Swift: EU zündet die erste Stufe der Finanzbombe
Auf der Liste der Sanktionen gegen Russland gibt es einen rot unterstrichenen Punkt: der Ausschluss aus dem internationalen Zahlungssystem Swift. Er trifft Russland schwer, auch wenn nicht sofort alle russischen Banken betroffen sein sollen. Die Energielieferungen sind gefährdet, Westeuropa bringt sich damit selbst in Bedrängnis und die weltweiten Märkte geraten in einen Abwärtsstrudel. Ist das der Preis, den wir zahlen müssen, oder kommt noch mehr?
David Watson war Anfang Ferbruas noch guter Dinge, kein Stirnrunzeln, keine Anzeichen von Unsicherheit. Der Chefstratege von Swift, jenem internationalen Zahlungssystem, zu dem sich rund 11 000 Banken weltweit zusammengeschlossen haben, verkündete an seinem Hauptsitz in dem kleinen belgischen Örtchen La Hulpe: "Das signifikante Wachstum des Datenverkehrs über unser Netzwerk um 11,2 Prozent im vergangenen Jahr zeigt das Vertrauen, das die Finanzwelt in Swift setzt.“ Es sei eine Bestätigung der Strategie, "den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr weiter zu revolutionieren.“ Kein Sterbenswort verlor Watson darüber, dass dieses Vertrauen der größten Prüfung unterzogen werden könnte, die das Zahlungssystem jemals erlebt hat. Er sagte nichts darüber, dass das ganze System möglicherweise explodieren könnte und zu einer Art finanziellen Atombombe im internationalen Zahlungsverkehr wird. Nein, am 3. Februar, als Watson Bilanz zog, blieb in Le Hulpe alles friedlich. Im vergangenen Jahr wurden täglich durchschnittlich 42 Millionen Zahlungen und Wertpapiertransaktionen über Swift abgewickelt. Vier Milliarden Konten in 200 Ländern verbindet die Organisation mit Hauptsitz in Belgien, die damit eine der wenigen globalen Finanzorganisationen ist, die nicht von den USA dominiert werden.
Hierzulande kennt jeder den Swift-Code vom Überweisungsformular seiner Bank. Die Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication, so der ausgeschriebene Name von Swift, ist wie eine Genossenschaft organisiert und stellt jenes hochgesicherte System bereit, über das Banken letztlich ihren gesamten internationalen Zahlungsverkehr abwickeln. Doch in der Organisation und in der Folge im internationalen Zahlungssystem bleibt kein Stein auf dem anderen bleiben, und das dürfte Watson in Wahrheit bereits Anfang Februar geahnt haben. Denn seit Russlands Umzingelung der Ukraine steht Swift im Mittelpunkt politischer Spekulationen. Seit Putins Angriff wurde es noch enger für den internationalen Zahlungsdienstleister. Und seit dem Wocheende ist klar: Russlands baken fliegen teilweise aus dem System. Der Grund: Die westliche Welt ist entschlossen, auch Sanktionen, die sie selbst nicht unberührt lassen, gegen Russland auf den Weg bringen will, ein Ausschluss russischer Banken vom Swift-Zahlungssystemgehört dazu.
Der Westen gegen Moskau
Die Dynamik bis zu diesem Punkt war nicht mehr aufzuhalten. Vor wenigen Tagen sagte beispielsweise Jan Kusber, Osteuropa-Spezialist der Mainzer Johannes Gutenberg Universität: Der Westen müsse hart gegen Moskau vorgehen. Dazu gehöre auch "der Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungsverkehrssystem Swift“. Darauf stimmten Politiker ein. "Russland begeht mit dieser Tat ein Verbrechen gegen den Frieden“, sagt der tschechische Präsident Milos Zeman. Es sei an der Zeit, zu weit härteren als den ursprünglich geplanten Sanktionen zu greifen. Er fordert den Ausschluss Russlands aus Swift. Die drei baltischen EU-Staaten Estland, Lettland und Litauen stimmen ein, die Ukraine fordert es sowieso. Der deutsche Europa-Politiker an. Reinhard Bütikofer (Grüne), EU-Parlamentarier, sagte dem Handelsblatt: Die EU müsse ihre wirtschaftlichen Sanktionen sehr hart bemessen muss. "Dazu gehört meines Erachtens auch der Ausschluss Russlands vom Zahlungssystem Swift.“ Und am Sonntag war es dann soweit:
Die EU beschloss, was eine Mehrheit wollte. Nur wenige russsische Banken sollen von dem Bann ausgenommen bleiben. Die weltweiten Finanzmärkte müssen das jetzt verkraften. Die Gefahr von Marktverwerfungen ist groß, denn Überweisungen von und nach Russland, wie sie derzeit funktionieren, sind nicht mehr möglich. Der Handel liegt am Boden. Als diese drakonische Strafe schon einmal diskutiert wurde, 2014 anlässlich der russischen Besetzung der Krim, taxierte das Finanzministerium in Moskau den Einbruch der Wirtschaftsleistung auf fünf Prozent. Der Vertreter der Landesbank Hessen-Thüringen in Moskau, Heinrich Steinhauer, sagte der Nachrichtenagentur Reuters: Der Swift-Ausschluss sei "eine Art Atombombe" mit katastrophalen Folgen nicht nur für russische Banken und Unternehmen, sondern auch für viele deutsche. Der Ausschluss komme einem gigantischen Schuldenerlass für russische Kunden gleich, weil Rückzahlungen von Verbindlichkeiten an die Banken nicht mehr möglich sind. Mit dem Zahlungsverkehr werden wohl auch russische Gas- und sonstige Rohstofflieferungen nach Europa praktisch zum Erliegen kommen, was zu einer Preisexplosion und möglicherweise verheerenden Engpässen führen kann. Dazu kommt: EU und Amerikaner haben beschlossen russisches Zentralbankgeld, vor allem die Devisen, nicht mehr anzunehmen. Es ist damit mit einem Schlag wertlos.
Alternativen zu SWIFT
Der politisch gewollte Teilzusammenbruch von Swift wird Alternativen den Weg bahnen. So wie Homeoffice und die Video-Übertragung in der Pandemie plötzlich boomten, könnten sich unter harten Sanktionen Alternativen zu Swift etablieren: Kryptowährungen zum Beispiel. Oder auch für das von Russlands Zentralbank selbst im Zuge der Krim-Invasion entwickelte alternative Zahlungssystem namens SPFS. Möglicherweise könnten Russlands Finanzinstitutionen auch über Chinas System CIPS Zahlungen abwickeln. Kürzlich gaben beide Ländern bekannt, eine gemeinsame Swift-Alternative entwickeln zu wollen. All diese Alternativen stecken noch in den Kinderschuhen. Der Krieg und die Sanktionen können sie nun in Windeseile erwachsen werden lassen. Swift ist eine Organisation, die dem EU-Recht unterliegt. Direkte Einflussmöglichkeiten auf die Truppe um Watson sind schwierig. Doch wo ein Wille ist, ist auch ein Weg: 2012 beschloss der US-Kongress finanzielle Sanktionen gegen Manager der Organisation, sollten diese weiterhin den Zahlungsverkehr mit iranischen Banken abwickeln. Die Regierungschefs der EU schlossen sich an: Schließlich wurden iranische Banken aus dem Kommunikationssystem ausgesperrt, die wirtschaftlichen Folgen für den iranischen Ölexport und Außenhandel waren dramatisch. Auch Nordkorea 2017 und die afghanischen Taliban flogen im vergangenen Jahr aus dem System. Als 2014 nach der Annexion der Krim durch Russland schon einmal über einen Swift-Ausschluss debattiert wurde, sprach der damalige russische Regierungschef Dimitri Medwedew von einer "Kriegserklärung". Am Wocheende, nachdem die Entscheidung zu Swift gefallen war, setzte Russen-Diktator Wladimir Putin die Gefechtsmannschaften der militärischen Atomraketen in Alarmbereitschaft.