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Finanzierung > Standort-Debatte

Warum Miele, Viessmann und Co wirklich nach Polen gehen

Wenn es jetzt sogar Miele trifft – ist Deutschland überhaupt noch zu retten? Wer über Strompreise und Bürokratie schimpft und die Schuld auf Robert Habeck schiebt, greift zu kurz. Was hierzulande wirklich fehlt - ein Kommentar.

Hier machen sich viele Sorgen: Der Miele-Hauptsitz in Gütersloh.

Kahlschlag bei Miele – titelten einige Medien. Und das im Jahr des 125. Geburtstages. So schlimm die Nachrichten aus Gütersloh für die Betroffenen sind, die nackten Zahlen sehen so aus: 2019, vor der Pandemie, arbeiteten rund 20.000 Menschen für Miele. Derzeit sind es 23.300. Und von den 2000 Stellen, die weltweit maximal wegfallen, werden nur ein Teil Kündigungen sein. Unterm Strich wird Miele also nach dem vermeintlichen Kahlschlag deutlich mehr Menschen beschäftigen als 2019, vermutlich um die zehn Prozent. Die wenigsten der Kündigungen betreffen übrigens Industrie-Arbeitsplätze.

Bedenklich aus volkswirtschaftlicher Sicht sind die 700 Arbeitsplätze, die bis 2027 von Gütersloh nach Polen wandern. Hier gilt es genau zu schauen, was für unsere Nachbarn spricht und was gegen den Standort Deutschland. Vor allem, weil Miele bei weitem kein Einzelfall ist. Im Hinblick auf die Infrastruktur liegt Polen klar vorn. Es braucht ja nicht mal Streiks, um Deutschlands Rückständigkeit zu bemerken. Wir waren jahrzehntelang zu satt und zu geizig. Es fehlte jahrelang – und zum Teil bis heute – an Wille und Know-how, die Verwaltung zu digitalisieren. Der Ausbau von Glasfaser und 5G läuft schleppend. Das Bahnnetz ist nicht wettbewerbsfähig und die Autobahnen inklusive Brücken ein Armutszeugnis. Der Föderalismus bremst an allen Ecken und Kanten, darf aber nicht die ewige Pauschalausrede sein.

Das Thema Bürokratie ist differenzierter zu betrachten: Die heftigsten Regeln kommen von der Europäischen Union und gelten für Polen im Grunde ähnlich. Man mag über das deutsche Lieferkettengesetz klagen, das der EU trifft vor allem kleine und mittlere Betreibe noch härter, wenn es kommt. Und das kriegen die Polen genauso, falls es Deutschland – welch Ironie – in der nahenden Abstimmung nicht verhindert. Das Problem hierzulande ist nicht die nationale Bürokratie allein, sondern die Summe aus Regeln von EU, Bund, Land und Kommunen inklusive diverse Widersprüche.

Beim Thema Energie stimmt die platte Aussage „die Polen setzen auf Kohle und haben damit einen Kostenvorteil“ nur zum Teil: Erstens ist Strom in Polen zuletzt deutlich teurer geworden und der Preis auf Jahre gerechnet kaum kalkulierbar. Und so viel schmutziger ist er in Polen bald vermutlich auch nicht mehr: Das Land erzeugte 2023 seine Energie zu 64 Prozent aus Kohle, 8 Prozent Erdgas, 2 Prozent Öl und rund 26 Prozent aus erneuerbaren Energien. Deren Anteil hat sich in den zwei vergangenen Jahren allerdings verdoppelt. Wenn es in dem Tempo weitergeht, ist Polen rein rechnerisch 2025 ähnlich grün wie Deutschland heute.

In Wirklichkeit dürfte es länger dauern, bis 50 Prozent und mehr aus Erneuerbaren stammen, aber allein schon wegen der steigenden Preise für Kohlestrom geht der Weg in diese Richtung. Darauf kann man wetten, aber Unternehmen wie Miele oder Viessmann, für die Nachhaltigkeit zum Geschäftsmodell und zur Unternehmens-DNA gehört, gehen ein enormes Risiko ein, falls sie in Polen auf Dauer von schmutzigem Kohle-Strom profitieren wollen. Da das in der ESG-Bilanz sehr gut sichtbar wird, ist kaum vorstellbar, dass Unternehmen wie Miele und Viessmann den Kohle-Sünder geben.

Nein, es gibt neben der Infrastruktur noch einen ganz anderen, wesentlichen Grund, der für Polen spricht – dahinter steckt aber eine unangenehme Wahrheit, die Führungskräfte in Wirtschaft und Politik nur sehr ungern aussprechen: Als Viessmann 2022 die Wärmepumpenproduktion im polnischen Legnica deutlich ausbaute, 3000 Arbeitsplätze entstanden dort, schrieb der damalige polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki: „Vor noch gar nicht langer Zeit fuhren die Polen nach Deutschland, um Spargel zu ernten. Heute kommen deutsche Technologie-Investitionen nach Polen.“

Damit trifft er den entscheidenden Punkt: Menschen machen den Unterschied. Ein Billiglohnland ist Polen schon lange nicht mehr. Aber man bekommt hier einfach mehr fürs Geld: Gut ausgebildete und erfolgshungrige Mitarbeiter in hinreichend hoher Zahl. Damit sind bei weitem nicht nur Fachkräfte gemeint, sondern auch die Beschäftigten in den Maschinenräumen der Werkhallen. Am Ende braucht es in der Breite Motivation, Disziplin und Können. Und in dieser Hinsicht ist Deutschland bei weitem nicht mehr Spitze.

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