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Finanzierung > Umfrage bei Sparkassen

„Immer mehr Betriebe leben von der Substanz“

Die Sparkassen sind wie ein Seismograph für die Frage, wie es dem Land finanziell geht. Die Inflation hat spürbare Auswirkungen auf Menschen und Unternehmen. Erfahrene Banker bekommen Sorgenfalten auf der Stirn.

Unternehmen bauen Lagerbestände aufBild: Shutterstock

Immer mehr der fünf Millionen Sparkassenkunden sind so von den steigenden Lebenshaltungskosten belastet, so dass sie kein Geld mehr auf die hohe Kante zurücklegen können. Aktuell kommen gut 40 Prozent noch gerade so bis zum Monatsende hin. „Jetzt verschiebt sich die Zahl in Richtung 50 Prozent. Das heißt, dass die Hälfte der Kunden kein Geld mehr zur Seite legt. Sie decken mit ihren Einkommen ihre Ausgaben“, erklärt Peter Schneider, Präsident des Sparkassenverbandes Baden-Württemberg, der die 50 Institute des Landes vertritt.
Dabei komme die große Welle erst bei den Bürgern an, wenn Mieter die Heizkostenabrechnung bekommen und die Vermieter sich zu neuen Preisen mit Energie eindecken müssen. „Die Entwicklung wird politisch ignoriert“, kritisiert Schneider. Die Sparkassen hätten überdurchschnittlich viele Kunden mit kleinen Einkommen und seien deshalb ein Seismograf für diese Entwicklung.
Die wirtschaftliche Belastung können die Sparkassen daran ablesen, dass die Einlagen nicht mehr zugenommen haben. „Das haben wir zuletzt vor zehn Jahren erlebt“, bestätigt Joachim Herrmann, Hauptgeschäftsführer des Verbandes. Bei den Unternehmen sei inzwischen zu beobachten, dass sie zunehmend Geld von den Sparkassen abziehen, um ihre gestiegenen Kosten zu decken. „Man kann also sagen, dass immer mehr Betriebe von der Substanz leben“, schlussfolgert Schneider.

Kreditbedarf steigt an

Der Sparkassenverband hat insgesamt einen steigenden Kreditbedarf in der ersten Jahreshälfte registriert. Sie haben den Sparkassen in Baden-Württemberg um 7,5 Prozent zugelegt und einen Rekordwert von 157,3 Milliarden Euro erreicht. Offenbar wollten sich Privatkunden und Unternehmen die günstigen Zinsen sichern. Seit Juni mehren sich aber aus den Sparkassen die Meldungen, dass bereits zugesagte Baukredite doch nicht abgerufen werden. Für die Experten ist das ein Zeichen, dass immer mehr Häuslebauer überdenken, ob sie sich ihr kostspieliges Vorhaben überhaupt noch leisten können.
Die Banker halten Immobilien immer noch für eine attraktive Investition. „Die Frage ist allerdings, wer kann sich das noch leisten?“, meint Herrmann. Bisher rechnet der Verband aber nicht mit einer hohen zahl von Kreditausfällen. „Die Sparkassen finanzieren höchstens 80 Prozent der Kosten. Somit ist das Ausfallrisiko nicht so groß“, erklärt Schneider. „Wer aber 100 Prozent des Hausbaus finanziert hat, für den wird es bald eng.“

„Es trifft jeden Mittelständler bis zur letzten Schraube.“

Eine Prognose wagt der Verbandschef nicht. „Für 2022 ist alles drin: von Rezession bis Durchstarten.“ Die Gefahr einer Pleitewelle sehe er aktuell jedenfalls noch nicht. Er beobachtet allerdings einen zunehmenden Beratungsbedarf bei mittelständischen Unternehmen. Die hätten Probleme die komplizierten Nachhaltigkeitsvorgaben so umzusetzen, damit sie weiter an Kredite kommen. Die von der EU im Rahmen der Taxonomie vorgegebenen ESG-Kriterien schreiben unter anderem vor, dass die Kreditnehmer das Geld für ein umweltfreundliches Wirtschaften einsetzen. Sonst müssen sie entweder höhere Zinsen entrichten oder bekommen kein Geld mehr, weil die Banken sich entsprechend bei der EZB verantworten müssen.
Es stimme schlicht nicht, dass nur Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter betroffen sei, so Schneider, und betont: „Es trifft jeden Mittelständler bis zur letzten Schraube.“ Selbst Dienstleister gehen die ESG-Kriterien an. „Wir haben die Mitarbeiter intensiv geschult und lassen die Kunden nicht hängen. Doch die müssen sich in vielen Fällen umstellen. Wer das nicht tut, dem können wir auf Dauer nicht mehr helfen“, stellt Schneider klar.

Unternehmen bauen Lagerbestände auf

Besorgt beobachten die Banker auch, dass viele Unternehmen jetzt Kredite aufnehmen, um ihre Lagerbestände aufzubauen. Das könne daran liegen, dass die Lieferketten nicht funktionieren. Es könne aber auch ein erstes Anzeichen für eine bevorstehende Krise sein, so Schneider. Die so entstehenden hohen Lagerbestände sind aus Sicht der Kreditgeber ein zusätzliches Risiko, denn heute könne man nicht voraussagen, wann und zu welchem Wert die eingelagerte Ware verwendet werden kann.
Schneider begrüßt, dass die Zeit der Negativzinsen vorbei ist: „Die Entscheidung der EZB war überfällig.“ Damit gehe eine Zeit zu Ende in der man den Kunden erklären musste, warum sie plötzlich Geld für ihre Ersparnisse zahlen sollten. Inzwischen verdienen die Sparkassen mit dem Zinsgeschäft wieder Geld. Bei den Kunden dürfte hingegen allenfalls bei längerfristigem Festgeld etwas Zählbares ankommen. Wobei auch hier durch die Inflation tatsächlich ein noch nie dagewesener negativer Realzins von minus sieben Prozent erreicht werde.
Bei Tagesgeldern sei erst in den kommenden Monaten sporadisch mit einem Zinsangebot zu rechnen. Für die kostenintensiven Girokonten werde es auch weiterhin keine Zinsvergütung geben, so Schneider. Wohl auch deshalb haten die Anleger an ihren Wertpapierdepots fest. Selbst nach dem Kursverfall an den Börsen, haben die Sparkassen keinen nennenswerten Rückgang registriert.

auk

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