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Finanzierung > Koalition im Mittelstand

Neuer Mindestlohn birgt für Scholz erhebliche Risiken

Im Wahlkampf hat Olaf Scholz einen Mindestlohn von zwölf Euro versprochen. Der soll jetzt auch kommen. Die Arbeitgeber sprechen von Wortbruch und denken über eine Klage vor das Bundesverfassungsgericht nach.

Zu den zentralen Wahlversprechen des künftigen Bundeskanzlers Olaf Scholz gehört die Anhebung des Mindestlohns. Entsprechend steht im Koalitionsvertrag: "Wir werden den gesetzlichen Mindestlohn in einer einmaligen Anpassung auf zwölf Euro pro Stunde erhöhen." Der neue Kanzler verspricht damit zehn Millionen Beschäftigten eine Gehaltserhöhung, wie er bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags noch einmal betonte. Die hohe Zahl macht aber auch gleichzeitig deutlich, wie massiv die Politik in die Tarifautonomie eingreift.

Während die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi den Scholz-Plan unterstützt, sorgt das Ansinnen bei den Unternehmen seit Wochen für Aufregung. Schon Mitte Oktober warnte Arbeitgeberpräsident Reiner Dulger: "Das ist ein schwerer Eingriff in die Tarifautonomie und brandgefährlich. Ein Mindestlohn von zwölf Euro würde in über 190 Tarifverträge eingreifen und über 570 tariflich ausgehandelte Lohngruppen überflüssig machen. Eine derartige Mindestlohngrenze würde eine enorme Lohnspirale nach oben erzeugen und somit den Arbeitsmarkt für Geringqualifizierte unheimlich erschweren."

Fragt man im Arbeitgeberlager nach, ist immer wieder von "glattem Wortbruch" die Rede. Tatsächlich hatte die Große Koalition schon einmal 2015 eingegriffen Um die Tarifparteien zu beruhigen, wurde eine Mindestlohnkommission gegründet, die von nun an die unterste Stufe der Löhne festlegen sollte. Seinerzeit hatten die Tarifparteien den Eingriff murrend hingenommen, denn die Wirtschaft erlebte einen kräftigen Aufschwung. Das Gremium ist von Vertretern aus Politik, Arbeitgeber und Gewerkschaften zusammengesetzt und tagt alle zwei Jahre. Ende 2020 hatte das Kabinett einen Vorschlag der Kommission übernommen und den Mindestlohn stufenweise von 9,35 auf derzeit 9,60 Euro erhöht. Zum Jahreswechsel war eine weitere Erhöhung auf 9,82 und Mitte 2022 dann auf 10,45 Euro vorgesehen.

Die politisch verordnete Erhöhung von 25 Prozent gemessen am aktuellen Tarif, löst in vielen Branchen einen Dominoeffekt aus. Denn es geht nicht nur um die unterste Lohngruppe. Vielmehr müssen die Tarifparteien das gesamte Lohngruppengefüge neu ausrichten. Betroffen sind Branchen wie beispielsweise Sicherheitsdienste, Reinigungskräfte, Einzelhandel, Hotellerie und Gastronomie. Es trifft also Branchen, die durch die Pandemie ohnehin schon angeschlagen sind. Im Handel wird nicht ausgeschlossen, dass die Automatisierung – beispielsweise in den Supermärkten – einen zusätzlichen Schub bekommt.

Wann die neue Regierung ihren Plan umsetzen will, ist noch offen. Manche befürchten, dass Scholz schon zum Jahreswechsel sein Versprechen einlösen will. "Zu begrüßen wäre eine Öffnungsklausel, durch die man in den kommenden Jahren den Mindestlohn schrittweise in den besonders betroffenen Branchen anpassen kann", sieht Steven Haarke, Syndikus des Einzelhandelsverbandes HDE, eine Möglichkeit, den Eingriff verträglich lösen zu können. Nach der Intervention soll "die unabhängige Mindestlohnkommission über die etwaigen weiteren Erhöhungsschritte befinden", heißt es im Koalitionsvertrag. Bei den Arbeitgeberverbänden hegt man da erhebliche Zweifel. Vor der nächsten Wahl gehe das Spiel dann wieder von vorne los, ist aus mehreren Verbänden zu hören. Die Ampel lässt sich schon im Koalitionsvertrag eine Hintertür offen: "Wir unterstützen den Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie über angemessene armutsfeste Mindestlöhne zur Stärkung des Tarifsystems." Was angemessen ist, will also die Politik bestimmen. So wird im Koalitionsvertrag zwar zugesichert, die Tarifautonomie fördern zu wollen, droht aber gleichzeitig damit "die nötige Lohnangleichung zwischen Ost und West" durchsetzen zu wollen.

Das Recht, ohne staatliche Einmischung Tarifverträge auszuhandeln, ist allerdings durch das Grundgesetz in Artikel 9 geschützt. Im Gegenzug dürfen sich die Tarifpartner sich nicht in politische Angelegenheiten einmischen, was im Alltag anders aussieht. Mit rund 78.000 gültigen Tarifverträgen hätten die Tarifpartner ein differenziertes System von Arbeitsbeziehungen geschaffen, das die unternehmerische Effizienz mit der sozialen Teilhabe der Beschäftigten in Einklang bringt, erklärt der BDA. Die Arbeitsbedingungen von mehr als drei Viertel aller Arbeitsverhältnisse seien direkt oder indirekt durch tarifvertragliche Regelungen bestimmt.

Der BDA prüft dem Vernehmen nach, ob eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht möglich ist. Offiziell hält sich der Dachverband allerdings noch bedeckt. Im Mittelpunkt würde das Tarifautonomiestärkungsgesetz aus 2014 in dem vorgeschrieben wird, dass die Tarifparteien einen bestimmten Mindestlohn nicht unterschreiten dürfen. "Die Arbeitswelt hat sich in einer modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft zunehmend fragmentiert. Dies hat den Tarifvertragsparteien die im Grundgesetz überantwortete Ordnung des Arbeitslebens strukturell erschwert", lautet die Begründung für den Eingriff. Das Grundgesetz (Art.74) überträgt dem Bund zwar die Hoheit bei der Gestaltung von Gesetzen. Doch die hat Grenzen. Die Festsetzung der Löhne sollte "aus Sachgründen am besten von den Tarifvertragsparteien geregelt werden kann, weil sie nach den Vorstellungen des Verfassungsgebers die gegenseitigen Interessen angemessener zum Ausgleich bringen als der Staat”, so das Bundesverfassungsgericht. Im Vertrag zur Wiedervereinigung haben beide deutschen Staaten zudem festgelegt: "Löhne und sonstige Arbeitsbedingungen werden nicht vom Staat ... festgelegt". Wie die CSU mit der Autobahnmaut geht die SPD mit dem Mindestlohn also ein juristisches Risiko ein. Der Eingriff in den Mindestlohn kostet die Bundesregierung darum finanziell nichts, denn den muss die Wirtschaft finanzieren. Bekommen die Unternehmer aber in Karlsruhe Recht, könnte es für Scholz nicht nur juristisch peinlich enden, sondern politisch auch sehr teuer werden.

Auf deutlich mehr Wohlwollen stößt die Absicht der Ampel, den Zuzug und den Aufenthalt ausländischer Fachkräfte zu erleichtern. Das betrifft viele Asylsuchende, die sich zwischenzeitlich integriert haben und selbst für ihr auskommen sorgen können. Hier kommt es immer wieder vor, dass die Asylverfahren negativ beschieden werden und die Fachkräfte ausreisen müssen. Laut Koalitionsvertrag soll nun der lange geforderte "Spurwechsel" ermöglicht werden. Damit ist eine Änderung des rechtlichen Status vom Asylbewerber zur begehrten Fachkraft möglich. Die Geduldeten in Ausbildung sollen ebenfalls mehr Rechtssicherheit bekommen.

Auf den in vielen Branchen bestehenden Fachkräftemangel gehen die Ökosozialliberalen hingegen nicht ein. In dem gemeinsamen Papier wird nur von einer Stärkung der Aus- und Weiterbildung gesprochen. Zudem sollen die Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit gestärkt werden, damit Menschen ohne Beschäftigung besser Qualifiziert werden. Ohne den Bedarf der Wirtschaft zu nennen, stellen die Koalitionäre in Aussicht, die reguläre Migration fördern zu wollen. Ins Detail geht man dabei allerdings nicht. Den tatsächlichen Bedarf hat FDP-Finanzexperte Christian Dürr schon vor Wochen umrissen: "Wenn wir unsere öffentlichen Finanzen stabilisieren und den Schuldenstand reduzieren wollen, braucht unser Land mindestens 500.000 Einwanderer pro Jahr." Das Thema Einwanderung und Fachkräfte wird die Ampel also noch nachschärfen müssen.

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