Wie Emotionen Verhandlungen zum Platzen bringen
Beim Verkauf eines Unternehmens geht es nicht nur um Zahlen und Fakten. Auch immaterielle Faktoren spielen eine wichtige Rolle. Erkenntnisse aus der Wirtschaftspsychologie zeigen, welchen Einfluss Emotionen haben.
Im Leben eines typischen Mittelständlers ist der Verkauf seines Unternehmens eine singuläre Entscheidung – und eine hochemotionale dazu. Schließlich hat er jahrzehntelang Schweiß und Herzblut in den Erfolg des Betriebes investiert. All das aufzugeben fällt schwer. Doch irgendwann kommt der Punkt, an dem sich ein Unternehmer fragen muss, wie er seine Nachfolge regelt. Dabei sollte er auch „Mergers and Acquisitions“ (also den Zusammenschluss und die Übernahme von Unternehmen; kurz M&A) in Erwägung ziehen. Hierbei gibt es einiges zu beachten, denn M&A sind für die Mehrzahl der damit konfrontierten Akteure – von M&A-Beratern sowie berufsmäßigen Investoren und Beteiligungsunternehmen einmal abgesehen – kein Tagesgeschäft.
Damit ein Verkauf nicht ganz am Ende des Prozesses doch noch scheitert, sollten sich alle Beteiligten von Anfang an die psychologischen Faktoren einer M&A-Transaktion bewusst machen. Welche Umstände hier eine Rolle spielen, hat die Verhaltensökonomie gut erforscht. Erfahrungswerte lehren, dass es bis zu fünf Jahre dauert, bis der Firmengründer und Eigentümer mental so weit ist, sich von seinem Unternehmen definitiv zu trennen, und zugleich auch bereit, sich auf einen fairen Preis einzulassen.
Wenn Mittelständler ihr Unternehmen verkaufen wollen, etwa an Private-Equity-Investoren, betreten sie Neuland und werden von allen Seiten mit den unterschiedlichsten Informationen und Einschätzungen konfrontiert. Diese einzuordnen fällt ihnen schwer: Anders als in ihrem vertrauten Alltagsgeschäft können sie nicht auf eigenes Erfahrungswissen zurückgreifen. Die genauere Betrachtung einiger psychologischer Phänomene lohnt sich, um ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, welche Effekte in Gesprächen und Verhandlungen bei M&A-Prozessen immer wieder auftauchen.
A. Endowment-Effekt
Der Endowment-Effekt spielt auch im Alltag eine Rolle, zum Beispiel beim Autoverkauf. Trotz fachmännischer Schätzung durch einen Kfz-Sachverständigen und mit Blick in die Schwacke-Liste haben viele Verkäufer das Gefühl, dass ihr Auto mehr wert sein müsste. Nach all den Jahren der intensiven Pflege und Sorgfalt darf der fahrbare Untersatz doch nicht so einfach verschleudert werden! Je länger man etwas sein Eigen nennt und wertschätzt, umso größer sind die emotionale Bindung und der Trennungsschmerz. Das gilt insbesondere, wenn es um das eigene Lebenswerk geht. Das emotionale Involvement macht einen gravierenden Unterschied aus, wenn es um die Vorstellungen zum Wert eines Unternehmens geht. Daher fordern viele Unternehmer beim Verkauf einen hohen Kaufpreis als eine Form von „Schmerzensgeld“. Über eigenen Besitz lässt sich nämlich nicht wertneutral urteilen.
Der Endowment-Effekt (englisch für Besitztumseffekt) geht auf eine Hypothese des US-amerikanischen Ökonomen und Wirtschaftsnobelpreisträgers Richard Thaler zurück: Danach neigen Menschen dazu, Güter des eigenen Besitzes mit einem immateriellen Aufschlag im Wert zu belegen, der sich über die damit verbundenen Emotionen bestimmt. Durch den Endowment-Effekt sind die Bereitschaft, einen bestimmten Kaufpreis zu zahlen, und die Bereitschaft zum Verkauf eines bestimmten Gutes, das mit Emotionen belegt ist, nicht deckungsgleich. Diese Beobachtung bei realen Menschen widerspricht der Theorie, wonach Menschen zweckrationale Wesen seien, die nach reinen Vernunftaspekten ihre Präferenzen setzen und Entscheidungen treffen.
Der Endowment-Effekt ist auch bei M&A-Transaktionen zu beobachten. Merke: Im Ergebnis ist ein Unternehmen immer genau den Betrag wert, den ein potentieller Käufer dafür zu zahlen bereit ist. Nicht mehr und nicht weniger.
B. Informations- und Wissensasymmetrie
In jedem M&A-Prozess gibt es mit Blick auf das zum Verkauf stehende Unternehmen anfänglich einen wissenden Verkäufer und einen eher unwissenden, allenfalls branchenkundigen, dafür aber grundsätzlich interessierten Käufer. Zu diesem Zeitpunkt besteht eine Informations- und Wissensasymmetrie. Auf Basis einer Vereinbarung der Vertraulichkeit (Geheimhaltungserklärung oder Non-Disclosure Agreement, kurz: NDA) werden erste Informationen in Form von Kurzprofilen/-exposés und Memoranden ausgetauscht.
Potentielle Käufer werden auf dieser Grundlage ausloten, ob das Angebot von Interesse ist und weiterverfolgt wird oder der Ausstieg aus den Verhandlungen erfolgt. Nach Einschätzungen von Helmut Macher, dem ehemaligen CEO von Nestlé, entsteht durch diese erste Annäherung für den Verkäufer bereits ein recht gutes Bild über das Unternehmen: „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass zur Beurteilung einer Akquisition in der Regel wenige Dokumente, Berechnungen und Analysen ausreichen.“
Sieben typische Dealbreaker bei M&A
Woran Unternehmensverkäufe immer wieder scheitern
- Kaufpreisbestätigung des finanzierenden Kreditinstituts liegt nicht vor.
- Der Verkäufer weiß nicht wirklich, was er will, und verheddert sich in seiner Verkaufsstrategie.
- Der Verkäufer weigert sich, Garantien auszusprechen, und weckt damit beim Käufer Misstrauen.
- Die Due Diligence deckt Schwachstellen auf, die zuvor bewusst verschwiegen wurden.
- Käufer und Verkäufer pokern bei ihren Preisvorstellungen.
- Zwischen Käufer und Verkäufer entwickeln sich persönliche Animositäten; die Chemie stimmt nicht.
- Der Verkäufer zeigt sich in letzter Minute emotional instabil –etwa weil die Verkaufsentscheidung ihn aufgrund ihrer Finalität verunsichert.
Werden die Gespräche weitergeführt, steigt die Informationsdichte. Im Rahmen einer Sorgfältigkeitsprüfung verschafft sich der potentielle Käufer tiefe Einblicke in das Geschäftsmodell: Commercial oder Market Due Diligence (also die Analyse des Geschäftsmodells inklusive einer Marktanalyse), Financial Due Diligence (die Prüfung der finanziellen Lage des zum Verkauf stehenden Unternehmens), Legal Due Diligence (die Prüfung sämtlicher gesellschaftsrechtlicher Aspekte) sowie Tax Due Diligence (die Prüfung der steuerlichen Aspekte).
Eine sorgfältig durchgeführte Unternehmensanalyse bietet dem potentiellen Käufer die Chance, das Unternehmen besser zu kennen – bisweilen kennt er es danach besser und detailreicher als der Verkäufer selbst. Doch auch eine noch so große Gründlichkeit und Akuratesse bei der Due Diligence schützen nicht vor einer Fehleinschätzung der (echten) Verhältnisse im und um das Unternehmen. Deswegen werden nicht selten Einbehalte in Verbindung mit Garantien vereinbart.
C. Ankereffekt
„Jede Zahl, die Ihnen als mögliche Lösung für ein Schätzungsproblem präsentiert wird, erzeugt einen Ankereffekt“, schreibt der Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahnemann und fügt an: „Die Liste der Ankereffekte ist endlos.“ Soll heißen: Wer bei einer M&A-Transaktion den ersten Preis aufruft, hat in gewisser Weise schon gewonnen. Denn er hat für die weiteren Verhandlungen einen für alle anderen Beteiligten relevanten Rahmen gesetzt. Von besonderer ökonomischer Bedeutung ist dabei die Erkenntnis, dass sogar offenkundig willkürlich gesetzte „Anker“ wirksam sind.
Daher kommt in einem M&A-Prozess dem Steuerberater des Verkäufers eine besonders verantwortungsvolle Rolle zu. Er ist der Vertraute des Unternehmens. Meistens ist er der Erste, der von dem Verkaufswunsch Kenntnis erhält. Nicht selten ist er auch derjenige, der als Erster mit der Ermittlung eines möglichen Verkaufspreises beauftragt wird. Das Ergebnis seiner Berechnungen setzt den Anker. Es ist gut möglich (und sogar wahrscheinlich), dass der Steuerberater einen eher zu hohen Preis aufruft. Denn so sichert er sich das Wohlwollen seines Mandanten. Und für den Fall, dass der Kaufpreis an der absoluten Obergrenze des Vertretbaren ausfällt und es zu keinem Verkauf kommt, bleibt ihm das Beratungsmandat erhalten, das ansonsten in aller Regel verloren geht.
Das frühe Mindsetting im Dialog zwischen Verkäufer und Steuerberater ist nicht zu unterschätzen. Für den Fall, dass die Ziele zu ambitioniert sind, schreibt Kahnemann: „Wir wissen, dass Menschen von einem unerschütterlichen Glauben an eine Überzeugung, und sei sie noch so absurd, erfüllt sein können, wenn sie darin von einer Gruppe Gleichgesinnter bestärkt werden.“
Auf dem Weg zum fairen Preis
Wie lässt sich nun ein Preis ermitteln, der allen Beteiligten an einer M&A-Transaktion das Gefühl eines guten, fairen Deals beschert? Ein solches Denken und Vorgehen würde der Verstand gebieten. In der Praxis läuft es aber selten so ab. Welche Entwicklung nimmt beispielsweise ein Verhandlungsmarathon zwischen Verkäufer und Käufer, wenn das vorgelegte Angebot mit einer erheblichen Nachforderung des Verkäufers obsolet wird?
Folgendes könnte passieren: Bei einer der finalen Gesprächsrunden überrascht der Verkäufer den Käufer mit vollkommen neuen Forderungen. Doch obwohl er mit einem Nachverhandeln in diesem Umfang keinesfalls gerechnet hat, bewahrt der potentielle Käufer zunächst seine Contenance – jedenfalls nach außen. Vor seinem inneren Auge war der geplante Deal – die Gespräche wurden mit viel Leidenschaft geführt – bereits die reale Zukunft.
Und nun das. Die Besprechung endet mit dem Versprechen des Käufers, die Zahlen nochmals sorgfältig zu prüfen, inwieweit die Forderung des Verkäufers erfüllt werden kann. Doch bereits am Folgetag setzt beim Käufer im Gespräch mit seinem Beratergremium der Katzenjammer ein. Der Verkäufer hat den Bogen überspannt; Enttäuschung macht sich breit. Schlimmer noch: Gefühle von Misstrauen, Wut und Schmerz stellen sich ein. Der Deal ist bereits an dieser Stelle geplatzt, auch wenn dies noch nicht kommuniziert wurde.
Spieltheorie: Menschen handeln weniger rational als emotional
Die Spieltheorie und die Neuroökonomie geben Antworten darauf, warum dem Käufer die Lust auf den Deal vergeht und es „wehtut“, daran auch nur zu denken. Folgende Versuchsanordnung wurde an Universitäten mit Studenten realisiert: Ein Spielleiter hat 10 Euro an zwei Personen zu verschenken – unter der Voraussetzung, dass die beiden sich über den Verteilungsschüssel einig werden. Kommt es zu keiner Übereinkunft, gibt es auch kein Geld. Nun würde die Wirtschaftswissenschaft nach dem Modell des Homo oeconomicus erwarten lassen, dass alle Varianten zu einem Deal führen, auch wenn die Verteilung 9,99 zu 0,01 Euro ausfällt. Doch so läuft es in der Praxis mit realen Menschen nicht.
Zur raschesten Einigung kommt es mit einer Fifty-Fifty-Lösung. Und auch bei 6 zu 4 und 7 zu 3 finden sich die Probanten meist zähneknirschend zusammen. Doch irgendwann – diese Grenze ist fließend und individuell unterschiedlich – gibt es eine Linie, die nicht übertreten werden darf. Wenn doch, em-pfindet einer der Spieler die Aufteilung als ungerecht und verzichtet lieber auf das Geld. Der Ulmer Neurobiologe Manfred Spitzer hat herausgefunden, dass ein unfaires Angebot buchstäblich auf den Magen schlagen kann: „Wir reagieren auf unfaire Angebote mit körperlichem Schmerz.“ Es tut physisch weh, von seinem Gegenüber übervorteilt zu werden.
Ein erfolgreiche M&A-Transaktion wird also den subjektiven Kriterien der Fairness gerecht. Eine gefühlte Übervorteilung führt hingegen unausweichlich zum Exit(us): Der Deal scheitert.
Fazit:
- Es ist leichter, zwei börsennotierte Unternehmen mit angestellten Vorständen als Verhandlungspartnern zu fusionieren, als den Verkauf eines inhabergeführten Mittelständlers zu regeln, da hierbei zusätzlich Emotionen eine Rolle spielen.
- Neben der Aufarbeitung von Zahlen, Daten und Fakten bedarf eine Nachfolgeregelung mindestens ebenso viel
- Eine Nachfolgeregelung bei mittelständischen Unternehmen gelingt umso besser, je mehr Sachlichkeit, Unaufgeregtheit und (ergebnisoffene) Gesprächsbereitschaft in allen Phasen gegeben sind.
- Die Zusammensetzung des Beratergremiums ist wichtig. Jeder Akteur hat eine eigene Interessenlage, die berücksichtigt werden sollte. Rechtsanwälte und Steuerberater sind für die Ausgestaltung der Verhandlungsergebnisse unerlässlich. Damit die Dinge aber nicht von Anfang an durch die M&A-Profis zerredet werden, sollten zusätzliche Verhandlungsteilnehmer – etwa neutrale Unternehmensberater – die Transaktion begleiten und moderieren.
Norbert W. Schätzlein ist Geschäftsführer der Antaris Personal- und Wirtschaftsberatung, Ravensburg, sowie Lehrbeauftragter und Referent für strategische Unternehmensführung.
Dieser Text gehört zu einem Thema aus der Markt-und-Mittelstand-Ausgabe 06/2018. Hier können Sie das Heft bestellen und „Markt und Mittelstand“ abonnieren.