. Die „G“s bei Bosch – die Geschäftsführer – arbeiten hingegen mittendrin im Haus.

Wenig Einfluss von außen

Die RBIK hält die Stimmrechte stellvertretend für die Bosch-Stiftung. Die Treuhandkonstruktion ist nötig, denn gemeinnützige Organisationen dürfen kein operatives Geschäft betreiben. Die restlichen Anteile und Stimmrechte halten die Nachkommen des Gründers Robert Bosch. Der hatte sich schon früh um seine Nachfolge Gedanken gemacht, nachdem sein Sohn gestorben war. 1921 richtete Bosch eine Vermögensverwaltungsgesellschaft ein, die einige Anteile am Unternehmen bündeln sollte. Dem Gründer war immer wichtig, dass seine Firma nicht zu sehr von außen beeinflusst wird. Und er war gemeinnützig tätig. Auch die nach ihm benannte Stiftung betreibt Projekte rund um Gesundheit, Erziehung und Bildung, fördert Begabte, setzt sich für Völkerversöhnung ein.

Nach Boschs Tod 1942 hätten die Testamentsvollstrecker den seinerzeit 14-jährigen Sohn – Robert Bosch junior – an die Leitung des Unternehmens heranführen können. Das Bosch-Management verwarf den Plan nach einigen Jahren, weil der Bosch-Zögling ihrer Ansicht nach doch nicht in der Lage war, das globale Unternehmen zu führen. Darum wurde 1964 die bis heute geltende Stiftungsstruktur eingeführt.

Für Bosch hat die Konstruktion Vorteile. Vor feindlichen Übernahmen sind die Stuttgarter sicher. Das Management muss sich auch nicht an kurzfristigen Erwartungen gieriger Investoren orientieren und den Aktienkurs mit Erfolgsmeldungen befeuern. Nur so sind langwierige Entwicklungen wie Halbleiter und Sensoren für das Schleuderschutzsystem ESP trotz Rückschlägen möglich. Auch die Geschäftsführung profitiert. Fehler wie der Aufbau einer Photovoltaikproduktion mit Milliardenverlusten bleiben folgenlos. Kein Wunder, wenn man genauer hinschaut, wie die RBIK zusammengesetzt ist. Die ehemals „persönlich Haftenden“ Hans Merkle, Herrmann Scholl und Franz Fehrenbach waren zuvor operative Chefs von Bosch.

Der jetzige A1, Stefan Asenkerschbaumer, arbeitete lange Jahre als Finanzchef im Konzern und war einer der acht Kommanditisten der RBIK. Nur der zweite persönlich Haftende – intern A2 – ist mit dem ehemaligen Chef des Maschinenbauers Festo ein Externer. Bosch-Boss Stefan Hartung und sein Vize Christian Fischer gehören ebenfalls zu den Kommanditisten der RBIK und damit zum erlauchten Kreis jener, die den Technologiekonzern im Verborgenen lenken.

„Gerade in Krisen hat sich diese Konstellation als erfolgreich erwiesen. Vor allem die Möglichkeit der ganz kurzen Wege und damit sehr schnellen Entscheidungen ist ein Vorteil von Bosch“, sagt ein Sprecher. Konflikte mit Corporate Governance vermag man nicht zu erkennen: „Dass der ehemalige CEO direkt an die Spitze von Aufsichtsrat und in unserem Fall auch Gesellschafterversammlung tritt, macht sich bei Bosch seit Jahren bezahlt.“ 

Das sieht die Arbeitnehmerseite allerdings anders. „Mit den Regeln von Corporate Governance und Transparenz hat dies natürlich nicht viel zu tun“, sagt ein Gewerkschafter. Die Arbeitnehmervertretungen bekämen im Aufsichtsrat nur Teile dessen mit, was die Konzernleitung bereits vorher innerhalb der RBIK besprochen habe. Gerade in Zeiten der Transformation beim größten Autozulieferer der Welt fühlten sich Betriebsrat und Gewerkschaften abgehängt. „Wir wissen nicht mehr, was das Management plant“, klagte Betriebsratschef Frank Sell im Februar bei einer Pressekonferenz. Ein bemerkenswerter Vorgang, denn traditionell fechten Geschäftsführung und Arbeitnehmerseite ihre Konflikte heftig, aber hinter verschlossenen Türen aus.

Doch diesmal gab es einen historischen Aufstand erlebt. Über das Frühjahr hinweg erhöhten Betriebsrat und IG Metall den Druck. Ihre Forderung: Beteiligung an den Überlegungen schon im frühen Stadium und nicht erst, wenn alles entschieden ist. Womit die Arbeitnehmerseite gedroht hat, wollen die Beteiligten nicht verraten. Angeblich ist das Wort „Häuserkampf“ gefallen. Jedenfalls wirkte die Drohung. Ende Juni einigte man sich darauf, dass auf verschiedenen operativen Ebenen Beratungsgremien eingerichtet werden, in denen Werksleitungen, Topmanagement und Betriebsrat nach „Zielbildern“ für die Segmente im Autozuliefererbereich suchen. Mit einem Umsatz von 52,6 Milliarden Euro geht es hier um das Kerngeschäft von Bosch.

Beim Stuttgarter Konkurrenten Mahle – 11,7 Milliarden Euro Umsatz – bestimmt ebenfalls eine graue Eminenz das Geschehen. Hermann und Ernst Mahle übertrugen das Unternehmen 1964 an die gemeinnützige Mahle-Stiftung. Die Stimmrechte hält der Verein zur Förderung und Beratung der Mahle-Gruppe (Mabeg). Er übt faktisch die Eigentümerfunktion aus. Der Mabeg wiederum gehören sieben Fachleute unter Führung von Heinz Junker an. Der brillante Ingenieur leitete 18 Jahre lang selbst das Unternehmen. Zum Teil sehr eigenwillig, aber erfolgreich. Seit acht Jahren ist er nun Vorsitzender des Aufsichtsrats und Kopf der Mabeg.

Machtfülle ausleben

Der 73-Jährige bleibt auch in der neuen Rolle eigenwillig und lässt alle seine Machtfülle spüren. Mit Arnd Franz hat bereits der vierte Konzernchef auf dem ziemlich wackeligen Mahle-Chefsessel Platz genommen. Zuvor waren Wolf-Henning Scheider, Jörg Stratmann und Michael Frick teils nur sehr kurz an der Spitze des Konzerns, der sich als Hersteller von Kolben und Kühlern gerade neue Geschäftsfelder in der Elektromobilität sucht. Nun muss Franz, der überwiegend bei Mahle Karriere gemacht hat, mit Junker ringen. Der Neue im Chefsessel gilt als durchsetzungsstark. Er könne Junker endlich „einbremsen“, hoffen Mahle-Kenner.

Am Bodensee kontrolliert die Zeppelin-Stiftung den Zulieferer ZF Friedrichhafen, der zuletzt mit etwa 165.000 Mitarbeitern knapp 44 Milliarden Euro umsetzte. Die Organisation beherrscht auch noch die Luftschiffbau Zeppelin und den Baumaschinenhändler Zeppelin. Die Besonderheit hier: Stiftungsträger ist die Stadt Friedrichshafen. Für die Bodensee-Gemeinde hat die Einrichtung eine große Bedeutung: Ihr Haushalt beträgt rund 110 Millionen Euro, der städtische Haushalt an sich ist mit etwa 200 Millionen Euro nur knapp doppelt so groß. Das hat den Effekt, dass auch kommunalpolitische Interessen eine Rolle spielen, wenn bei ZF Wichtiges entschieden wird.

Stadtoberhaupt Andreas Brand hatte 2017 im Aufsichtsrat den Versuch von ZF blockiert, den US-Bremsenhersteller Wabco zu kaufen. Er fürchtete, ZF übernehme sich, weil man zuvor bereits den US-Zulieferer TRW integriert hatte. Aufsichtsratschef Giorgio Behr und ZF-Chef, dem durchaus Unternehmergeist bescheinigt wird, seinen Widerstand auf und die Übernahme konnte ihren Lauf nehmen.

Im Vergleich zu den Stuttgarter Beispielen sind die Abläufe bei ZF dem Vernehmen nach transparenter. Das liegt daran, dass der Zulieferer eine AG-Struktur hat und anderen Regeln unterliegt. Das bedingt einen intensiveren Austausch im Aufsichtsrat. Zudem kann Oberbürgermeister Brand weit weniger selbstherrlich handeln und muss sich mit dem Beirat der Stiftung abstimmen.

Prinzipiell färbt die Gemeinnützigkeit der Stiftungen positiv auf die beherrschten Unternehmen ab. Nicht zuletzt bei der Bewertung durch Kreditgeber und Anleihekäufer, die zunehmend ESG-Kriterien – also auch die soziale Verantwortung und Corporate Governance – berücksichtigen.
Nicht immer läuft es so, wie sich der Stifter das gedacht hat – etwa, um Zwist unter den Erben zu verhindern. Bei Aldi Nord zum Beispiel. Eine komplizierte Struktur aus drei Stiftungen hatte Stifter Theo Albrecht senior ersonnen. Es half nichts. Die Erben stritten jahrelang erbittert vor Gericht. Es ging um Geld, Macht und auch die Richtung des Unternehmens. Persönliches gelangte an die Öffentlichkeit. Dabei ist Diskretion bei der Familie oberstes Gebot. Und wichtige Konzernentscheidungen wurden ausgebremst. Der Streit ist inzwischen im Wesentlichen beigelegt.

Stiftungen handeln auch nicht immer glücklich. Ohne die Krupp-Stiftung, die 21 Prozent an ThyssenKrupp hält, geht nichts bei dem Konzern, der zum Sanierungsfall wurde. Zudem belastet die Geschichte der Stiftung. Sie geht auf den Stahlbaron und verurteilten Kriegsverbrecher Alfried Krupp von Bohlen und Halbach zurück. Nach Recherchen des Historikers Jens Brüggemann war er in Nazideutschland Teil einer Wirtschaftselite „die bereit war, deutsche Kriegserfolge und Besatzungsherrschaft zum eigenen Vorteil auszunutzen“. Insgesamt zeigten sich demnach bei Krupp „keine Vorbehalte oder gar Skrupel“ gegenüber der Ausbeutung von mehr als 100.000 KZ-Häft­lingen.
Stiftungschefin Ursula Gather will nun diese dunkle Seite der Organisation aufarbeiten lassen. Für den angeschlagenen Konzern kommen solche Enthüllungen zur Unzeit. Erst im Frühjahr hat Martina Merz den Chefsessel verlassen, weil die Sanierung nicht vorankam. Sie soll sich auch an den besonderen Strukturen des Konzerns aufgerieben haben, obwohl die Stiftung ihren Kurs mitgetragen hatte. Am Ende ging die Sanierung aus Sicht der Investoren nicht schnell genug voran.

Das bestätige nur, dass Stiftungsunternehmen kaum anders handeln könnten als börsennotierte Konzerne, sagt ein Gewerkschafter, der sich mit solchen Strukturen auskennt, aber nicht genannt werden möchte. Das Management werde auch hier an den Erfolgen gemessen und handle entsprechend. Aber: „Immer noch besser als die undurchsichtigen Entscheidungswege in klassischen Familienunternehmen.“

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