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Recht und Steuern > Mittelstand klagt über neue Hürden

Die Tücken der Anlage 6.4a

In einem zentralen Förderprogramm für den Mittelstand wächst die Bürokratie. Hintergrund sind EU-Beihilferegeln. Oder doch übertriebene Umsetzungswut?

Große Zahlen: Bei richtig ­üppigen Fördersummen kommt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) selbst vorbei, was bei Zuschüssen aus dem Mittelstandsprogramm ZIM eher unwahrscheinlich ist. © picture alliance/dpa | Patrick Pleul

Wenn es um das Thema Innovation geht, sind sich hierzulande meist alle einig: Wir brauchen sie, die coolen Erfindungen und ­Weiterentwicklungen. Auch das Thema Bürokratie ist konsensfähig: Davon haben wir viel zu viel. Und Mittelstand? Natürlich! Der ist das Herz unserer Wirtschaft. So weit, so einig. Und doch ist demnächst in einem der zentralen Förderprogramme, dem Zentralen Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM), mal wieder ein bisschen mehr Bürokratie zu erwarten. Dass die zunimmt und teils schwer zu bändigenden Wildwuchs nach sich zieht, beobachten Kenner der Förderlandschaft seit Jahren. Doch der demnächst zu erwartende Bürokratiezuwachs wird Mittelständler nicht nur Zeit, Geld und Nerven kosten. Er kann sie auch in rechtliche Schwierigkeiten bringen, bis hin zum strafrechtlichen Verdacht des Fördermittelbetrugs. Dann, wenn sich ihre Kosten doch nicht so entwickelt haben, wie sie sie für ZIM vorher geltend gemacht haben. Entscheidend ist dabei die neue Anlage 6.4a.

Mit ZIM fördert das Bundeswirtschaftsministerium seit 2008 Innovationen von kleinen und mittelgroßen Unternehmen in Deutschland. Das Programm sollte nach der weltweiten Finanzkrise damals helfen, die Herausforderungen der Globalisierung und des technologischen Wandels besser zu meistern. Bislang war das einfach. Unternehmen mussten für ihren Antrag lediglich die dafür nötigen Personalkosten aufführen und bekamen zusätzlich zu der hierfür gewährten Fördersumme pauschal 120 Prozent an Fördergeld obendrauf. Vom Jahresende 2024 an müssen mittelständische Unternehmen zusätzlich die neue Anlage 6.4a für einen ZIM-Antrag ausfüllen. Die fragt detailliert einiges mehr ab. Unternehmen müssen alle Kosten aufführen, die über die Personalkosten hinausgehen, von Ausgaben für Geräte und Mieten, Reisekosten und Weiterbildung bis hin zur Wertminderung genutzter Gebäude. Ein Wust. Und ein Risiko. Denn die Firmen müssen Kosten angeben, die sie teils schon wegen der Art ihres Projekts überhaupt nicht absehen können. Mit Blick auf die für Förderprojekte geltenden rechtlichen Vorgaben droht Unternehmern hier rasch der Vorwurf des Fördermittelbetrugs, ein Straftatbestand.

Als Hintergrund für die Änderung führt das Ministerium gern EU-Beihilferecht in Gestalt der deutschen Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) an. Die Verordnung wurde Anfang 2024 im Bundesanzeiger bekanntgegeben. Sie regelt erstmals, welche Ausgaben die Mitgliedstaaten in Form von Pauschalen fördern dürfen und welche nicht. Sie gilt in der gesamten EU und betrifft auch ZIM. Eigentlich soll die AGVO den EU-Staaten ermöglichen, Gemeinkosten abseits der Personalkosten möglichst umfangreich subventionieren zu können. Doch EU-Recht muss in nationales Recht umgesetzt werden. Und da gehen Experten bei so ziemlich jedem über die EU geregelten Rechtsgegenstand seit Jahren gern davon aus, dass Deutschland die rechtlichen Vorgaben tendenziell eher übererfüllt, es zumindest mit der Umsetzung von Richtlinien besonders genau nimmt. Von Rechtsexperten ist immer wieder zu hören, dass Deutschland neue EU-Vorgaben strenger als nötig umsetzt und verfolgt.

Und es sieht so aus, als wäre auch die Anlage 6.4a übertrieben. Zur AGVO steht in der Förderdatenbank des Bundeswirtschaftsministeriums: Sie „regelt, dass bestimmte staatliche Fördermaßnahmen von den Mitgliedstaaten ohne weitere Genehmigung durch die Europäische Kommission umgesetzt werden können.“ Und die AGVO selbst hält fest, es seien „zusätzliche Möglichkeiten für Gruppenfreistellungen von Beihilfen für KMU und kleine Midcap-Unternehmen vorgesehen, die über die aufgeführten Politikbereiche hinausgehen“. Die zu nutzen, wäre sinnvoll. Einer DIHK-Umfrage zufolge planen nur noch 38 Prozent der deutschen Unternehmen, ihre Innovationskapazitäten auszuweiten. Schon 2023 zählte das Bundeswirtschaftsministerium weniger ZIM-Anträge als in den Vorjahren und prognostiziert für dieses Jahr einen „niedrigeren Antragseingang“.

Fast ein Dreivierteljahr lag ZIM brach. Die Anlage 6.4a ist bekannt. Im Sommer beginnt eine Webinarreihe, die alle Beteiligten auf die Neuerungen bei ZIM vorbereiten soll. Die Allianz für Industrie und Forschung (AiF), Dachverband von 85 gemeinnützigen Forschungsvereinigungen und mehreren Zehntausend dort zusammengeschlossenen Unternehmen und Forschungseinrichtungen, hat lösungsorientiert Vorschläge zur Verbesserung der Richtlinien unterbreitet. „Diese Anregungen sind in einer Vielzahl von Gesprächen mit Unternehmen und Forschungseinrichtungen zusammengetragen worden“, sagt Thomas Reiche, Vorstand der AiF. Der Verband empfiehlt unter anderem, zu diesen Pauschalen zurückzukehren. „Das entspricht auch dem bundespolitischen Ziel des Bürokratieabbaus für beide Seiten – für die Unternehmen sowie für die Verwaltung im Bundeswirtschaftsministerium“, erklärt Reiche.


Konkret schlägt die AiF vor, sich das EFRE-Programm aus Nordrhein-Westfalen zum Vorbild zu nehmen. Dieses beinhaltet beispielsweise bei den Personalkosten vier Leistungsgruppen mit festen Stundensätzen. „Auch aufgrund der stetig steigenden Personalkosten schlagen wir eine Anhebung der Fördergrenze von 220.000 auf 250.000 Euro aus“, sagt Reiche. Um Schaden für die Leistungsempfänger abzuwenden, müsse in den ZIM-Richtlinien auch die heutige Flexibilität der Arbeitszeiten beachtet werden. Eine quartalsmäßige Abrechnung der Personalstunden würde laut AiF Unternehmen mehr Sicherheit geben.

Höhere Fördergrenze

„Die Mitarbeiterkosten sollten jährlich mit zwölf statt mit derzeit 10,5 Monaten berechnet werden. Materialien und Geräte sollten wieder direkt beantragt werden können“, fordert die AiF. Derzeit ist das nur über Dritte, zusätzliche Anbieter, möglich. Zudem sollte konkreter formuliert werden, wie die Forschungsvorhaben im Antrag beschrieben werden sollen. Nicht zuletzt weist die AiF darauf hin, dass Durchführungsstudien „ein wichtiger Baustein des ZIM sind und für die Unternehmen oft ein Einstieg in die geförderte Forschung“ seien. „ZIM ist eine Erfolgsgeschichte der KMU-Förderung. Es hat in den vergangenen Jahrzehnten stark zur Steigerung der Innovationskraft im Mittelstand beigetragen“, betont Reiche.


„Fördermittel sind Steuergelder, und ich finde es richtig, dass mit denen sorgfältig umgegangen wird“, hält Jürgen Koppe fest, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der MOL Katalysatortechnik aus Merseburg in Sachsen-Anhalt. An die zehnmal hat sein Unternehmen für verschiedene Projekte und die Entwicklung seiner vielfach patentgeschützten Produkte rund um chemische Wasserreinhaltung bereits Fördermittel bewilligt bekommen, über ZIM und AiF. Der Unternehmer ist sichtlich um sachliche Abgewogenheit bemüht und lobt die Qualität des Programms. „Die Beratung bei ZIM ist wirklich ausgesprochen gut“, sagt er. Ohne sie, davon ist er überzeugt, hätte sein Unternehmen vieles nicht realisieren können. „Aus unserer Sicht bleibt das Förderprogramm den Mehraufwand auch nach wie vor wert“, sagt Koppe. Und die Kosten gemäß Anlage 6.4a würde beim nächsten Mal dann eben der Steuerberater rechnen und nötigenfalls auch im Auge behalten, erwartet Koppe.

 

Doch auch er sieht die Anlage 6.4a mit Sorge. „Es wird die Innovationsfähigkeit dämpfen“, erwartet er. Der Punkt sei nicht, dass Freiheit eingeschränkt werde, sagt der studierte Chemiker und wagt zur Erklärung einen Ausflug in eine Lehre seiner Wissenschaft. „Was wir brauchen, sind Freiheitsgrade.“ Also für Laien gesprochen möglichst viele Richtungen, in die sich Dinge entwickeln dürfen. „Gerade für die Entwicklung grundlegend neuer Technologien ist es wichtig, wenn möglichst viele solcher technologischen Freiheitsgrade bestehen, Sie also in möglichst viele verschiedene Richtungen forschen können“, erklärt Koppe. Wenn es dagegen nur darum gehe, etwas zu verbessern, komme man auch mit weniger Freiheitsgraden aus. Das Problem: ZIM sei bislang geradezu prädestiniert für die Entwicklung grundlegend neuer Technologien gewesen. Und die Anlage 6.4a schränke die Freiheitsgrade nun stark ein. Das ist aus Koppes Sicht ein viel größeres Problem als der Zuwachs an Bürokratie.


„Die neue Anlage ermöglicht es Prüfern nun, die Anträge ein bisschen mehr nach Schema F zu bewilligen und zu prüfen“, vermutet Koppe. Aber dadurch büße ZIM ausgerechnet von seiner größten Stärke viel ein: Dass sehr gute Berater mit sehr viel Freiheit den geförderten Unternehmern ermöglichen, was sinnvoll für ihr Projekt ist – und damit eben genau die Entwicklung grundlegend neuer Technologien möglich machen, die Unternehmer sonst schwer realisiert und noch schwerer finanziert bekommen können. Ein herber Verlust für die Innovationskraft des Mittelstandes, erwartet Koppe. „Die Expertise der Berater bei ZIM war für unser Unternehmen immer von unschätzbarem Wert“, erinnert er sich – bei der Umsetzung der Projekte, bei der Anmeldung von Patenten. Die Anlage 6.4a werde als Schuss nach hinten losgehen.


Ganz verloren geben will er die Hoffnung indes nicht. ZIM wird weiterhin wichtig bleiben, darin sind sich Unternehmer Koppe und AiF-Vorstand Reiche einig. „Wenn man ihm ein Rätsel schenkt, freut sich der Ingenieur und denkt“, schmunzelt Koppe. „So könnte man als Unternehmer auch an die Anlage 6.4a herangehen.“ Noch hat der kurz vor dem Ruhestand stehende Patentierer aus ­Passion Hoffnung.

 

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