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Finanzierung > Wertpapierprospekte werden dünner

Neue Prospektverordnung: Weniger Aufwand für Unternehmen

Leichter aufs Parkett: Der Gesetzgeber will mehr Mittelständler an die Kapitalmärkte bringen. Neue Regelungen sollen den Börsengang erleichtern. Vor allem der Wertpapierprospekt muss nicht mehr so umfangreich sein wie bisher.

400 Seiten: So dick war das Dokument, das das Biotech-Unternehmen Brain erstellen musste, um im Februar 2016 an die Börse gehen zu dürfen. 400 Seiten voll mit Informationen über Brain selbst und über die Aktien, die das Unternehmen ausgeben wollte: Sämtliche Kennzahlen waren dort aufgelistet, alle möglichen Risiken für Investoren, die voraussichtliche Struktur der Finanzierung und vieles mehr. Für den Mittelständler aus Zwingenberg mit einem Umsatz von rund 23 Millionen Euro und 240 Mitarbeitern war die Erstellung dieses sogenannten Wertpapierprospekts mit hohem Aufwand verbunden, erzählt Frank Goebel, der Finanzchef von Brain. Goebel hat das Unternehmen, das auf industrielle Biotechnologie spezialisiert ist, durch den gesamten Vorbereitungsprozess begleitet.

Eine Wahl hatte Brain aber ohnehin nicht: Wer im europäischen Wirtschaftsraum Wertpapiere öffentlich anbieten und/oder zu einem regulierten Markt zum Börsenhandel zulassen möchte – zum Beispiel im Rahmen eines Börsengangs oder der Platzierung einer Anleihe –, muss vor dem Gang aufs Parkett einen Wertpapierprospekt veröffentlichen. Der Grund: „Anleger sollen sich auf Grundlage des Wertpapierprospekts abschließend über die Risiken eines Investments in die Wertpapiere informieren und somit eine aufgeklärte Investitionsentscheidung treffen können“, erklärt Karsten Wöckener. Er ist Partner bei der Anwaltskanzlei White & Case, die auch Unternehmen berät, die an den Kapitalmarkt wollen.

Dünner, aber aussagekräftiger

Doch der hohe Aufwand kann gerade für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) sehr abschreckend sein. Das Problem: Während größere Unternehmen in der Regel eigene, personalstarke Abteilungen für die Bereiche Rechnungslegung, Recht und Investor-Relations haben, müssen kleine Unternehmen in den meisten Fällen mit weitaus weniger Personal auskommen. Damit sie den Prozess der Wertpapierprospekterstellung überhaupt hinreichend begleiten können, müssen kleine Unternehmen daher regelmäßig auf diverse externe Berater zurückgreifen. Auch Brain holte sich Hilfe von außen, wie Finanzchef Goebel berichtet. Das können oder wollen sich manche KMU aber nicht leisten.

Um vor allem KMU die Finanzierung über den Kapitalmarkt zu erleichtern, hat die EU daher die Regeln für die Erstellung der Wertpapierprospekte geändert. Die neue Prospektverordnung wurde im Juni dieses Jahres verabschiedet. Viele der Änderungen, die gerade kleinere und mittelständische Unternehmen bei der Geldbeschaffung auf dem Kapitalmarkt entlasten sollen, werden aber erst in zwei Jahren zur Anwendung kommen.

Die wichtigste Neuerung für Mittelständler ist dabei die Einführung des EU-Wachstumsprospekts – er soll für eine bestimmte Art von Emittenten den bisherigen Wertpapierprospekt ersetzen. Nutzen dürfen die neue Berichtsform vor allem diejenigen kleinen und mittelständischen Unternehmen, die mindestens zwei der folgenden drei Kriterien erfüllen: Die Mitarbeiteranzahl muss unter 250 liegen, die Bilanzsumme soll 43 Millionen Euro nicht überschreiten, und der Jahresnettoumsatz darf maximal 50 Millionen Euro betragen.

„Hier entfällt der Anlegerschutz“

„Der neue Prospekt soll schlanker werden, einfacher zu erstellen und damit auch kostengünstiger sein“, erklärt Karsten Wöckener von der Anwaltskanzlei White & Case. „Gleichzeitig wird er ausreichend viele Informationen für Investoren enthalten und übersichtlicher werden, was Investoren auch begrüßen dürften.“ Wie die konkreten Voraussetzungen für die Erstellung des Prospekts lauten werden, wird derzeit allerdings noch im Rahmen von Level-2-Maßnahmen auf EU-Ebene entworfen. Der Jurist erwartet, dass bis zum Sommer 2018 Detailpläne publik gemacht werden.

Wie schon nach dem bestehenden Prospektrecht wird es auch weiterhin Fälle geben, in denen Unternehmen komplett auf die Begebung eines Wertpapierprospekts verzichten können. Es wird allerdings auch hier Neuerungen geben: Konnten in der Vergangenheit Wertpapiere mit einem Gesamtwert von bis zu 5 Millionen Euro (über einen Jahreszeitraum berechnet) prospektfrei begeben werden, gilt das Gleiche künftig grundsätzlich bei öffentlichen Angeboten von Wertpapieren mit einem Gegenwert von unter einer Million Euro.

Das dürfte daher eher von Start-ups als von etablierten Mittelständlern genutzt werden, glaubt Anwalt Karsten Wöckener von White & Case. Aus seiner Sicht als Jurist bewertet er die Lockerung der Regel allerdings durchaus kritisch: „Hier entfällt der Anlegerschutz in Gänze. Ob dies jedoch dem Risikoprofil einer solchen Anlage entspricht, erscheint eher zweifelhaft“, so seine Befürchtung. Frank Goebel, der Finanzchef des Biotechnologieunternehmens Brain, findet, dass einige der geplanten Prospekterleichterungen durchaus sinnvoll sind. So stellten die neuen Regelungen eher auf die Qualität als auf die Quantität der Risiken ab – das sei sowohl für das Unternehmen als auch für den Investor von Vorteil: „Bisher waren die Prospekte mit Haftungsrisiken überfrachtet. Das war nicht nur für uns Unternehmen aufwendig in der Erstellung, für die Investoren war das eine zu große Informationsflut“, meint der CFO. Zugleich ist er aber auch davon überzeugt, dass der große Aufwand bei der Erstellung des Prospekts in manchen Teilen durchaus gerechtfertigt sei. „Wir haben uns bei der Erstellung des Prospekts intensiv mit uns selbst und unserem Geschäftsmodell beschäftigt.“ Das sei sehr wichtig und hilfreich gewesen – und das Dokument nutzten die Mitarbeiter heute noch als Nachschlagewerk. „Die Arbeit war also nicht umsonst“, betont der Finanzchef.

Eine unternehmensstrategische Entscheidung

Doch den geplanten Erleichterungen zum Trotz: Kritiker sind skeptisch, ob diese tatsächlich dazu führen werden, dass mehr kleine und mittelständische Unternehmen den Kapitalmarkt anzapfen. So gibt Frank Goebel zu bedenken: „Die Entscheidung, ob man an die Börse geht, ist schließlich eine unternehmensstrategische – ein aufwendiger Prospekt allein darf kein Grund sein, dies nicht zu tun.“ Viel wichtiger seien hingegen andere Faktoren, wie etwa das richtige Marktumfeld.

Auch Renata Bandov, Head of Section, Pre-IPO & Capital Markets bei der Deutschen Börse, glaubt nicht, dass allein die Erleichterungen bei der Prospekterstellung mehr kleine und mittelständische Unternehmen an die Kapitalmärkte bringen werden. Sie sieht das Problem woanders: „Es fängt bereits damit an, dass das Finanzierungsumfeld für kleinere Unternehmen in Deutschland nicht besonders gut ist. Dadurch gibt es schlicht nicht so viele KMU, die bereits börsenreif sind.“ So seien die ersten Finanzierungsrunden noch kein Problem – es gebe viele der sogenannten Business-Angels, die Unternehmen in sehr frühen Phasen Geld zur Verfügung stellen. Schwierig werde es erst in den zweiten und dritten Finanzierungsrunden – da fänden viele Unternehmen keine Investoren.

Um dabei zu helfen, diese Finanzierungslücke zu schließen, hat die Deutsche Börse im Sommer 2015 das Deutsche Börse Venture Network gegründet. Dabei handelt es sich um ein Netzwerk, in dem kapitalsuchende junge Unternehmen und Venture-Capital-Investoren besser zusammenfinden sollen. Heute nutzen 250 Investoren und mehr als 150 Unternehmen das Netzwerk, sagt Bandov. Ob es dazu führen wird, dass es in einigen Jahren tatsächlich signifikant mehr börsenreife Unternehmen in Deutschland geben wird, muss sich aber erst noch zeigen.

Folgeemissionen erleichtern

Die neue Prospektverordnung soll aber nicht nur denjenigen nützen, die zum ersten Mal den Kapitalmarkt anzapfen. Auch Unternehmen, die bereits Anleihen emittiert haben oder an der Börse gelistet sind, werden unter bestimmten Voraussetzungen bei Sekundäremissionen entlastet, erklärt Karsten Wöckener von White & Case. So können Wertpapiere ohne Wertpapierprospekt ausgegeben werden, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen: Sie müssen gattungsgleich sein, was bedeutet, dass sie mit Wertpapieren austauschbar sein müssen, die am selben regulierten Markt gelistet sind. Zudem müssen sie weniger als 20 Prozent dieser Wertpapiere innerhalb eines Jahres ausmachen. Bisher lag die Schwelle bei 10 Prozent. In der Praxis kann das dann so aussehen: Ein Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von 500 Millionen Euro führt eine Kapitalerhöhung über 100 Millionen Euro durch, ohne dafür einen neuen Prospekt erstellen zu müssen. Von dieser Regelung könne auch Brain profitieren, ist sich Finanzchef Frank Goebel sicher.

Auch wenn die Neufassung der EU-Prospektverordnung einige Erleichterungen mit sich bringt – die Finanzierung über den Kapitalmarkt dürfte gerade für KMU weiterhin mit einem erhöhten Aufwand verbunden bleiben. Das ist aber auch gut so. Schließlich geht es nicht nur darum, wie man Mittelständler möglichst entlasten kann, sondern vor allem darum, wie man Investoren möglichst gut informieren und damit schützen kann. Ein aussagekräftiger Wertpapierprospekt ist und bleibt dabei ein zentrales Mittel – wer an den Kapitalmarkt geht, muss sich bewusst sein, dass dort eine gewisse Transparenz gefordert ist.

Das ist Neu

  • Verschlankung: Das Wertpapierprospekt darf kürzer und knapper sein. So muss etwa nur noch über bestimmte Risikofaktoren berichtet werden.
  • Ausnahmen: Bei Emissionen mit einem sehr geringen Volumen müssen Unternehmen gar kein Wertpapierprospekt erstellen. Das dürfte vor allem für Start-ups eine Erleichterung darstellen.
  • Sekundäremissionen: Wenn Unternehmen bereits am Kapitalmarkt aktiv sind und diesen erneut anzapfen wollen, müssen sie in bestimmten Fällen keine neues Wertpapierprospekt mehr ausgeben.

Der Text gehört zu einem Thema aus der Markt-und-Mittelstand-Ausgabe 12/2017 – 01/2018. Hier können Sie das aktuelle Heft bestellen und „Markt und Mittelstand“ abonnieren.

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