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Finanzierung > Angriff auf Grenke

Kakerlaken in der Küche

Nach dem Angriff des Leerverkäufers ändert Leasingspezialist Grenke sein Geschäftsmodell. Protokoll einer Verteidigungsschlacht.

Der 14. September ist ein Montag, es ist spätsommerlich heiß in Baden-Baden, das sich selbst die „kleinste Weltstadt“ nennt. Die Anzeige auf dem Thermometer klettert auf mehr als 30 Grad und auch in den glaswürfelförmigen Büros der Grenke AG am Neuen Markt steigt die Temperatur. Grenke Finanzchef Sebastian Hirsch brütet über einer 40 Punkte umfassenden Anfrage des Magazins „Der Spiegel“. 24 Stunden haben ihm die Journalisten für die Antwort Zeit gegeben – und mit jeder Frage, die er liest, wird Hirsch klarer, dass sich hier etwas zusammenbraut. Die kleinste Weltstadt könnte zum Schauplatz eines globalen Krimis werden. Und so kommt es dann auch. Noch am Abend klingeln die Smartphones bei den Anwälten, Mitarbeiter werden aus dem Urlaub zurückgerufen, Kommunikationsprofis angeheuert.

Im US-Bundesstaat Delaware ist es um diese Zeit erst mittags. Delaware ist hierzulande bislang nur für zwei Dinge bekannt: Der nächste US-Präsident Joe Biden ist hier aufgewachsen, und der Staat wird in der Liste der Steueroasen noch vor den CaymanInseln oder Luxemburg geführt. Investoren sollten sich aber noch etwas merken: In Delaware hat auch Viceroy seine Adresse. Viceroy hat der britische Börsenhändler Fraser Perring sein Analystenteam getauft, das auf Leerverkäufe spezialisiert ist. Perring verdient Geld, wenn andere welches verlieren, in dem er auf fallende Kurse setzt. Spätestens seit er hartnäckig bei Wirecard bohrte, hat sein Name auch in Deutschland den Klang einer Angriffsfanfare. Und Perring hat sich jetzt Grenke vorgeknöpft.

Davon erfahren sie in Baden-Baden allerdings erst am nächsten Tag, am Dienstag den 15. September. Hirsch und Firmenchefin Antje Leminsky sitzen in einem Führungskräftemeeting, es geht um strategische Fragen: Wie soll sich Grenke in Zukunft aufstellen? Das Geschäftsmodell ist so unsexy wie effektiv: Ein Betrieb kauft beim Händler IT-Ausrüstung, zum Beispiel Notebooks und Drucker. Dann bezahlt Grenke den Händler, und der Betrieb least das Equipment über Grenke. Die Baden-Badener sind auf kleinteiliges Geschäft fokussiert, im Durchschnitt geht es um 8000 Euro. Profitabel ist das, weil Grenke ein Massengeschäft mit mehr als 40.000 Händlern weltweit betreibt, über eine Million Verträge laufen bei Grenke. Dank dieser Vielzahl hat Grenke Erfahrung, wenn es um Bonitätsbewertung der Kunden geht. Ausfallraten und Risikokosten sind gut zu berechnen.

Was dann allerdings während des Meetings passiert, nennt Leminsky heute einen „Angriff aus dem Hinterhalt“: Auf dem Display ihres Handys blinkt eine Mail auf. Es ist der 64seitige Report, den Viceroy ins Netz gestellt hat. Darin finden sich Vorwürfe, die kaum einen Tatbestand auslassen: Geldwäsche, Betrug, persönliche Bereicherung zu Lasten der Aktionäre. „Das volle Ausmaß der Probleme ist selbst im Unternehmen nicht bekannt“, beharrt Perring noch heute, zweieinhalb Monate später im Gespräch mit „Markt und Mittelstand“. Leminsky reagiert mit dem gleichen zeitlichen Abstand ebenfalls noch immer emotional: „Die Vorwürfe von Perring waren von Anfang an in ihrer Sprache unanständig und im Inhalt verzerrt. Da wurden die schlimmsten denkbaren Buzzwords aneinandergereiht. Ich habe damals gesagt und ich wiederhole es heute genauso: Es war ein Schlag ins Gesicht. Ein Schlag ins Gesicht unserer Mitarbeiter, unserer Kunden und Partner und unserer Investoren, darunter viele Kleinaktionäre.“

Nervöser Markt

Das Meeting geht nur noch holprig über die Bühne. Hirsch verlässt die Runde vorzeitig. War es gestern nur der „Spiegel“, weiß er jetzt, mit wem Grenke es zu tun hat. Es ist der Wirecard-Jäger. Er zielt auf Grenke, er trifft auf einen in der Corona-Krise verunsicherten Markt und erinnert daran, wie von Bundesbank bis Finanzaufsicht, von Analysten bis Journalisten im Fall Wirecard alle in Deutschland versagt haben. An der Börse rauscht der Grenke-Kurs im Minutentakt nach unten von 55 auf 28,50 Euro. In kürzester Zeit werden Milliarden vernichtet. Perring verdient in diesem Augenblick Millionen. Hirsch stimmt eine Pressemitteilung ab, die zunächst den Verdacht mangelnder Liquidität zerstreuen soll. 761 Millionen Euro liegen nachweislich bei der Bundesbank. Grenke ist nicht Wirecard lautet die unsichtbare Überschrift über dieser Adhoc-Meldung. Für Leminsky ist es Zeit, den Aufsichtsrat zu informieren.

In dem Gremium sitzt Gründer Wolfgang Grenke. Der 69jährige hat als Student ein Startup gegründet, als es diesen Begriff noch gar nicht gab. Der passionierte Schachspieler und Segler hat eine Karriere hingelegt, wie sie nur der deutsche Mittelstand schreiben kann. Der Vater führt in Baden-Baden ein Lebensmittelgeschäft, als der Sohn sein Studium abbricht und das Verleasen von Kopierern zu seinem Beruf macht. Der Laden wächst zu einem Betrieb und der Betrieb zum internationalen Konzern, Grenke geht an die Börse. Er legt sich eine eigene Bank zu, um Kapital zu sammeln, das er in junge Unternehmen pumpt, darunter Franchisenehmer, die ins Grenke-Reich hineinwachsen sollen.

Er pflegt sein Netz an Vertrauten, das ein Freund der Familie mit einem weitverzweigten Wurzelwerk vergleicht: Wenn es irgendwo verletzt wird, wachsen andere Stränge umso stärker. Er renoviert ein altes Palais an der berühmten Lichtentaler Allee in Baden-Baden und macht es zum Museum, das gleich hinter dem Kunsttempel von Frieder Burda liegt. Als das Festspielhaus nebenan in eine Krise gerät, überträgt er der Leitung ein Aktienpaket im Wert von mehr als einer Millionen Euro. Vorsitzender der Kulturstiftung des Festspielhauses ist Ernst-Moritz Lipp, der dieses Amt vom ehemaligen Bundesfinanzminister und heutigen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble geerbt hat. Grenke macht ihn zum Aufsichtsratsvorsitzenden seiner AG. Er selbst ist der Stellvertreter. Die Firma steigt auf vom SDAX in den MDAX. „Wissen Sie, in einem Familienunternehmen gibt es immer einen Kern von Menschen, die sich vertrauen“, sagt Grenke. Wenn man dann in den MDAX hineinwachse, müsse man sich überlegen, ob das System noch trage. „Ich stelle aber fest, statistisch haben Familienunternehmen eine bessere Performance. Warum sollen wir also etwas ändern, wenn es doch erfolgreich ist?“, fragt sich Grenke laut.

Heute, zweieinhalb Monate nach dem Angriff hat der Unternehmer sichtlich zu seiner Form zurückgefunden. Er ist stolz, gerade wieder zum Präsidenten des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertages gewählt worden zu sein. „Einstimmig“ wie er hervorhebt. „Bei einem solchen Angriff steht man zusammen.“ Am 21. September sah es noch nicht danach aus. Auf das BadenBadener Unternehmen geht das Trommelfeuer der Analysten nieder. Im Tagesrhythmus werden Vorwürfe erhoben, widerlegt und von neuem gewälzt. Chefin Leminsky war am 17. September nach Bonn gereist, um einer nervösen BaFin Rede und Antwort zu stehen. Die Beamten setzen zwei Prüfungsverfahren in Gang: eines für das Unternehmen, eines für die Banktochter. Beide sind noch in der Schwebe.

„Wir glauben an das Sprichwort, dass es nie nur eine Kakerlake in der Küche gibt“, stellt Perring daraufhin fest. Wolfgang Grenke wirkt damals angeschlagen, schläft schlecht, wacht nachts auf. „Nach dem ersten Knall“, sagt er, „haben wir eine Investorenkonferenz abgehalten. Da bliesen die Vertreter von Hedgefonds zum Angriff und haben versucht, massiv meine Rolle zu beschädigen.“ Er bietet seinem Freund dem Aufsichtsratsvorsitzenden ErnstMoritz Lipp an, sein Mandat als Stellvertreter ruhen zu lassen. Lipp nimmt Grenke am 21. September aus der Schusslinie. Gleichzeitig gibt seine Familie eine Mitteilung heraus, dass sie weiter zu dem Unternehmen stehe. Knapp 41 Prozent der Anteile gehören ihr, Wolfgang Grenke selbst hält acht Prozent.

Der wunde Punkt

Und noch etwas geschieht an diesem Datum: Grenke kündigt an, sein Geschäftsmodell zu überprüfen. „Wenn eine Sache nicht einfach genug ist, um sie zu erklären, dann muss man sie anpassen“, sagt Chefin Leminsky mit Blick auf diesen Tag. Mehr als 20 Jahre war Grenke gewachsen, in dem es Franchisenehmern externe Risikokapitalgeber an die Seite stellte. Damit sollte jetzt Schluss sein: „Künftig werden wir selbst das Startkapital geben. Das bedeutet mehr Risiko für uns, aber volle Transparenz.“ Die Entscheidung, tatsächlich so vorzugehen, wird einen guten Monat später verkündet, am 29. Oktober. Außerdem, so kündigt Grenke an, werde der Vorstand erweitert: um einen „Chief Risk Officer“. Einen also, der intern warnt, bevor es Kritik von außen hagelt.

Perring hat in dieser Hinsicht einen wunden Punkt getroffen: Grenke war intransparent. Im Gegensatz zu Wirecard hat das Unternehmen aber offenbar nicht versucht, dahinter kriminelle Machenschaften zu verbergen. Der Leerverkäufer ist mit seinem Erfolg noch nicht zufrieden, sondern stichelt weiter: Das Manöver hält er „für einen eklatanten Versuch herunterzuspielen, dass Grenke die Firmen von Anfang an hätte übernehmen müssen“. Das noch ausstehende Ergebnis der Prüfung durch die BaFin wischt er schon jetzt vom Tisch. Er verweist auf die Prüfung der europäischen Finanzaufsicht ESMA, die der BaFin in Sachen Wirecard gravierende Nachlässigkeit attestiert hat. „Das hätte ein Weckruf sein müssen.“, beklagt Perring. Stattdessen habe die BaFin mit ihrer „Kultur der Laxheit und Ineffizienz“ einfach weitergemacht. „Wenn die BaFin ein börsennotiertes Unternehmen wäre, wäre sie längst bankrott“ stellt Perring fest.

Das Merkel Gen

Vielleicht stimmt das, aber in diesem Fall gibt es nicht nur eine Wahrheit. Wolfgang Grenke jedenfalls ist von den Mechanismen an der Börse enttäuscht. Er hatte vor dem 15. September nie von Perring gehört. Das Geschäftsmodell des Leerverkäufers wolle er gar nicht anzweifeln. „Das Problem entsteht, wenn jemand durch Unwahrheiten den Börsenkurs manipuliert.“ Als börsennotiertes Unternehmen, dem auch noch eine Bank gehört, befinde sich Grenke in einem extrem regulierten Umfeld – im Gegensatz zu Viceroy. „Ich halte es für dringend erforderlich, dass der Gesetzgeber sich mit diesem Thema beschäftigt“, lautet Grenkes Resümee.

Am heitersten klingt derzeit Leminsky. Die 49jährige sitzt in selbstverordneter Quarantäne zu Hause im Zimmer ihres älteren Sohnes, von wo aus sie die Geschicke der Firma lenkt. Falls zu viel auf sie einstürme, habe sie die Angewohnheit die Tür zu schließen und den Fall zu strukturieren, sagt sie und klingt so unaufgeregt wie Angela Merkel nach der Besetzung der Krim. Die Kanzlerin und sie – beide stammen aus Mecklenburg-Vorpommern. „Auch mein Mann“, räumt Leminsky freimütig ein, „meint, ich hätte das Merkel-Gen.“

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