Beitrag teilen

Link in die Zwischenablage kopieren

Link kopieren
Suchfunktion schließen
Finanzierung > Ungerechtes Steuersystem

Bei wem der Fiskus übermäßig zuschlägt

Die Ampel-Regierung streitet über den Haushalt und einige überlegen laut, ob sie die Steuern erhöhen sollen. Der Bundesfinanzminister ist dagegen und bekommt Schützenhilfe: Neue Zahlen belegen, wie ungerecht es in Deutschland zugeht.

Untere und mittlere Einkommen werden stärker belastet: Sind Steuererhöhungen für Reiche die Lösung? Bild: ©Shutterstock

Ob Christian Lindner einen guten Robin Hood abgeben würde, so in grünen Strumpfhosen und mit Pfeil und Bogen, das mag jeder selbst beurteilen. Aber manche sähen den Bundesfinanzminister gern so: Er soll das Geld den Reichen nehmen und den Armen geben. Doch der FPD-Vorsitzende will genau das nicht. Er kämpft verbissen gegen den Wunsch nach Steuererhöhungen von Seiten der SPD und der Grünen: „Deutschland ist längst ein Höchststeuerland. Die hohe Steuerbelastung wirkt bis tief in mittlere Einkommen hinein“, sagte Lindner dem Handelsblatt. „Für Steuererhöhungen oder gar neue Steuern gibt es keine Begründung.“ 

In der Regierung laufen gerade die Haushaltsverhandlungen heiß und dann geht es immer auch um Steuern. Und just in dieser heiklen Phase hat Lindners Bundesfinanzministerium neue Zahlen veröffentlich, die wie ein Brandbeschleuniger wirken für die Debatte, wie gerecht es in Deutschland zugeht. Die Daten zeigen nämlich, dass der Staat untere und mittlere Einkommen verhältnismäßig stark belastet. Anders ausgedrückt: Gutverdiener wurden seit 2010 entlastet, Familien mit geringeren Einkommen aber nicht. 
 

Für gutverdienen Singles mit sechsstelligen Jahreseinkommen sank die durchschnittliche Steuerbelastung seit 2005 von 34,1 auf 31,4 Prozent. Dagegen ist für eine Familie mit zwei Kindern und einem eher niedrigen Einkommen von gut 40.000 Euro die Abgabenlast seit 2005 von 24,7 auf 25,1 Prozent gestiegen. Immerhin profitiert diese Familie von der Erhöhung des Kindergeldes in demselben Zeitraum. Genau solche Zahlen belegen das Grundproblem des deutschen Steuersystems: Für die, die wenig verdienen, steigen die Steuern bei einem Gehaltsplus besonders stark an. Kritik daran kommt von internationalen Organisationen schon seit langem. 

Der Bundesfinanzminister von der FDP hat eine Situation geerbt, die ihm ironischerweise ein SPD-Vorgänger im Amt hinterlassen und der nun sein Chef ist: Bundeskanzler Olaf Scholz. Zudem kam eine wesentliche Änderung im deutschen Steuersystem noch vom SPD-Kanzler Gerhard Schröder, der den Spitzensteuersatz Anfang der 2000er-Jahre von 53 auf 42 Prozent senkte. SPD und Grüne wollen diesen auf 45 oder 48 Prozent anheben. 

Ob das allerdings wirklich gerecht ist, darüber wird gestritten: Denn dieser kleine Teil der Steuerzahler trägt bereits einen großen Teil der Steuerlast: So zahlen die 20 Prozent Topverdiener rund drei Viertel der Lohn- und Einkommensteuer. Zudem müssen immer mehr den Spitzensteuersatz zahlen, der ab einem zu versteuernden Einkommen von etwa 63.000 Euro im Jahr fällig wird. Wer damit eine Familie ernähren und in einer Metropole Miete zahlen muss, weiß, dass da nicht viel übrigbleibt. Zumindest nicht genug, um sich als Spitzenverdiener zu fühlen. Trotz Inflation wird diese Grenze aber nicht verändert. Entsprechend stieg die Zahl der Spitzensteuersatz-Zahler seit 2010 von 1,6 Millionen auf gut drei Millionen. Lindner sagt deshalb: „Die Mitte unseres Landes muss gestärkt werden und nicht geschwächt.“
 

Nun stellt sich die Frage, wie die Regierung das Steuersystem gerechter gestalten kann. Es gibt zwei Möglichkeiten: Für die einen Steuern erhöhen oder für die anderen senken. Lindner glaubt, dass sich das Gerechtigkeitsproblem nur durch Steuersenkungen lösen lässt. Ihm springen die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute mit einem aktuellen Gutachten zur Seite, in dem sie vor höheren Abgaben warnen. Die Rechnung der unabhängigen Ökonomen geht so: Blieben den Beschäftigten in den 1970er-Jahren noch 75 Prozent ihrer Bruttolöhne nach Abzug der Steuern übrig, waren es zuletzt nicht einmal noch 68 Prozent. Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), hält „punktuelle Steuersenkungen für Unternehmen, vor allem durch Abschreibungen auf Investitionen für völlig richtig“. Auch Jörg Rocholl, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium, lehnt Steuererhöhungen nicht zuletzt auch „wegen der aktuell fragilen Konjunktur ab“. 

Derzeit wird vielen klar, warum die FDP in den Koalitionsverhandlungen unbedingt das Finanzministerium haben wollte: Lindner hat dort einen wichtigen Machthebel. Wenn er „nein“ sagt, erhalten die anderen Ministerien kein Geld. „Ich führe gerne steuerpolitische Debatten - dabei muss es aber in die andere Richtung gehen“, sagt Lindner. „Hin zu Entlastungspotenzialen und weg von immer neuen Besteuerungsideen.“ Solche Sätze frustrieren viele bei den Grünen und in der SPD . Dabei stützen nicht nur Ökonomen seinen Kurs, sondern auch die Zahlen: Deutschland hat genug Geld, zuletzt verzeichnete der Staat Rekordeinnahmen. Die Quote der Steuererlöse gemessen am Bruttoinlandsprodukt ist mit 42,2 Prozent so hoch wie noch nie. Das stärkste Argument gegen Steuererhöhungen hat Lindner damit auf seiner Seite.

Ähnliche Artikel