Warenkreditversicherungen boomen: Mittelstand wappnet sich gegen Zahlungsausfälle
Angesichts steigender Insolvenzen und verschlechterter Zahlungsmoral setzen immer mehr Unternehmen auf Absicherung ihrer Forderungen.

In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit rückt ein Finanzinstrument verstärkt in den Fokus: die Warenkreditversicherung. Denn Überweisungen verzögern sich. Die Insolvenzgefahr steigt. Auch kleine Firmen nutzen daher Warenkreditversicherungen. Der Kontakt zu den Anbietern lohnt sich. Besonders der Mittelstand entdeckt die Vorteile dieser Absicherung für sich - ein Trend, der die gesamte Wirtschaftslandschaft prägt.
Von Midia Nuri
Bedingt zahlungsfähig: Unternehmen unter Druck
In wirtschaftlich unsicheren Zeiten ist die Absicherung vor Verlust zuweilen ein Kräftemessen. Zum Beispiel, wenn der Spezialpapierhersteller Feldmuehle aus dem schleswig-holsteinischen Uetersen seine Paletten oder Container mit nassfestem Spezialpapier für Getränkeetiketten oder Verpackungen an Druckereien in Asien liefert. „Wir lassen die Ware per Containerschiff anliefern, aber der Kunde bekommt die Dokumente für die Produkte erst nach der Bezahlung", sagt Bernd Weber, in der Geschäftsführung für die Finanzen verantwortlich. Das ist die Nummer Sicher – und damit der Weg der Wahl in Ländern oder Fällen, für die die Warenkreditversicherung keine Absicherung bietet. „Falls dann eine Zahlung ausbleibt, liegt die Ware zwar vielleicht in einem fremden Land", sagt Weber. „Aber wir können sie weiterverkaufen oder schlimmstenfalls wieder zurückholen."
Herausforderungen im internationalen Geschäft
Je weiter das Land entfernt ist, desto schwieriger sei es, die Außenstände durch die Warenkreditversicherung abzusichern, weiß Weber. Einen Vertrag hat der Marktführer für nassfeste Etikettenpapiere mit einem Anteil von rund 40 Prozent dennoch. „Unsere Maßgabe ist, dass wir möglichst jeden Kunden und jede Lieferung absichern", sagt Weber. Mindestens 80 Prozent der insgesamt rund 100 Millionen Euro Umsatz pro Jahr ist das Ziel. Denn jede einzelne Lieferung birgt ein bedeutendes finanzielles Risiko. „Unsere Kunden sind große Druckereien, die beispielsweise die Etiketten für bekannte Softdrinks oder große Brauereien drucken", berichtet der Finanzchef. Der Wert der Warenauslieferungen ist beträchtlich. In der Regel sind es jeweils mindestens zehn bis 20 Paletten von je 700 Kilogramm Etiketten- oder Verpackungspapier. Es können aber auch Container mit je 200 bis 300 Tonnen Gewicht sein.
Gerade in Asien ist derzeit nur schwer, Versicherungsschutz zu bekommen. „Für Lieferungen in Länder Lateinamerikas, die früher schwierig waren, gibt es heute zumindest Hermes-Deckungen", sagt Weber. „In Deutschland und Europa ist die Absicherung über die Warenkreditversicherung kein Problem." Hier bekommt Feldmuehle für praktisch alle Kunden Schutz. „Wenn es nicht ein Kunde ist, für den die Versicherung gerade Alarmsignale verzeichnet – dann gibt es für bereits verschickte Ware die Nachlaufdeckung", erklärt Weber. „Für noch nicht verschickte Ware zahlt der betreffende Kunde in einem solchen Fall Vorkasse."
Steigende Bedeutung von Warenkreditversicherungen
Was oft übersehen wird: Es sind nicht die Banken, die Unternehmen den meisten Kredit geben – es sind andere Unternehmen, die zuliefern. Stolze 86 Milliarden Euro schuldeten Unternehmen hierzulande ihren Zulieferern, errechnete die Creditreform für 2023 über ihr Debitorenregister aus rund 26 Millionen branchenübergreifenden Zahlungserfahrungen. Um sich vor Verlusten zu schützen, schließen derzeit auch immer mehr kleine Mittelständler, die zuvor unversichert waren, eine Warenkreditversicherung ab.

Gefahr durch Corona-Hilfen
Krisen, wohin das Auge blickt. „Der Ukraine-Krieg, der Krieg in Nahost, die sich wandelnde Demografie und andere strukturelle Faktoren", zählt Jochen Boehm auf, Risikochef des Warenkreditversicherers Coface. „Schon vor der Pandemie hatten wir massive Veränderungen. Das bricht sich jetzt Bahn." Und betrifft mittlerweile auch den bisher vergleichsweise stabilen Kern der potenziell abzusichernden Kundschaft. „Schwierig ist also nicht mehr nur – wie in besseren Zeiten – die Baubranche, sondern auch die Automobilindustrie und Autozulieferer", sagt Tobias Engelbauer, der bei Coface das Mittelstandsgeschäft verantwortet. „Auch der Maschinenbau und leider sogar Bereiche wie die erneuerbaren Energien sind schwierig", ergänzt Risikochef Boehm.
„Viele der staatlichen Subventionen aus der Corona-Zeit müssen nun zurückgezahlt werden", sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform. Die verschlechterte Zahlungsmoral hält er für eine Folge der signifikant verschärften Wettbewerbssituation für deutsche Unternehmen sowie die in Aussicht stehende längere Phase politischer Unsicherheit. „Wir gehen davon aus, dass die Liquidität vor allem bei kleinen und mittelständischen Unternehmen sukzessive aufgezehrt wird."

Sinkende Zahlungsmoral und steigende Insolvenzen
Dass die Zahlungsmoral sinkt, lässt sich an Zahlen sehen. „Mit 57 Prozent war mehr als die Hälfte der Rechnungen, die die befragten Firmen in den vergangenen Monaten ausgestellt haben, am Fälligkeitstag noch unbezahlt – ein vielfach höherer Wert als noch beim Zahlungsmoralbarometer vor zwei Jahren", sagt Frank Liebold, Country Director Deutschland des Warenkreditversicherers Atradius. Damals lag der Wert der verspäteten Rechnungen, mit denen deutsche Unternehmen umgehen mussten, bei gerade einmal zwölf Prozent.
Im dritten Quartal 2024 betrug der branchenübergreifende Zahlungsverzug Creditreform zufolge im Schnitt 8,4 Tage. Im dritten Quartal 2023 mussten Unternehmen noch stabile 7,6 Tage hinnehmen. Und das, obwohl Kreditgeber und Lieferanten ihren Geschäftspartnern deutlich längere Zahlungsziele gewährt haben. Das durchschnittliche Zahlungsziel der Unternehmen lag im 2. Halbjahr 2023 bei 32,05 Tagen – gegenüber 29,93 Tagen im ersten Halbjahr 2023. Mehr als die Hälfte der Außenstände in Deutschland, 59,4 Prozent entstand durch Großunternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern, Tendenz sinkend. Kleinunternehmen mit höchstens 50 Mitarbeitern waren für 27,1 Prozent des überfälligen Forderungsvolumens verantwortlich – Tendenz steigend.
Während Corona war die Pflicht, Insolvenz zu beantragen, zeitweise ausgesetzt. Jetzt gilt sie wieder und es gibt eine Art Nachholeffekt. Es rutschen überproportional viele Firmen in die Pleite. Bundesweit waren es 2024 rund 22.400. Besonders besorgniserregend: Immer mehr Gläubiger, die im Insolvenzfall leer ausgehen, melden auch Insolvenz an. Die geschätzte Schadenssumme beläuft sich 2024 Creditreform auf 56 Milliarden Euro – verglichen mit 31,2 Milliarden Euro 2023.
Warenkreditversicherungen als Schutzschild
Warenkreditversicherungen bieten ihren Kunden eine Absicherung gegen Ausfälle – und zwar schon seit langem nicht mehr nur für den Insolvenzfall von Lieferanten, sondern auch gegen den Ausfall sonstiger Forderungen: von wenigen Tausend Euro an bis zu mehreren Millionen Euro. Unternehmer können mittlerweile auch wählen, ob sie ihren gesamten Umsatz versichern oder nur einen Teil. Vor einigen Jahren war die volle Absicherung noch Pflicht und ist auch heute noch relativ üblich. Seit ein paar Jahren gibt es sogar für Forderungen, denen der Kunde widerspricht, Ersatz – je nach Police.
So ist es nicht überraschend, dass das Interesse an Warenkreditversicherung steigt. Die Kreditversicherer deckten 2024 dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft Ausfallrisiken von mehr als 600 Milliarden Euro ab, mehr als je zuvor. Zum Deckungsvolumen der Warenkreditversicherung (505 Milliarden Euro) kamen weitere 97 Milliarden Euro aus Kautionsversicherungen, mit denen die Versicherer Bürgschaften und Garantien bereitstellen.

Nachfrage bei kleinen Firmen
„Wir bemerken einen starken Anstieg bei der Nachfrage nach Policen", sagt Coface-Mittelstandsspezialist Engelbauer. Im Segment der kleinen und mittleren Unternehmen ist viel Bewegung. Mittelständler mit mehr als 20 Millionen Euro Umsatz haben in der Regel bereits eine Warenkreditversicherung oder wissen seiner Erfahrung nach zumindest gut darüber Bescheid. „Die kümmern sich allenfalls um einen Wechsel", sagt Engelbauer. Ein großes Plus bei Neuverträgen verzeichnet Coface indes bei Mittelständlern mit weniger als 20 Millionen Euro Umsatz. „Und was auch zunimmt, sind Anfragen auf die Absicherung einzelner Großprojekte oder von Exporten in Länder, die bislang noch nicht beliefert wurden", sagt Risikochef Boehm.
Dagegen nimmt die Geduld der Kunden ab, wenn sich Zahlungen verzögern, beobachtet Boehm. „Wenn uns ein Kunde früher mal eine Meldung machte, hieß es ganz oft: Die Zahlung ist überfällig – aber wartet mal ruhig noch eine Woche, die kommt bestimmt bald", berichtet er. Das sei heute anders. „Wenn unsere Kunden heute Meldung machen, wollen sie ihr Geld in der Regel dann auch so schnell wie möglich haben, um ihre eigene Liquidität zu schützen."
Risikomanagement und Informationsfluss
Zahlungserfahrungen aller versicherten Lieferanten fließen in jede Bonitätsprüfung mit ein. Das Risikomanagement jedes Warenkreditversicherers kommt so wiederum auch allen Versicherungsnehmern zugute. „Unsere Maßnahmen sind dabei immer sehr selektiv und individuell", verspricht Boehm. „Und je nach Vertragsmodalität greift eine Linienanpassung zeitverzögert, sodass Kunden Vorkehrungen treffen können." Über die Meldungen ihrer Kunden hinaus greifen Warenkreditversicherungen auf alle Wirtschaftsauskunfteien zu, beschaffen Informationen auch aus anderen Quellen, etwa zu Bilanzen von versicherten Abnehmern, nutzen auch Länder- und Brancheninformationen. 40 Kreditprüfer beobachten allein für Coface die Lage in verschiedenen Branchen.
Verliert ein Versicherer das Vertrauen, wirkt das leicht verzögert, hält dafür aber umso länger an. Das weiß Feldmuehle-Finanzchef Weber aus eigener Erfahrung. „Auch wir werden ja als Kunde bewertet – von den Warenkreditversicherern unserer Lieferanten", sagt er. Er hat eigene Erfahrungen. „Bis Ihnen die Kreditversicherer nach Negativerfahrungen wieder vertrauen – das dauert gut und gerne fünf Jahre." Manche Warenkreditversicherer könne man mit guten Zahlen überzeugen, andere seien länger misstrauisch, erinnert er sich. „Da dauert es lange, bis Sie wieder ein gutes Rating bekommen, was bei uns zum Glück auch der Fall ist."
Doch nicht nur erwiesene Zahlungsschwierigkeiten oder andere Probleme könnten für Zulieferer schwierig werden, ist er sich bewusst. „Die Versicherer wollen idealerweise quartalsweise informiert werden", ist Webers Erfahrung. „Wenn Sie nicht proaktiv auf die Warenkreditversicherer Ihrer Kunden und Lieferanten zugehen, gehen die möglicherweise von falschen Informationen aus", warnt er. Mittelständlern empfiehlt der Feldmuehle-Finanzchef daher engen Kontakt zu den Versicherern. „Zumindest denen mit mehr als zehn Millionen Euro Umsatz", sagt Weber. „Damit die Warenkreditversicherer immer die richtigen Schlüsse aus den richtigen Informationen ziehen."