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Finanzierung > Kommentar

Jeden Tag 500 neue Spitzensteuerzahler

Immer mehr Deutsche müssen den Höchststeuersatz zahlen. Was einst für die wirklich Reichen gedacht war, trifft heute den deutschen Mittelstand in voller Breite. Und jeden Tag werden es 500 Bürger mehr.

Rechnerisch werden an jedem einzelnen Tag weitere 500 Deutsche mit dem Spitzensteuersatz besteuert. Nach Angaben des Bundesfinanzministeriums sind es mittlerweile 4,5 Millionen Deutsche. 2015 waren es nur 3,5 Millionen Personen. Es sind nicht mehr wenige Reiche, die der Spitzensteuersatz trifft. Normale Angestellte werden millionenfach zu Superreichen erklärt. Der Spitzensteuersatz muss von Alleinstehenden bereits auf ein zu versteuerndes Einkommen gezahlt werden, das über 57.054 Euro hinausgeht.

Historisch liegt dem Spitzensteuersatzes die Vorstellung zugrunde, dass nur Spitzenverdiener dem Spitzensteuersatz unterliegen und daher sehr hohe Steuersätze zu einer gerechten Umverteilung führen. Tatsächlich aber zeigen die Daten aus dem Bundesfinanzministerium einen extremen Wandel: Wurde im Jahr 1960 der Spitzensteuersatz auf Einkommen ab 56.263 Euro erhoben, was dem 18-Fachen des Durchschnittseinkommens von 3.144 Euro entsprach, so musste im Jahr 2018 das Einkommen nur noch das 1,6-Fache des Durchschnittseinkommens von 35.189 Euro betragen, damit der Spitzensteuersatz anfällt.

Die Situation ist mittlerweile derart verzerrt, dass selbst der Linksparteien-Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch fordert: "Neben der Erhöhung des Steuerfreibetrages werbe ich für die Verschiebung des Spitzensteuersatzes zur Entlastung der Mittelschicht. Wir brauchen im Steuersystem wieder eine Unterscheidung zwischen Mitte und Oben." FDP und CDU nennen es schon lange "ein falsches Signal", wenn Mittelständler, Facharbeiter und Spitzenmanager denselben Steuersatz zahlten. Fast alle Parteien wollen in der nächsten Legislatur eine Reform.

Auch Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz will eine Verschiebung der Einkommensgrenze nach oben, fordert freilich vor allem eine deutliche Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Die Bürger, die "sehr, sehr viel verdienen, sollten einen etwas höheren Beitrag leisten", sagt Scholz, und weiter: "Starke Schultern sollte jetzt mehr tragen." Der Steuerzahlerbund fordert, den Spitzensatz erst ab einem zu versteuernden Einkommen von 80 000 Euro greifen zu lassen.

Es ist offensichtlich, dass mit dem Spitzensteuersatz nicht mehr Reiche, sondern vor allem höhere Angestellte, besonders qualifizierte Facharbeiter, IT-Spezialisten und die dynamische Aufsteiger trifft. Diese verfügen aber in der Regel nicht – oder nur zum geringen Teil – über Einkünfte aus anderen Einkunftsquellen, insbesondere Einkünfte aus Kapitalvermögen, die gesondert mit der Abgeltungsteuer besteuert werden. Eine Anhebung des Spitzensteuersatzes würde daher nicht nur die dynamischen Leistungsträger treffen, sondern verstärkt diejenigen treffen, die nicht über zusätzliche Einkünfte aus privatem Vermögen verfügen und sogar den Aufbau von privatem Vermögen verhindern.

Zusätzlich haben die Spitzensteuerzahler heute viel weniger Optionen, ihre Steuerlast zu senken als früher. Zu Zeiten eines Spitzensteuersatzes von 56 Prozent, der von 1975 bis 1989 galt, gab es zahllose Absetzmöglichkeiten und Steuersparmodelle, die damals die Bemessungsgrundlage erheblich verminderten und so die tatsächliche Steuerlast verringerten. Diese wurden, wie zum Beispiel Verlustverrechnungsmöglichkeiten aus geschlossenen Fonds wie Schiffs- oder Medienfonds, inzwischen stark eingeschränkt. Steuerliche Absetzmöglichkeiten wurden, wie z.B. die Höhe der Pendlerpauschale trotz steigender Benzinpreise und Inflation, nicht erhöht, sondern seit den 1990er Jahren sogar gesenkt.

Die im nun beginnenden Bundestagswahlkampf immer wieder – nicht zuletzt wegen der Milliardenschulden infolge der Pandemie – geforderte Erhöhung des Spitzensteuersatzes würde aber nicht nur die Mittelschicht treffen. Eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes könnte auch viele Unternehmen in Deutschland hart treffen Im deutschen System der dualen Unternehmenssteuern unterliegen auch Unternehmen, das heißt Einzelunternehmen und die Gewinne von Personengesellschaften, dem Einkommensteuertarif. Bei einer Anhebung des Spitzensteuersatzes würden viele Mittelständler zusätzlich belastet, obwohl die Steuer- und Abgabenbelastung in Deutschland schon so hoch ist wie sonst kaum auf der Welt.

Die Stiftung Marktwirtschaft warnt daher zurecht: "Die Höhe des Spitzensteuersatzes ist somit kein Garant für Steuergerechtigkeit. Umverteilung bei der Einkommensteuer in Deutschland funktioniert auch ohne Zusatzbelastung von Leistungsträgern: Die obersten 10 Prozent der Steuerpflichtigen tragen 54,8 Prozent des Aufkommens an der Einkommensteuer."

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