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Finanzierung > Mini-Bonds in der Krise

Für wen sich die Mittelstandsanleihe jetzt noch lohnt

Die Insolvenzen von KTG Agrar und German Pellets waren nur die Spitze des Eisbergs: Durch Pleiten und Skandale geriet die Mittelstandsanleihe als Finanzierungsinstrument in Verruf. Für welche Unternehmen kommt sie überhaupt noch in Frage?

„Als solides Unternehmen will man mit der Mittelstandsanleihe heute nicht mehr in Verbindung gebracht werden“, sagt Ralf Brühöfner, Finanzchef von Berentzen. Das Familienunternehmen aus Haselünne im Emsland ist bekannt für seine Spirituosen, stellt inzwischen aber auch zahlreiche nicht-alkoholische Getränke her. Vor viereinhalb Jahren platzierten die Norddeutschen eine Mittelstandsanleihe über 50 Millionen Euro.

Als Anfang dieses Jahres die Refinanzierung anstand, entschloss sich Brühöfner dazu, die Mittelstandsanleihe zur Hälfte aus eigenen Mitteln zurückzuzahlen und zur Hälfte durch einen Konsortialkredit zu ersetzen. „Die Anleihe war für uns nicht das richtige Finanzierungsinstrument. Die einmaligen Emissionskosten und Kuponerwartungen der Investoren wären zu hoch gewesen“, resümiert der Finanzchef, „und das starre Anleihevolumen passt nicht zu unserem volatilen Liquiditätsbedarf.“ Die jährlichen Finanzierungskosten sinken für den Getränkehersteller, der sich in den vergangenen Jahren wirtschaftlich deutlich stabilisiert hat, um mehr als 2 Millionen Euro.

Damit befreit sich Berentzen von der „Konnotation Mittelstandsanleihe“, wie Brühöfner es nennt. Der Finanzchef von Berentzen bringt auf den Punkt, was viele Marktteilnehmer seit längerem denken: Die Marke „Mittelstandsanleihe“ ist kein Gütesiegel mehr.

German Pellets und KTG Agrar haben Flexibilität ausgenutzt

Dabei war das Prinzip der Anleihe für den Mittelstand, das im Jahr 2010 erstmals an der Börse Stuttgart durch das neu geschaffene Segment BondM aufkam, durchaus interessant. Das neue Instrument bot zahlreichen Unternehmen eine Finanzierungsquelle, die es zuvor nicht gab. Viele, wie etwa der Bietigheimer Anlagenbauer Dürr, konnten Mittelstandsanleihen nutzen, um schwierigere Phasen zu überbrücken. Besonders den Unternehmen, die bei Banken nicht hoch im Kurs standen, kam entgegen, dass die meisten Mittelstandsanleihen unbesichert waren und – im Gegensatz zum Bankkredit – keine oder nur sehr schwache Kreditauflagen enthielten.

Die unternehmerische Flexibilität und die mangelnde Kontrolle durch die Investoren führten jedoch dazu, dass einige Emittenten allzu sorglos mit den investierten Geldern umgingen. Manche überschritten sogar die Grenze zur Illegalität. Beispiel KTG Agrar: Siegfried Hofreiters Landwirtschaftsunternehmen und die zugehörige Schwester KTG Energie waren mit drei Anleihen im Gesamtvolumen von 285 Millionen Euro am Markt. Im Juni 2016 kam heraus, dass das Unternehmen weder seine Zinsen noch seine Tilgung leisten würde. Die Insolvenz war unausweichlich, obwohl Hofreiter seinen Investoren bis zuletzt versprochen hatte, bald „die Ernte einzufahren“.

Keinen Deut besser: der Fall German Pellets. Unternehmensgründer Peter Leibold hielt es bis unmittelbar vor der Insolvenz nicht für nötig, seine Anleger über die kritische Lage des Pelletproduzenten aus Wismar ins Bild zu setzen. „Wir arbeiten mit Hochdruck an der Refinanzierung der Anleihe“, hieß es im übertragenen Sinn noch kurz vor der Insolvenz. Als German Pellets Insolvenz anmeldete, fand die Insolvenzverwalterin in den Kassen nur noch wenige Tausend Euro vor. Sowohl gegen Leibold als auch gegen Hofreiter laufen derzeit mehrere Anklagen.

Mittelstandsanleihen werden kaum noch platziert

Die Großinsolvenzen von KTG und German Pellets sind nur die Spitze des Eisbergs. Einen weiteren traurigen Rekord schrieb das vergangene Jahr, was die Anzahl von leistungsgestörten Anleihen betrifft. Damit sind Wertpapiere gemeint, die außergerichtlich restrukturiert wurden, ihre Zinszahlung nicht fristgemäß leisten konnten oder deren Emittenten Insolvenz anmelden mussten. Die Finanzberatung Capmarcon hat seit der Gründung des Marktsegments im Jahr 2010 insgesamt 51 solcher Papiere identifiziert. Gesamtvolumen: 1,85 Milliarden Euro, Ausfallquote: 30 Prozent.

Die Zahl neuer Platzierungen ist stark rückläufig. Im vergangenen Jahr wurden nur noch Anleihen im Volumen von 284 Millionen Euro angekündigt. De facto konnten davon lediglich 205 Millionen Euro platziert werden. Zum Vergleich: In den Rekordjahren 2011 und 2013 brachten Mittelständler noch Anleihen über rund 1,9 beziehungsweise 2,1 Milliarden Euro bei Investoren unter.

Nur wenige Unternehmen, wie etwa der Süßigkeitenhersteller Katjes International oder die saarländische Brauerei Karlsberg, haben erfolgreich neue Anleihen platziert. Einstige Emittenten, deren Geschäfte sich wie bei Berentzen, dem Buchverlag Bastei Lübbe oder dem Pharmaunternehmen Sanochemia positiv entwickelt haben, kehren dem Krisenmarkt den Rücken. Sie bevorzugen heute den klassischen Bankkredit oder einen Schuldschein. Lediglich zwei neue Emittenten kamen im vergangenen Jahr an den Markt. Wenig übertrieben erscheint deswegen, wenn die Finanzberatung Capmarcon in ihrer Analyse von „Zersetzungserscheinungen“ am Mini-Bond-Markt schreibt.

Zahlreiche Emittenten nicht kapitalmarktfähig

Aussicht auf Besserung gibt es kaum. In diesem Jahr werden Anleihen mit einem Gesamtvolumen von 1,13 Milliarden Euro fällig, wovon laut Capmarcon bereits 736 Millionen leistungsgestört sind. Das entspricht einer Ausfallquote von 65 Prozent – ein dramatischer Wert, auch weil den emittierenden Unternehmen häufig eine gute Bonität im „Investmentgrade“ ausstellten. Pikant: Mehr als die Hälfe der bisher komplett kollabierten Mittelstandsanleihen war mit diesem Gütesiegel etikettiert. Frank Günther, Geschäftsführer von One Square Advisors, findet daher deutliche Worte: „Die Ratings waren in den meisten Fällen das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben standen.“

Mangelhaft waren in vielen Fällen die Geschäftsmodelle der Emittenten. Hinzu kamen Mängel bei der Mittelverwendung, den Standards, den Emissionsbanken oder den Investoren. Da die Anleihen oft kleinvolumig waren, lockte das unerfahrene Privatanleger an, die sich von den im Schnitt mit 7 bis 8 Prozent verzinsten Kupons blenden ließen und das Ausfallrisiko nicht einschätzen konnten oder wollten. Hinzu kommt: Zahlreiche Emittenten waren nicht wirklich kapitalmarktfähig.

Wie könnte nach dem Desaster die Zukunft der Mittelstandsanleihe aussehen? „Man braucht ein valides, ertragreiches Geschäftsmodell, das sich auf einen gesunden Finanzierungsmix stützt“, fordert Günther. Der Mini-Bond-Sanierer skizziert ein durchschnittlich produzierendes Unternehmen mit normalem Wachstum und einer Schuldenkapazität vom 3- bis 4-Fachen des Gewinns vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda). Das Ebitda sollte mindestens zwischen 15 Millionen und 30 Millionen Euro liegen.

Solide Emittenten kehren der Mittelstandsanleihe den Rücken

Ein solches Unternehmen vertrage eine Verschuldung von 60 Millionen bis 80 Millionen Euro, ist sich Günther sicher. Eine unbesicherte Mittelstandsanleihe sollte davon maximal die Hälfte ausmachen. Die übrige Finanzierung sollte über eine Bank erfolgen, die strengere Kreditauflagen verlangt und damit eine Überwachungsfunktion wahrnimmt.

Neben der Kommunikation mit Fremdkapitalgebern verlangt der Anleihemarkt nach deutlich höherer Transparenz und Berichterstattung, als Mittelständler es gemeinhin gewohnt sind. Auch die Anforderungen an die Controllingsysteme und die Risikobetrachtung steigen. Das sieht Berentzen-Finanzchef Brühöfner ebenso: „Einem Unternehmen, das keine Offenlegungshistorie hat und Außenkommunikation als Nebensache betrachtet oder sogar als unangenehm empfindet, rate ich von der Mittelstandsanleihe ab.“ Man müsse Vertrauen bei Investoren schaffen. Dieses aufrechtzuerhalten ist für einen funktionsfähigen Markt eine Grundvoraussetzung.

Ob Investoren der Mittelstandsanleihe noch einmal eine Chance geben, scheint derzeit fraglich. Auch solide Emittenten verabschieden sich sukzessive aus dem Segment. Für seriöse Kaufleute ist das nicht unproblematisch: „Möchte ich heute eine Mittelstandsanleihe mit fünf Jahren Laufzeit begeben, kann ich mir nicht sicher sein, ob es den Markt zum Zeitpunkt der Fälligkeit überhaupt noch gibt“, sagt Brühöfner.

Für viele Mittelständler sind andere Finanzierungswerkzeuge sinnvoller. Für wen sich Schuldscheine lohnen, erfahren Sie hier. Wer mit einem Private-Equity-Investor besser fährt, steht in diesem Artikel. Alles weitere zum Thema Finanzierung auf unserer Themenseite und bei den Kollegen von FINANCE.