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Der Gaspreis wird zum Standortnachteil. Und keiner macht was.

Der Gaspreis lässt Betriebe stöhnen. Bisher gibt es keine erkennbare Strategie der Regierung, um den Anstieg zu stoppen. Dabei könnte Kanzler Olaf Scholz (SPD) mit einem Bündel von Gegenmaßnahmen den Preis zumindest dämpfen.

Gaskraftwerk
Die Gaspreise schießen in die Höhe – zulasten der Wirtschaft.

Für die Ampelkoalition in Berlin hat ein Wettlauf mit der Zeit begonnen. Es geht um die Energiepreise – vor allem um Gas. Wenn der Winter lange dauert und doch noch kalt wird, können die Energiepreise in ungeahnte Höhen schießen, was die Regierung unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) unter Druck bringen würde. Sinkt dagegen der Energieverbrauch wegen gemäßigterer Temperaturen und steigt die Leistung aus Sonne und Wind wegen eines milden Frühjahrs, dann entspannt sich die Lage.
Bislang geht es steil nach oben mit den Preisen. Die Heizsaison 2022 wird mit Erdgas deutlich teurer. Für Haushaltskunden erreichten die Gaspreise bereits im Dezember 2021 einen neuen Höchstwert. Ein durchschnittlicher Familien-Haushalt, der 20.000 kWh verbraucht, zahlt mit 1930 Euro schon 36 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Großverbraucher in der Industrie, unter ihnen vor allem die Chemie von BASF bis Bayer, aber auch die Metallverarbeiter bis zum kleinen Mittelständler stöhnen. Wer nicht beizeiten langfristige Lieferverträge mit seinem Gasversorger abgeschlossen hat, muss tief in die Tasche greifen.
Währenddessen erschöpfen sich die Vorräte immer weiter: Die Organisation Agsi, ein Zusammenschluss aller Anbieter von Gasspeichern in Deutschland, misst ständig, wie weit die Gastanks noch gefüllt sind. Zu 46 Prozent lautete der Wert Anfang dieser Woche, das sind zehn Prozentpunkte weniger als vor einem Jahr um diese Zeit. Erfahrungsgemäß leeren sich die Speicher bis Mai auf Niedrigstände um die 25 Prozent, bevor die Energieversorger wieder nachladen. Diesmal dürfte der Pegel noch tiefer fallen.
Die Möglichkeit, eine weitergehende Füllung anzuordnen, hat Scholz nicht. Es gibt keinen Bundespeicher für Gas. Und selbst wenn es so etwas gäbe, würde eine von oben verordnete Füllung nur die Nachfrage und damit die Preise weiter anheizen. Welcher Spielraum also bleibt der Regierung und ihrem Kanzler, um die durch die Decke schießenden Gaspreise unter Kontrolle zu bekommen? Es gibt sechs Wege, durchweg empfehlenswert aber ist keiner:

1. Die Fehleinschätzung von der „Brückentechnologie“ zurücknehmen

Die Regierung und ihr Kanzler haben sich im Koalitionsvertrag geeinigt, Gas als „Brückentechnologie“ weiter zu nutzen. Das Wort verrät einen Konflikt, den die Ampelparteien verdecken: Gas ist ein fossiler Energieträger, der bei der Energieerzeugung Emissionen verursacht und endlich ist. Die Grünen haben damit nichts am Hut, wissen aber auch, dass es ohne so schnell nicht geht. Also hilft das Wort von der Brückentechnologie. Das Problem: Kein langfristiger Investor ist bereit, sein Geld in eine Übergangstechnologie zu stecken. Timm Kehler, Chef vom Branchenverband Zukunft Gas, bringt es so auf den Punkt: „Gaskraftwerke müssen in immer weniger Betriebsstunden mit sehr hohen Strompreisen ihre Investitionssumme refinanzieren.“ Das ist heikel für Investoren, die aber dringend gebraucht werden, weil neue Gaskraftwerke den schnelleren Ausstieg aus der Kohle ausgleichen sollen.
Wo sich allerdings keine Investoren finden, bleibt die Technologie stehen. Die Chancen auf fortschrittlichere und effektivere Kraftwerke, die günstiger produzieren können, sinken. Die Koalition müsste das Wort von der Brückentechnologie zurücknehmen, um Investoren die Sache schmackhaft zu machen. Politisch ist das mit den Grünen allerdings nicht zu machen. Eine schnelle Senkung der Preise für Gas ließe sich so auch nicht organisieren.

2. Laufzeiten der Reaktoren verlängern

Eine politische Utopie ist es in Deutschland auch, die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu verlängern. Ihr schrittweises Abschalten befürworten beinahe alle Parteien, drei Meiler sind deswegen zum Jahreswechsel vom Netz gegangen, die verbliebenen drei werden Ende 2022 ausgeschaltet. Diesen Plan zumindest für eine Frist auszusetzen, würde zu einer Entlastung bei den Energiepreisen führen. Bislang gibt es keine Anzeichen, dass irgendeine Regierungspartei vom deutschen Sonderweg bei der Energieversorgung abweichen will. Auch hier würde ein Umschwenken der Politik keine unmittelbare Entlastung bei den Gaspreisen ergeben, sondern allenfalls langfristig für Entspannung sorgen.

3. Abhängigkeit von bisherigen Lieferanten verringern

Laut dem „Statistic Review of World Energy“ von BP hat Deutschland 2019 gut die Hälfte seiner Erdgasimporte aus Russland bezogen (51 Prozent), Norwegen lieferte 27 Prozent. Gas muss jedoch nicht aus der Röhre kommen, sondern kann als Flüssigkeit auch in Tankschiffen transportiert werden, die an sogenannten LNG-Terminals entladen werden, von denen aus das Gas an seinen Zielort gepumpt wird. Deutschland aber hat keinen einzigen LNG-Hafen. US-Tankschiffe, von denen derzeit zahlreiche Richtung Europa unterwegs sind, landen in Belgien und den Niederlanden. Der Bau eigener LNG-Häfen würde einen unmittelbareren Zugang zu weiteren Gaslieferanten gewährleisten. Brunsbüttel und Stade sind mögliche Standorte. Doch es gibt niemanden, der den Bau energisch vorantreibt. Auch hier erweist sich das Wort von Gas als  „Brückentechnologie“ als Investitionshindernis.

4. Nord Stream II unterstützen

In der Regierungskoalition gibt es keine einheitliche Meinung zur russisch-deutschen Pipeline Nord Stream II. Sie ist fertiggebaut, ihr Betrieb aber noch nicht genehmigt. Flösse russisches Gas ungehindert durch die zusätzliche Röhre, wäre das Angebot wahrscheinlich insgesamt höher, und die Preise würden sinken. Scholz verweist darauf, dass die Politik Behördenentscheidungen nicht vorgreifen will, und lässt seine Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) gewähren, die das ganze Projekt am liebsten sofort beenden würde. Der Konflikt könnte sich zur ersten echten Nagelprobe für die Ampelkoalition entwickeln. Bislang scheut Scholz den offenen Streit in der Regierung.

5. CO2-Preis-Steigerung stoppen

Die Bundesregierung könnte die Steigerung der CO2-Steuer aussetzen oder zurücknehmen. Damit würden die Gas-Preise unmittelbar sinken. Der Wettbewerbsnachteil deutscher Unternehmen, die darunter leiden, dass anderswo eine solche Steuer nicht anfällt, wäre mit einem Schlag geheilt. Aber: Der steigende Preis soll einen Erziehungseffekt haben und die Betroffenen dazu bringen, Emissionen einzusparen. Außerdem wird ein Teil des Erlöses in den Ausbau der erneuerbaren Energien gesteckt, wodurch die EEG-Umlage auf Strom sinken kann. Die Preissteigerung bei CO2 zu stoppen, hätte also an anderer Stelle zur Folge, dass bereits geplante Entlastungen bei den Strompreisen nicht finanziert werden können. Auch das ist damit keine durchweg gute Idee.

6. Lieferverträge stoppen

Russland liefert Gas aus Sibirien auch durch die sogenannte Jamal-Pipeline nach Deutschland. Aufgrund von Lieferverträgen mit Polen wird die Pipeline derzeit in die umgekehrte Richtung benutzt: Gas, das hierzulande angekommen ist, wird nach Polen geliefert, weil entsprechende Abkommen existieren. Sie zu brechen, würde allerdings unmittelbar den berechtigten Protest Polens beschwören.

Unterm Strich gibt es für die deutsche Regierung damit nicht den einen Weg, um die Gaspreise zu senken. Scholz könnte allerdings von einigen Möglichkeiten teilweise Gebrauch machen. Ein Moratorium bei den CO2-Preisen, der zügige Bau von LNG-Terminals und Druck, Nord Stream II ans Netz gehen zu lassen, wäre zumindest eine Strategie, um die Gaspreise langfristig wieder auf ein erträgliches Niveau zu senken.

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