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Recht und Steuern > neue Gesetzesvorgaben

TÜV-Prüfung für Nachhaltigkeit

Zahlreiche Gesetze von EU und Bundestag betreffen Unternehmen. Ein Überblick darüber, was sich in diesem und im nächsten Jahr ändert.

KI Nachhaltigkeit
Klare Sache: Die EU arbeitet an neuen Regeln für Werbung mit allgemeinen Aussagen zur ökologischen Produktqualität. Künstlicher Intelligenz hat sie bereits Grenzen gesetzt.Bild: Shutterstock

Im Regal manch eines Unternehmers stehen neben drei sehr dicken Wälzern für Juristenhände noch anderthalb Meter Gesetze und Verordnungen. „Die Anforderungen allein beispielsweise rund um IT-Sicherheit oder auch Datenschutz sind in den vergangenen Jahren immer juristischer geworden“, sagt Frank Schemmel, Compliance- und Securityspezialist bei DataGuard. „Vor allem Mittelständler brauchen ein juristisches Grundhandwerk, um dem gewachsen zu sein.“ Und die Anforderungen steigen.

Mehr Rechte gegenüber Onlineplattformen 

Seit dem 17. Februar gibt das Gesetz über digitale Dienste, der Digital Markets Act der EU, Mittelständlern gegenüber Onlineplattformen mehr Rechte. Es soll illegale oder schädliche Onlineaktivitäten sowie die Verbreitung von Desinformation verhindern und das gesamte digitale Geschäftsfeld fairer gestalten. Große Plattformen dürfen in ihren Suchmaschinen ihre eigenen Services nicht mehr gegenüber den Angeboten anderer bevorzugen. Plattformbetreiber müssen ihren Benutzern ermöglichen, alle vorinstallierten Apps einfach zu deinstallieren. Standardeinstellungen, die zu den Produkten oder Diensten des Betreibers führen, müssen einfach zu ändern sein. Personenbezogene Daten der Nutzer dürfen sie nicht mehr ohne ausdrückliche Einwilligung verarbeiten.

Onlinemarktplätze, soziale Netzwerke, Content-Sharing-Plattformen, App-Stores sowie Reise- und Unterkunftsportale fallen unter das Gesetz über digitale Dienste. Den betroffenen Betreibern drohen bei Verstößen Geldbußen von bis zu zehn Prozent ihres weltweiten Gesamtumsatzes, bei Wiederholung sogar bis 20 Prozent. Auch Zwangsgeld bis fünf Prozent des durchschnittlichen Tagesumsatzes und Zwangsveräußerungen sind möglich. Das Oberlandesgericht Karlsruhe entschied bereits auf Basis des Gesetzes, dass eine umsatzabhängige Provision einer Apotheken-Plattform unzulässig ist, eine monatliche Pauschale dagegen erlaubt. 

Klare Regeln für Lieferketten

Überraschend haben sich die EU-Länder auf das umstrittene EU-Lieferkettengesetz geeinigt. Das Gesetz geht in einigen Punkten über das seit 2023 geltende deutsche Lieferkettengesetz hinaus. EU-Unternehmen ab 1000 Beschäftigten und mindestens 450 Millionen Euro Umsatz müssen damit künftig kontrollieren und dokumentieren, dass von ihnen importierte Produkte aus Drittländern dort nicht zu Kinderarbeit, Umweltschäden oder sonstigen Menschenrechtsverletzungen führen. Das hat Folgen auch für mittelständische Zulieferer, die kleiner sind, den Abnehmern aber dennoch saubere Arbeit nachweisen müssen.

Regeln für KI

Als erster Wirtschaftsraum hat die EU künstliche Intelligenz rechtlich eingehegt. Der AI Act teilt entsprechende Systeme in Risikogruppen ein. Die der höchsten Kategorie sind verboten, etwa zur Gesichts- oder Emotionserkennung am Arbeitsplatz. Kontrolliert werden müssen nach dem Gesetz beispielsweise Sicherheitskomponenten in medizinischen Geräten, Aufzügen, bestimmten Fahrzeugen und Flugzeugen. Unter strengen Anforderungen erlaubt sind KI-Systeme, die „erhebliches Schadenspotenzial“ etwa für die Demokratie, die Gesundheit oder die Sicherheit haben. Als weniger riskant eingestuft sind Chatbots oder Programme, die Fälschungen ermöglichen. Hier gelten Transparenzvorgaben. Das KI-Gesetz tritt 20 Tage nach der Veröffentlichung im EU-Amtsblatt in Kraft, die im Mai oder Juni 2024 erwartet wird. Es gesteht Betroffenen Beschwerdemöglichkeiten zu und sieht für Unternehmen Geldbußen bis 35 Millionen Euro oder sieben Prozent des weltweiten Umsatzes vor.

Weniger digitale Barrieren

Ein neues Gesetz verpflichtet Unternehmen, bis 2025 digital barrierefrei zu sein. Die entsprechende EU-Richtlinie fordert, dass es möglich sein muss, Produkte und Dienstleistungen mindestens über zwei Sinne wahrzunehmen. So kann zum Beispiel ein Text zu lesen und zu hören sein. Menschen, die beeinträchtigt sind, sollen so leichter Informationen bekommen und Produkte besser nutzen können. Das Gesetz gilt für digitale Anwendungen an Computer, Tablets, Geld- oder Ticketautomaten, Mobiltelefonen, Routern, Fernsehern mit Internetzugang sowie E-Book-Lesegeräten. Auch für Telefon-, Messenger- und Internetzugangsdienste sowie die Personenbeförderung, Bankdienstleistungen und den Onlinehandel greifen Regeln vom 28. Juni 2025. Für Selbstbedienungsterminals gilt eine Übergangsfrist von 15 Jahren. Die Länder sollen die Anforderungen zur Barrierefreiheit überwachen. Verbraucher, Verbände und Unternehmen mit Blick auf Wettbewerbsrecht können Beschwerden einreichen. Als Sanktionen sind Vertriebsverbote, Abmahnung und/oder Bußgeld bis 100.000 Euro möglich. 

Für Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten oder maximal zwei Millionen Euro Jahresumsatz sollen Ausnahmen gelten. Allerdings greifen die nur für Dienstleistungen – bietet ein Shop Produkte an, muss er auch als Kleinstbetrieb barrierefrei sein. Hilfe bietet die Bundesfachstelle Barrierefreiheit.

Verbandsklagen erleichtert

Bereits im Oktober 2023 ist das Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz in Kraft getreten. Es setzt die EU-Verbandsklagerichtlinie in nationales Recht um – und hat es in sich. Erstmals können damit Verbraucherverbände nicht nur Missstände für eine Vielzahl Betroffener mit einer einzelnen Klage unterbinden, sondern zugleich eine Entschädigung für alle Betroffenen erstreiten. Vorgesehen sind gerichtliche Vergleiche oder dass das Gericht die Höhe einer einheitlichen Entschädigungssumme für alle Betroffenen festsetzt. Als Initiatoren kommen Verbraucherverbände infrage, die beim Bundesamt für Justiz als klagebefugt gelistet sind: die Verbraucherzentralen der Länder, Verbraucherschutz- und Mietervereine, Automobilclubs, Umweltorganisationen, aber auch Organisationen aus den EU-Mitgliedsstaaten. Der klagebefugte Verband muss darlegen, dass mindestens 50 Verbraucher vom rechtswidrigen Gebaren des beklagten Unternehmens betroffen sind. Verbraucher, aber auch Kleinunternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern und maximal zwei Millionen Euro Umsatz, können sich einer Klage kostenlos anschließen.

Änderungen bei der Erbschaftssteuer

Mit dem Wachstumschancengesetz bekommt der Staat mehr Zugriff bei der Erbschaftssteuer. So kann sie nun auch erhoben werden, wenn weder der Erblasser noch die von ihm bedachte Person ihren Wohnsitz in Deutschland haben oder sich hier gewöhnlich aufhalten. Die beschränkte Erbschaftsteuerpflicht greift, wenn sogenanntes Inlandsvermögen vererbt oder vermacht wird, wie beispielsweise ein inländisches Grundstück.
Mit einer weiteren Neuerung kommt der Gesetzgeber einer höchstrichterlichen Entscheidung rund um eine Gesetzeslücke zuvor, die für den steuerfreien Vermögensübertrag genutzt werden kann. In dem viel beachteten Fall geht es um eine mittelbare Schenkung über eine Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA), die bei der Schenkung zwischengeschaltet wurde. Die Revisionsentscheidung des BFH (Az.: II R 23/23) steht noch aus. Doch der Gesetzgeber definiert diese Gestaltung nun vorsorglich als steuerpflichtige Schenkung. Diese Änderung gilt rückwirkend. 
Möglicherweise ändern sich auch die Freibeträge bei der Erbschaftssteuer – erstmals seit 15 Jahren. Das Land Bayern hat ein entsprechendes Normenkontrollverfahren auf den Weg gebracht.

Zwingende Sicherheit mit NIS-2

Die europäische Network-and-Information-Security-Richtlinie 2.0 (NIS2) macht als wesentlich oder wichtig geltenden Unternehmen Vorgaben für IT-Grundschutz, Netzwerksicherheit, regelmäßige Backups sowie Zugangskontrollen. NIS-2 soll am 18. Oktober 2024 in Kraft treten. Das deutsche Gesetz dazu könnte sich verzögern. Doch Unternehmen sollten die notwendigen Schritte umsetzen und auch die mit NIS-2 vorgeschriebenen Dokumentationspflichten ernst nehmen. Dazu rät Axel Amelung, Leiter Vertrieb bei TÜV Trust IT, auf dem Karrierenetzwerk Linkedin. 
„Jede betroffene Einrichtung soll diese Dokumentation dem BSI auf Anfrage unmittelbar zur Verfügung stellen können“, schreibt Amelung. Die Behörde betrachte die Dokumentation als Nachweis der Umsetzung. Das drohende Bußgeld ist hoch, für besonders wichtige Einrichtungen bis zu zehn Millionen Euro oder zwei Prozent des Jahresumsatzes. „Dabei ist der höhere Betrag maßgeblich“, erklärt André Glenzer, PwC-Partner für Cybersecurity & Privacy. „Bei wichtigen Einrichtungen belaufen sich die Bußgelder auf bis zu sieben Millionen Euro oder 1,4 Prozent des Jahresumsatzes, wobei auch hier der höhere Betrag entscheidend ist.“

Klare Nachhaltigkeitsversprechen

Mit zwei Richtlinien will die EU-Kommission Greenwashing unterbinden. Die Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel soll dafür sorgen, dass Verbraucher erkennen können, ob Aussagen zutreffend sind oder mit wenig handfesten Umweltaussagen ein vielleicht falscher Eindruck erweckt wird. Sie verbietet allgemeine Umweltaussagen wie „umweltfreundlich“, „natürlich“, „biologisch abbaubar“, „klimaneutral“, „ökologisch“ – sofern sie nicht nachgewiesen sind. Positive Aussagen über die Umweltwirkung eines Produkts dürfen nicht mehr mit Emissionsausgleichssystemen begründet werden. Klimaneutrales Fliegen dank Geld für Aufforstung zum Beispiel. Es soll nur noch Öko-Label oder Nachhaltigkeitssiegel geben, hinter denen ein Zertifizierungssystem steht, und ein einheitliches Etikett für Garantieinformationen. Auch dürfen mit der neuen Richtlinie nur reparierbare Waren als solche beworben werden.

Die Green-Claims-Richtlinie greift tiefer. „Sie sieht vor, dass jede nachhaltigkeitsbezogene Werbeaussage, also alle Claims, mit wissenschaftlichen Gutachten belegt und zertifiziert werden sollen“, sagt Constantin Eikel, Partner in der Sozietät Bird & Bird in Düsseldorf. Alle Aussagen sind betroffen, in denen Unternehmen ein Produkt, eine Dienstleistung oder auch ihr Unternehmen oder gar dessen künftiges Handeln als besonders nachhaltig, umwelt- und naturschützend darstellen. 

Beide Anti-Greenwashing-Richtlinien gehen weit über bestehende Regeln gegen irreführende Werbung hinaus. „Derzeit können Unternehmen nur nachträglich Ärger bekommen“, hebt Eikel hervor. „Im Gegensatz dazu sollen Unternehmen mit der Green Claims Directive künftig ihre irgendwie auf Umweltaspekte, Nachhaltigkeit, Klimaschutz oder sonstige grüne Themen abzielenden werblichen Informationen vorab einer Art TÜV-Prüfung unterziehen.“ Durchaus wörtlich, denn vermutlich wird der TÜV hierzulande Kontrollinstanz.

Dann werden Unternehmen ihre grünen Claims auf Verpackungen, Werbematerialien oder rund um eine Produkteinführung vorab nachweisen müssen. Und Eikel zufolge Antworten auf Fragen liefern müssen wie: Ist ihre Aussage über die ökologischen Vorteile oder Eigenschaften ihres Produkts zutreffend? Ist sie signifikant? Ist sie wissenschaftlich fundiert? „Werben dürfen Unternehmen nach der Direktive dann nur noch mit anerkannten, hervorragenden Umweltleistungen“, erläutert der Anwalt. „Sie dürfen auch keine zutreffenden, aber sowieso aus rechtlichen Gründen von ihnen verlangten Selbstverständlichkeiten hervorheben.“ Der DIHK rechnet mit Kosten von mehr als 50.000 Euro, wenn eine einzelne grüne Aussage zertifiziert wird.

Dass eine Werbeaussage triftig ist, können Unternehmen beispielsweise mit einer ISO-Zertifizierung in einem für den werblichen Inhalt relevanten Bereich nachweisen. Maßgeblich sollen Lebenszyklusanalysen werden, wie der von der EU entwickelte Umweltfußabdruck eines Produkts sowie andere – teils noch nicht festgelegte – Kriterien. Umwelt- und Gütesiegel sind kein geeignetes Argument, sondern müssen nach der Verbraucherstärkungsrichtlinie überprüft werden.

Beide Richtlinien beziehen sich auf Werbung für Konsumenten, werden aber auch B2B-Unternehmer betreffen, wie Eikel erwartet. Hersteller müssten ihren Kunden die Daten zur Verfügung stellen können. „Das vom jeweiligen Mitgliedsstaat festgelegte Strafmaß für Verstöße wird nicht unter maximal vier Prozent vom Umsatz liegen“, vermutet Eikel: „Des Unternehmens – nicht des Produkts.“

Die Green Claims Directive ist noch in Arbeit und wird wohl nicht vor Sommer 2024 verabschiedet. Noch ist nicht klar, an welchen Stellen sie abgeschwächt werden könnte. Doch Unternehmen sollten schon mit ihr planen. „Sie können dann nicht mehr kurz vor knapp noch irgendeine Kleinigkeit in irgendeiner Präsentation ändern oder auch nur aktualisieren, denn die muss ja geprüft werden“, sagt Eikel. Er rät: „Wer Claims hat, die er belegen kann, sollte seine Kampagne besser am Tag vor Inkrafttreten der Green Claims Directive starten als am Tag danach.“

Pflicht zur E-Rechnung

Nicht vergessen sollten Unternehmer die Verpflichtung, im B2B-Bereich E-Rechnungen zu versenden. Auch die ist im Wachstumschancengesetz festgeschrieben. Vom 1. Januar 2025 an muss jedes Unternehmen im B2B-Geschäftsverkehr in der Lage sein, E-Rechnungen zu erhalten und zu verarbeiten. Dann entfällt der Vorrang der Papierrechnung beim Versand und jedes Unternehmen kann im B2B-Bereich E-Rechnungen versenden. Unternehmen mit einem Vorjahresumsatz von mehr als 800.000 Euro müssen von 2027 an E-Rechnungen versenden, von 2028 an dann alle Unternehmen im B2B-Bereich. Steuerfreie Lieferungen und Leistungen sowie Kleinbetragsrechnungen bis 250 Euro und Fahrausweise sind von der Pflicht ausgenommen.

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