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Finanzierung > Kein Zugang zu Finanzdienstleistungen

Banken sind nicht ausreichend auf harten Brexit vorbereitet

Die Wahrscheinlichkeit eines harten Brexits steigt von Tag zu Tag. Manchem Mittelständler droht, sollte es wirklich soweit kommen, ein Finanzengpass, weil seine Bank keine entsprechenden Vorbereitungen trifft.

Absatzeinbrüche, steigende Bürokratiekosten, längere Wartezeiten durch Zollkontrollen – kaum eine deutsche Branche fürchtet einen harten, weil ungeregelt ablaufenden Brexit so sehr wie die Automobilindustrie mit ihren feinaustarierten Lieferketten. Jedes fünfte im Vereinigten Königreich verbaute Autoteil stammt aus deutscher Produktion, hat die Unternehmensberatung Deloitte ermittelt. Sie warnt: Der Brexit dürfte die hiesigen Automobilzulieferer im kommenden Jahr 3,8 Milliarden Euro ihres Umsatzes kosten. Das wären immerhin 5 Prozent der gesamten Branchenerlöse.

Die Wahrscheinlichkeit, dass es zum Chaos-Brexit kommt, steigt mit jedem Tag. Denn den zerstrittenen Parteien bleibt nur noch bis zu einem möglichen EU-Sondergipfel im November Zeit, um sich auf ein Brexit-Abkommen zu einigen. Anschließend müssen die EU-Institutionen, das britische Parlament und die Mitgliedsländer den Deal noch ratifizieren. Gelingt das nicht, droht am 29. März ein Austritt Großbritanniens aus dem Staatenbund ohne klare Regeln. Der britische Handelsminister Liam Fox bezifferte die Wahrscheinlichkeit eines solchen No-Deal-Szenarios kürzlich auf 60 Prozent.

Große Unsicherheit

Das Problem: Selbst gut zwei Jahre nach dem Referendum ist nicht klar, welches Verhältnis Großbritannien und die EU nach ihrer Scheidung pflegen wollen und werden. Das von der britischen Regierung Mitte Juli veröffentlichte Grundsatzpapier hat nicht den erhofften Durchbruch gebracht. Auf der Insel wird weiter gestritten, was man eigentlich erreichen will. Und auch die EU beharrt auf ihrer Verhandlungsposition: kein Rosinenpicken, Binnenmarkt ganz oder gar nicht.

Für Industrie und Wirtschaft wäre ein Scheitern der Verhandlungen ein Horrorszenario: Denn ohne Brexit-Abkommen gäbe es keine Übergangsfrist, mit der viele Unternehmen – darunter zahlreiche deutsche Mittelständler, die in England eine Produktionsstätte betreiben – derzeit planen. Eigentlich hatten sich Brüssel und London bereits Anfang dieses Jahres darauf verständigt, dass die EU-Regeln noch bis Ende 2020 in Großbritannien gelten sollten. Wird das aber nicht explizit vertraglich vereinbart, wird nichts aus dem Deal. Für den Handel zwischen der EU und Großbritannien würden dann bereits vom kommenden März an die Regeln der Welthandelsorganisation WTO gelten, die unter anderem Zölle auf Autos von 10 Prozent vorsehen.

Unternehmen bereiten sich vor

Die ersten Firmen bereiten sich daher auf dieses No-Deal-Szenario vor: So stocken etwa die Pharmakonzerne Astra Zeneca, Novartis und Roche ihren Medikamentenvorrat auf der Insel vorsorglich auf. Auch der Dax-Konzern Bayer hat gerade zusätzliche Lagerflächen in Betrieb genommen, um für Unterbrechungen in den Lieferketten gerüstet zu sein. Das Management in Leverkusen sieht im ungeregelten Austritt inzwischen das „primäre“, soll heißen: wahrscheinliche Brexit-Szenario.

Ein harter Brexit wäre aber noch aus einem anderen Grund für zahlreiche Mittelständler verhängnisvoll. Denn es zeichnet sich ab, dass viele Banken den Umzug ihrer bislang in Großbritannien angesiedelten Geschäftsbereiche nach Kontinentaleuropa bis zum kommenden Frühjahr nicht vollständig abgeschlossen haben werden. Deshalb müssen wohl einige Unternehmen um den Zugang zu Finanzdienstleistungen fürchten, glauben Experten.

Der Finanzplatzorganisation Frankfurt Main Finance zufolge betreiben etwa 150 Banken mindestens Teile ihres EU-weiten Geschäfts derzeit aus der Londoner City heraus. „Davon haben aber erst 50 Banken eine Entscheidung über ihre Post-Brexit-Aufstellung getroffen und an ihre Kunden kommuniziert“, sagt Geschäftsführer Hubertus Väth. Die EU-Wertpapieraufsichtsbehörde Esma sah sich kürzlich sogar schon dazu gezwungen, die Banken aufzufordern, ihre Umzugspläne zu beschleunigen.

Im Notfallmodus

Viele Häuser haben sich offenbar auf eine Übergangsphase bis Ende 2020 verlassen und arbeiten daher im Moment lediglich mit Notfallplänen. „Die Bankenindustrie als Ganzes ist noch weit davon entfernt, bis April 2019 einen tragbaren Stand zu erreichen“, meint Stephan Lutz, Leiter des Bereichs Capital Markets bei PwC Deutschland. Der Berater sieht vor allem die deutschen Banken im Vergleich zu international agierenden Häusern im Hintertreffen. Konkrete Namen will er aber nicht nennen. Seine Prognose ist düster: „Bis zu 60 Prozent der deutschen kleinen und mittelständischen Unternehmen könnten zeitweise von bestimmten Finanzdienstleistungen abgeschnitten werden“, glaubt Lutz.

PwC berät verschiedene hierzulande ansässige und nach Deutschland kommende Banken bei der Verlagerung ihrer Geschäfte. Lutz zufolge liegen die Schwierigkeiten weniger an den rechtlich komplexen Fragen als am schieren Umfang der Umzugspläne: „Die Banken müssen einen Großteil ihrer Aktivitäten auf den Kontinent verlagern.“ Personal, Vertragswerke, IT-Infrastruktur und nicht zuletzt die Handelsbücher werden umgezogen. Die Großbanken aus den USA, Japan und Großbritannien verlagern pro Institut Bilanzsummen von bis zu 200 Milliarden Euro von London auf den Kontinent. Zum Vergleich: Das entspricht der Größe der gesamten DZ Bank.

Mittelstand leidet unter Priorisierung

Entsprechend müssen einige Häuser priorisieren: Sie überführen zunächst die Geschäfte mit den größten Kunden auf den Kontinent und arbeiten sich dann sukzessive zu den kleineren Unternehmen in ihrem Portfolio vor. Von diesem Zweiklassen-Verfahren besonders betroffen ist der deutsche Mittelstand. Bei Bankkunden von außerhalb der Dax-Indizes könne es durch die zögerliche Verlagerung vor allem kurzfristig eng werden, sagt Michaela Hohlmeier, Brexit-Expertin beim Deutschen Aktieninstitut: „Das ist vor allem deshalb besorgniserregend, weil kleinere Finanzabteilungen sich aus Kapazitätsgründen weniger mit dem Brexit auseinandersetzen.“

Konkret zur Disposition stehen Absicherungen von Währungs- und Zinsrisiken – denn diese Geschäfte steuern heute fast alle Großbanken von London aus. Neben Derivatetransaktionen sind auch alle weiteren Handelsgeschäfte betroffen. Selbst bei Zahlungsverkehrs- und Cash-Management-Dienstleistungen kann es unter Umständen zu einem bösen Erwachen kommen, sagt Hohlmeier: „Denn hier gibt es keine Drittstaatenregelung, die es Banken erlauben würde, diese Services auch nach einem Austritt Großbritanniens weiter aus London heraus anzubieten.“ Sie rät daher: „Unternehmen sollten sich einen Überblick über ihre Bankenlandschaft und die mit den jeweiligen Häusern abgeschlossenen Dienstleistungen verschaffen.“ Gerade für kleinere Unternehmen, die nur zu wenigen Banken Geschäftsbeziehungen unterhalten und bei den einzelnen Instituten weniger Verhandlungsdruck ausüben können, dürfte es nicht schaden, sich nach Alternativen umzuschauen.

Zudem bleibt die Hoffnung, dass sich die Verantwortlichen in Brüssel und London doch noch rechtzeitig zusammenraufen – oder aber den Brexit absagen. So glaubt etwa der Assetmanager Bluebay, dass Großbritannien auf einen harten Austritt zusteuert, der dann kurz vor dem Vollzug noch abgewendet wird. Die Wahrscheinlichkeit dieses Szenarios stufen die Londoner Assetmanager mit 50 Prozent ein. Wetten werden in der City bereits angenommen.


Der Artikel gehört zu einem Thema aus der „Markt und Mittelstand“-Ausgabe September 2018, die am 7. September erscheint. Hier können Sie das Heft bestellen und „Markt und Mittelstand“ abonnieren.

 

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