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Finanzierung > Gender Pay Gap

Warum Frauen und Männer bald gleich bezahlt werden müssen

Frauen verdienen sieben Prozent weniger, auch wenn sie mit denselben Qualifikationen dasselbe tun. Der Befund ist alt, aber er darf nicht länger so bleiben. Was zu tun ist.

Bettina Orlopp ist Finanz-Vorständin der Commerzbank.
Die Zahlen im Griff: Bettina Orlopp verantwortet im Vorstand der Commerzbank die Finanzen. Sie war 2017 die erste Frau in der Führungsriege des Kreditinstituts – immer noch etwas Besonderes, denn in der Finanzbranche gibt es sehr wenige Frauen in Toppositionen. Bildquelle: Commerzbank AG

Manchmal gehört Mut dazu, um als Arbeitgeber auf einem leer gefegten Arbeitsmarkt doch noch einen Stich zu machen. Das gilt erst recht in beliebten Metropolen wie München. Und es gilt auf Märkten, wo absoluter Mangel herrscht – wie im Gesundheitswesen. „Wir wollten nicht nur sagen, dass wir alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gleichbehandeln. Wir wollten es beweisen“, erinnert sich Mike Schulz, Personalchef am Isar Klinikum München. Natürlich weiß Schulz, dass Transparenz inklusive Kontrolle durch Dritte auch sehr unbequeme Wahrheiten zutage fördern kann. Doch es half nichts. Schulz entscheid sich für ein zweistufiges Verfahren: Erst messen, dann zertifizieren lassen. Am Ende erhielt das Isar Klinikum das Zertifikat von der EU-Initiative Universal Fair Pay Check – mit Unterschrift von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD).

Angefangen hat der Personalchef mit der Nachhaltigkeitsbeauftragten und der Verwaltungsleitung des Unternehmens 2021. Maximale Transparenz wollte er erreichen bei machbarem Zeitaufwand, also fütterte das Team des Klinikums ein Softwarettool namens Logib mit den Gehaltsdaten der Mitarbeiter. Die Analyse erfolgte nach einer klaren Matrix, in der die Beschäftigten gruppiert wurden. Die Position spielte genauso eine Rolle wie der Grad der Verantwortung und die Frage, wie komplex die Arbeit ist. „So haben wir versucht, Vergleichbarkeit herzustellen“, erklärt Schulz. Am Ende kam heraus, dass die Gehaltsunterschiede von Männern und Frauen, die einer vergleichbaren Tätigkeit im Unternehmen nachgehen, durchweg zwischen null und zwei Prozent liegen. Ein Topwert, mit dem sich das Isar Klinikum das Zertifikat verdient hatte.

So wie bei den Isar Kliniken läuft es nur bei wenigen. Dem Statistischen Bundesamt zufolge haben Frauen 2021 pro Stunde durchschnittlich 18 Prozent weniger verdient als Männer. 2006 betrug dieser sogenannte unbereinigte Gender-Pay-Gap noch 23 Prozent. Hier werden pauschal alle Löhne und Gehälter von Frauen und Männern verglichen, unabhängig davon, was sie genau machen oder ob sie Voll- oder Teilzeit arbeiten. Der bereinigte Gender-Pay-Gap liegt deutschlandweit bei sieben Prozent: So viel weniger verdienen Frauen mit derselben Arbeitszeit und vergleichbaren Qualifikationen, Tätigkeiten sowie Erwerbsbiografien wie ihre männlichen Kollegen. „Der unbereinigte Gender-Pay-Gap spiegelt die gesellschaftliche Realität im Ganzen wider – mit all ihren tradierten Rollenmustern. Für die einzelne Organisation ist der bereinigte wichtiger, weil man hier Unterschiede erkennen kann zwischen Männern und Frauen, die eigentlich dasselbe verdienen müssten“, sagt Katharina Wauters, Vergütungsexpertin bei der Personal- und Managementberatung Kienbaum.

Der Druck steigt

Auch wenn sich auf Sicht von Jahrzehnten etwas tut, es geht nur langsam voran. Aber immerhin, es tut sich etwas. „Was sich ändert, ist die Wahrnehmung bei den Unternehmen“, sagt Florian Frank, Vergütungsexperte bei der Unternehmensberatung WTW. Vor drei Jahren habe er kaum Projekte dazu gehabt, jetzt gebe es immer mehr Anfragen. Die Gründe sind vielfältig: Der Druck aus der Öffentlichkeit steigt, auch Kunden und der Finanzsektor fragen gezielter nach, wie es um das soziale Miteinander bestellt ist, wozu die faire Bezahlung von Frauen und Männern gehört. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen inzwischen sehr genau, dass ihr Arbeitgeber diesbezüglich liefern muss. Studien zeigen, dass gerechte Bezahlung die Fluktuation verringert und sich so Talente einfacher anwerben lassen.

Aber vor allem gibt es jetzt Druck aus der Politik: Kurz vor Weihnachten wurden Einzelheiten zur neuen Entgelttransparenzverordnung der Europäischen Union bekannt, die EU-Rat und -Parlament vermutlich im März beschließen. Die Regierungen haben dann maximal drei Jahre Zeit, die Verordnung in nationales Recht zu überführen – in Deutschland dürfte das 2024 der Fall sein. Für Experten ist das ein „Gamechanger“ im Hinblick auf Equal Pay: „Firmen ab 100 Mitarbeiter müssen dann ihren Pay Gap veröffentlichen“, sagt Vergütungsexperte Frank. Dazu gehören dann der EU-Verordnung zufolge alle Beschäftigten mit einem Arbeitsvertrag. Und mit Vergütung ist nicht nur das Festgehalt gemeint, dazu gehören auch weitere Zuwendungen einschließlich Sachleistungen wie Dienstwagen. Je nach Unternehmensgröße muss jährlich berichtet werden, bei kleineren Firmen alle drei Jahre. Entscheidend ist auch der Faktor, dass die Beweislast beim Arbeitgeber liegt. Er muss nachweisen, dass keine geschlechtsbezogene Diskriminierung vorliegt.

Nun gibt es da aber ein Problem: „Die meisten Unternehmen wissen gar nicht, wie hoch die Lücke bei ihnen ist“, glaubt Vergütungsexperte Frank. „In der Regel bildet sich eine Arbeitsgruppe bestehend aus Vertretern von HR, Controlling, Geschäftsführung, idealerweise jemandem aus dem Business und, wenn vorhanden, Betriebsrat.“

Zu ermitteln, wie fair ein Betrieb seine eigenen Leute bezahlt, ist nicht ganz einfach. Unternehmen sind also gut beraten, zügig damit anzufangen, bevor der Gesetzgeber spätestens im März 2026 von ihnen verlangt, es zu können. Die Komplexität liegt darin, herauszufinden, ob eine Person wegen des Geschlechts weniger verdient. Denn dafür muss man die anderen Varia­blen herausrechnen. Vergleicht man eine Frau, die auf dem Land lebt, mit einem Kollegen in München, können die Gehälter allein schon wegen der Standorte unterschiedlich sein – und es läge dennoch keine Diskriminierung vor.

Chancen auf Weiterbildung

Konkret müssen Unternehmen Kategorien von Mitarbeitern bilden, die einer gleichwertigen Arbeit nachgehen, und innerhalb dieser Kategorien Transparenz über die Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen herstellen. Wenn der Transparenzbericht in einer dieser Gruppen mehr als fünf Prozent Gehaltsunterschied offenlegt, muss der Betrieb dagegen etwas unternehmen, wenn er keine eindeutige geschlechtsneutrale Rechtfertigung vorweisen kann. Dann kommt – falls vorhanden – auch der Betriebsrat ins Spiel.

Im Einzelnen sollten Betriebe mehrere Aspekte von Fair Pay betrachten: Gleiche Bezahlung für gleichwertige Arbeit ist besonders heikel – das ist mit dem Gender-Pay-Gap gemeint. Doch zur gerechten Vergütung gehört auch, dass alle Mitarbeiter dieselben Chancen zur Weiterentwicklung haben. Oder dass ein Unternehmen transparent über die Gehaltsentscheidungen berichtet. Auch dass gemäß der Leistung gerecht vergütet wird, ist Mitarbeitern wichtig, aber gar nicht so leicht zu messen.

Eine Besonderheit kommt bei vielen Mittelständlern ins Spiel: die Nebenleistungen. Bei börsennotierten Konzernen gibt es da relative klare Regeln, die Größe des Dienstwagens zum Beispiel. „Aber im Mittelstand kann es auch hier zu erheblichen Unterschieden bei Männern und Frauen kommen“, sagt Frank. Er empfiehlt „auch für Nebenleistungen klare Vergütungsstrukturen festzulegen“. Der Vergütungsexperte warnt davor, die Gehälter von einzelnen Frauen anzupassen und dann zu glauben, dass das reiche. „Das nützt nichts, auch weil sich die Gehaltsunterschiede erfahrungsgemäß nach einiger Zeit wieder einstellen, wenn man ihre Ursachen nicht behebt. Betriebe ab 100 Mitarbeitern brauchen Strukturen, die professionell geschlechtsneutral sind.“

Die Erfahrung der Vergütungsexperten ist eindeutig: Je höher die Transparenz ist, desto niedriger ist das Gender-Pay-Gap. Zwar treten durch die erhöhte Transparenz unangenehme Wahrheiten zutage. Und so manche langjährige Führungskraft muss fürchten, dass eine gewisse Ungleichbehandlung öffentlich wird. Aber die Erfahrung zeigt, dass der gute Wille goutiert wird. „Das wesentliche Versäumnis von Unternehmen ist, gar nicht erst anzufangen“, sagt Wauters von Kienbaum. Wenn dann angefangen wurde, stiegen in der Regel die Gehälter der Frauen und glichen sich dem Niveau der Männer an. „Durch diese Maßnahmen kann es passieren, dass verdiente Gehaltserhöhungen von Männern verschoben werden müssen. Wir entwickeln für solche Fälle Simulationen. Da gibt es aber weitaus weniger Streit, als man denkt“, sagt Wauters. Denn die meisten betroffenen Männer verstehen, dass es berechtigt ist, ein Jahr zu warten, damit im Unternehmen Gerechtigkeit bei der Vergütung hergestellt wird.
Aber sind Frauen nicht auch selbst schuld, dass sie weniger Geld bekommen, weil sie in Gehaltsverhandlungen zu passiv auftreten? Eindeutige Zahlen fehlen. Marco H. Neumueller, Partner der Personalberatung Odgers Berndtson, kennt aus der Praxis ein Muster: „Die Frauen, die es bis an die Spitze geschafft haben, verhalten sich selten passiver als ihre männlichen Pendants.“ Auf den Mittelmanagementpositionen sehe es anders aus. „Hier findet man häufig noch Frauen, die sehr viel vorsichtiger in Gehaltsverhandlungen gehen und sich tendenziell auch eher passiver verhalten.“
Das muss künftig kein Nachteil mehr sein. Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt entschied gerade, dass ein Unternehmen einem Mann nicht mehr für die gleiche Arbeit bezahlen darf als einer Frau, nur weil er besser verhandelt hat als sie. Ihr Lohn müsste in diesem Fall auf den des Mannes ansteigen.

 

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