Tariftreue-Gesetz: Großer Aufschrei aus der Wirtschaft
Tariftreuegesetz eskaliert: Wirtschaft und FDP gegen SPD und Grünen – Kommt die Auftragsvergabe zum Stillstand?
Die Idee klingt gut: Wer den Staat mit Waren und Dienstleistungen beliefert soll sich an geltende Tarifverträge halten. Diesen Gedanken wollen vor allem SPD und Grüne in ein Gesetz gießen. Im Blick der Politik ist vor allem die Bauindustrie. Der Bund vergibt jedes Jahr Aufträge im Volumen von 300 Milliarden Euro. Davon profitiert beispielsweise die Bauwirtschaft bei der Sanierung von Autobahnen und Schienennetz. Die öffentliche Hand ist dabei gesetzlich verpflichtet immer den günstigsten Anbieter zu beauftragen. Das so genannte Tariftreuegesetz soll dabei verhindern, dass der Kostenwettbewerb zwischen den einzelnen Anbietern nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird. Das Gesetz soll auch für Subunternehmen gelten. Der Hauptauftragnehmer wäre also dafür verantwortlich, dass alle beteiligten Gewerke den Tarif einzuhalten. Andernfalls drohen Strafzahlungen oder sogar der Entzug des öffentlichen Auftrags.
Gegen das von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) betriebene Gesetz regt sich allerdings erheblicher Widerstand aus der Wirtschaft. Der aktuelle Vorstoß sei wirklichkeitsfremd und wirtschaftsfeindlich, rügt der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter.
Besonders im stark mittelständisch geprägten Südwesten ist die Aufregung groß: „Tarifzwänge setzen keine Anreize, sich freiwillig in die Tarifbindung zu begeben, sondern verringern diese Anreize sogar“, meint Oliver Barta, Hauptgeschäftsführer der Unternehmer Baden-Württemberg (UBW). „Hinzu kommt der Zuwachs an Bürokratie und ein Kostenschub für die Haushalte des Bundes durch ein solches Gesetz. Beides wäre in der Phase einer schwachen wirtschaftlichen Entwicklung, in der wir uns leider befinden, kontraproduktiv. Aus meiner Sicht sollte die Ampel dieses Vorhaben aufgeben“, legt Landeswirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) nach.
Vergabeverfahren des Bundes noch komplizierter?
In Baden-Württemberg besteht allerdings schon seit 2013 eine derartige Vorgabe. Demnach dürfen öffentliche Aufträge für Bau- und Dienstleistungen ab 20.000 Euro nur an Unternehmen vergeben werden, die den Mindestlohn halten oder sich an den Vorgaben des jeweiligen Tarifvertrags halten. Das gibt jeweils das Land bei der Vergabe des Auftrags vor. Im Zuge des Bürokratieabbaus im Südwesten war auch diese Regelung in den Fokus geraten. „Das Landestariftreue- und Mindestlohngesetz steht nicht zur Disposition“, so Wirtschaftsstaatsekretär Patrick Rapp (CDU) im Frühjahr. Bis auf Bayern und Sachsen haben alle Länder bereits ähnliche Vorgaben eingeführt.
Aus Sicht der UBW wird durch das Gesetz das Vergabeverfahren des Bundes noch komplizierter. „Das wird vor allem kleine und mittlere Unternehmen von einer Beteiligung bei Ausschreibungen um öffentliche Aufträge abschrecken“, so Barta. Schon heute gebe es bei 30 Prozent der Ausschreibungen des Bundes nur einen Bewerber. Dann werden es noch weniger, und die Projekte deutlich teurer – „und dies bei klammen öffentlichen Kassen.“
Das scheint auch Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) so zu sehen. „Das Gesetz ist schlicht innerhalb der Bundesregierung nicht fertig. Ich kann keine Verantwortung dafür übernehmen, wenn andere mit unfertigen Vorlagen an die Öffentlichkeit gehen", sagte der FDP-Chef der „Rheinischen Post“.
Lindner fordert eine Entlastung der Unternehmen von bürokratischen Hürden an anderer Stelle, sollte das im Koalitionsvertrag bereits vereinbarte Gesetz kommen. Durch die Blockade der FDP ist innerhalb der Ampel ein neuer heftiger Streit ausgebrochen. „Das Tariftreuegesetz kommt. Es aus falsch verstandener Wirtschaftsfreundlichkeit aufhalten zu wollen, ist nicht sehr klug von der FDP“, wettert die SPD-Vorsitzende Saskia Esken. Frank Bsirske (Grüne) - Mitglied des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales - bezeichnet das Vorgehen der Finanzminister als „Trickserei“. Ein Angriff auf diese Regelung sei ein „substanzieller Angriff auf die Koalition“, so der frühere Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Er weiß deshalb, wie sehr das Vorhaben die Gewerkschaften stärken würde, die durch den demografischen Wandel und schwindenden Organisationsgrad immer mehr an Gewicht verlieren.
Wenige Betriebe mit Tarifbindung in Deutschland
In Deutschland sind nicht einmal die Hälfte aller Arbeitsplätze tarifgebunden, auch weil Unternehmen oft aus Arbeitgeberverbänden aussteigen und eigene Regelungen treffen. Vor allem viele kleine und mittelständische Betriebe gehen diesen Weg. In der Praxis orientieren sie sich jedoch an den jeweiligen Tarifvereinbarungen. Schon um die begehrten Fachkräfte halten zu können. Besonders wenige Betriebe mit Tarifbindung gab es in den Bereichen Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, Gastgewerbe, Kunst, Unterhaltung und Erholung sowie Grundstücks- und Wohnungswesen.
Sägen an der Tarifautonomie?
Als Ärgernis bezeichnet der UBW-Hauptgeschäftsführer, dass mit dem geplanten Gesetz „quasi durch die Hintertür“ auch Änderungen im Betriebsverfassungs- und im Tarifvertragsgesetz vorgenommen werden sollen. So ist geplant, die Nachbindung an Tarifverträge bei Umstrukturierungen von Betrieben deutlich zu verschärfen. Weiter sollen Gewerkschaften ein gesetzlich verbrieftes digitales Zugangsrecht zu den Betrieben und ihren Beschäftigten erhalten.
Nach den Einmischungen bei der Mindestlohnfindung sägt die SPD aus Sicht der Südwest-Unternehmer damit zum wiederholten Male an der Tarifautonomie: „Dies beschädigt diesen grundgesetzlich geschützten Grundpfeiler unseres Erfolgsmodells der Sozialen Marktwirtschaft nachhaltig“, so Barta. „Nach meinem Verständnis ist die Tarifpolitik Aufgabe der Sozialpartner. Sie müssen sich auch Gedanken über die Attraktivität der Tarifverträge und die Stärkung der Tarifbindung machen“, betont Hoffmeister-Kraut.
Tatsächlich ist die Tarifautonomie durch Artikel 9 im Grundgesetz verankert. Die Verfassung sichert zu, dass Vereinbarungen zu Arbeitszeit oder Entgelt ohne staatliche Eingriffe getroffen werden können. Deshalb soll eigentlich auch die unabhängige Monopolkommission über die Höhe des Mindestlohns befinden In der Praxis schert sich die Politik immer weniger darum.
Die jüngsten Erhöhungen auf jetzt 12,41 Euro hat die Bundesregierung ohne Abstimmung mit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden einseitig vorgegeben. Dabei verschieben sich mit diesen Eingriffen am Ende auch die Entgelttabellen im Tarifbereich, was die Lohnkosten insgesamt in die Höhe treibt. Dennoch hat Kanzler Olaf Scholz schon den nächsten Schritt im Blick. Er peilt bereits eine Steigerung des einen Mindestlohn erst auf 14 und dann auf 15 Euro an.