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Finanzierung > Bilanzforensiker

Auf der Suche nach Betrug und Korruption im Mittelstand

Sie arbeiten meist verdeckt und sind Korruption und Betrug auf der Spur: Wirtschaftsforensiker. Mit Einblick in die Bilanz können die Ermittler auch den Wirtschaftskriminellen im Mittelstand das Handwerk legen.

Forensiker arbeiten von Berufs wegen diskret. Doch brisante Fälle zerren ihre Arbeit in die Öffentlichkeit, wie vor kurzem die dubiosen Machenschaften beim Möbelriesen Steinhoff. Das Unternehmen hatte im Dezember 2017 Unregelmäßigkeiten in den Jahreszahlen eingeräumt. Während Banken, Anleihegläubiger und Aktionäre um ihre Investments bangen, ist ein Team von Spezialisten darauf angesetzt, die Vorgänge zu rekonstruieren. Der wohl prominenteste Fall forensischer Aufklärungsarbeit liegt bereits länger zurück: Am 2. Dezember 2001 meldete Enron Insolvenz an. Der US-Energieriese hatte zuvor ein komplexes Geflecht an Bilanzmanipulationen aufgezogen.

Dass Forensiker an öffentlich diskutierten Verdachtsfällen arbeiten ist allerdings nicht die Regel. Oft kommen sie zum Einsatz, bevor die Öffentlichkeit von Unregelmäßigkeiten erfährt – und müssen dann dafür sorgen, dass dies auch so bleibt. Wird eine Sonderermittlung ungewollt öffentlich, drohen massive Reputationsschäden – zumal wenn sich die Vorwürfe als unbegründet erweisen. „Wir müssen Vorverurteilungen in jedem Fall vermeiden. Daher geben wir in etwa der Hälfte der Fälle einen anderen Grund für unseren Einsatz an“, sagt ein Forensikexperte, der anonym bleiben möchte.

In der offiziellen Sprachregelung der Unternehmenskommunikation treten die Finanzdetektive dann als Compliance-Berater in Erscheinung oder geben vor, bei Buchprüfungen zu helfen.

Aufklärung und Vorsorge

Am häufigsten gehen Forensiker möglichen Korruptionsvorwürfen, Vermögensschäden oder Manipulationen in der Buchhaltung nach. Regelmäßig checken sie die Unternehmensstrukturen aber auch rein prophylaktisch: „Viele Unternehmen wollen im Rahmen einer Risikovorsorge prüfen, ob Auffälligkeiten bestehen“, sagt Stefan Schaffer, Partner im Bereich Fraud Investigation & Dispute Services bei Ernst & Young. Was auffällig ist, variiert von Fall zu Fall: „Schecks sind beispielsweise in Argentinien ein verbreitetes Zahlungsmittel, in Deutschland wäre eine Zahlung mit Schecks eher ungewöhnlich.“

Bei M&A-Deals kommen Forensiker im Rahmen der Compliance Due Diligence zum Einsatz. Sie durchleuchten im Auftrag des Kaufinteressenten das Target-Unternehmen – und stoßen mitunter auf Informationen, die den Deal platzen lassen. „Wir haben zum Beispiel einmal herausgefunden, dass das Geschäftsmodell des Verkäufers nur funktionierte, weil regelmäßig Entscheidungsträger bestochen wurden“, erinnert sich Steffen Salvenmoser. Der ehemalige Staatsanwalt ist heute Partner bei PWC im Bereich Forensic Services.

Oft sind es bekannte Punkte, die den Verdacht der Forensiker erregen, etwa in der Bilanzierung: „Wenn Umsätze nur steigen, weil Vorräte höher bewertet und mehr Forderungen ausgewiesen werden, dann sollte ein Geschäftsführer stutzig werden“, rät Salvenmoser.

Auf der Spur des Geldes

Bei Korruptionsvorwürfen recherchieren die Forensiker das persönliche Umfeld und mögliche Zusammenhänge zwischen Beschuldigten und Unternehmen. Dann folgen sie der Spur des Geldes: Gibt es Cash-Transaktionen? Sind Reisekosten oder Projektkosten unerklärlich hoch? Der Griff in die Unternehmenskasse dagegen lässt sich oft an den Warenbeständen im Lager ablesen: „Wenn der Materialaufwand stark steigt oder sehr viel Ware als Ausschuss deklariert wird, kann dies ein Warnsignal sein“, sagt EY-Experte Schaffer.

Doch wie sollte der mittelständische Unternehmer reagieren, wenn er den Verdacht hegt, dass im eigenen Haus nicht alles mit rechten Dingen zugeht? „Auf alle Fälle sollten Sie spontane Kurzschlusshandlungen vermeiden“, rät Salvenmoser, „dieser Schuss kann nach hinten losgehen.“ Er warnt davor, verdächtige Mitarbeiter direkt mit den Anschuldigungen zu konfrontieren, denn: „Wer die Vorwürfe kennt, kann Beweise vernichten.“

Nachforschungen und die Beweissicherung sollten Firmenchefs den Profis überlassen. „Die Beweise müssen gerichtsverwertbar sein. Wir erleben leider immer mal wieder, dass die Mandanten aus Versehen Beweise verändern oder vernichten“, sagt Schaffer. So sollten Vorgesetzte auf keinen Fall Dokumente auf dem PC des beschuldigten Mitarbeiters öffnen, da sie dadurch unter Umständen Zeitstempel verändern: „Forensiker können die Dokumente replizieren, dann kann man in der Kopie arbeiten.“

Brisante Fundstücke

E-Mail-Postfächer und die IT-Infrastruktur des Unternehmens können eine wahre Fundgrube für Beweise sein. „Wir hatten sogar schon Fälle, in denen Rechnungen am Firmenrechner manipuliert und über den Bürodrucker ausgedruckt wurden“, erinnert sich ein Forensiker. Was die Täter in solchen Fällen nicht bedenken: „Wir haben die technischen Möglichkeiten, gelöschte Daten auch noch mehrere Jahre später wiederherzustellen.“

Ist ein Verdacht erhärtet, stellen die Experten den Beschuldigten zur Rede. Dabei hat der Forensiker, der anonym bleiben möchte, schon die komplette Bandbreite an Emotionen erlebt: „Die Reaktionen reichen vom plumpen Abstreiten und dreisten Leugnen über Erleichterung bis zum kompletten Zusammenbruch.“ Die Beschuldigten sind oft viele Jahre im Betrieb, kennen die Strukturen und wissen, wo sie Regelungslücken ausnutzen können.

Forensik? – Forensik!

Kriminelle Handlungen aufzuspüren, zu analysieren und zu rekonstruieren ist die Aufgabe von Forensikern. Wirtschaftsforensiker überprüfen bei Verdachtsfällen, ob eine Straftat vorliegt. Auch bei der Prüfung von M&A-Targets oder bei präventiven Untersuchungen der Compliance-Konformität von Unternehmensstrukturen kommen sie zum Einsatz.

Erhärtet sich ein Verdacht, ist dies auch für die Vorgesetzten oft ein Schock: „Ein solcher Vertrauensbruch ist menschlich dramatisch, die Mandanten fallen mitunter aus allen Wolken“, sagt Salvenmoser. Entstandenen Schaden können die Unternehmen in einem Gerichtsprozess vom Täter zurückfordern, auch die Kosten für die Forensiker muss dieser in aller Regel erstatten. Das Arbeitsverhältnis endet zumeist schnellstmöglich – auch in einem Prozess vor dem Arbeitsgericht können die von den Forensikern gesicherten Beweismittel dann eine Hilfe sein.

Schaffer gibt zu bedenken, dass Unternehmen selbst viel tun könnten, um sich vor Wirtschaftskriminalität zu schützen. „Agiert ein Unternehmen sehr verschlossen, schafft es damit Räume, in denen Kriminalität entstehen kann“, sagt er. Wer seinen Mitarbeitern unrealistische Zielvorgaben setze und sie nicht darin unterstütze, die geforderten Ergebnisse auch zu erreichen, öffne Manipulationen möglicherweise Tür und Tor. Gerade in Zeiten sich verschärfender Compliance-Vorschriften sollten Mittelständler daher penibel darauf achten, dass die Prozesse in ihrem Unternehmen transparent und die Ziele – etwa für die Belegschaft im Bereich Marketing und Verkauf – realistisch sind. Dann steigt die Chance, dass die Forensiker allenfalls für die Risikovorsorge durch den Betrieb laufen.


Dieser Text gehört zu einem Thema aus der Markt-und-Mittelstand-Ausgabe 07-08/2018. Hier können Sie das Heft bestellen und „Markt und Mittelstand“ abonnieren.

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