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Recht und Steuern > Urteil der Woche

Vertragswortlaut hin oder her: ohne unternehmerisches Risiko keine „freie Mitarbeit“

Das Thema Scheinselbstständigkeit bleibt für Unternehmen brisant. Das LSG Baden-Württemberg hat nun noch einmal klargestellt: Auch wenn „freie Mitarbeit“ vereinbart ist, kann eine abhängige Beschäftigung vorliegen.

Um nicht als Scheinselbstständiger eingestuft zu werden, müssen freiberufliche Mitarbeiter einige Punkte erfüllen, die auch von den Unternehmen geprüft werden sollten. ©Shutterstock

Der Fall 

Zu entscheiden hatte das Gericht über die Tätigkeit der Koordinatorin eines Jazzclubs. Der Club hatte die Frau mit der Gesamtkoordination des Spielbetriebs, der Ticket-Hotline und der Kommunikation mit Künstlern betraut. Sie assistierte außerdem dem künstlerischen Leiter und managte Konzerte. Eingestellt wurde sie als „Teamleiter Office und Assistenz der Geschäftsleitung“ zunächst nach mündlicher Absprache und später auf Grundlage eines „Vertrags über freie Mitarbeit“. In dem Vertag war unter anderem auch festgehalten: „Die Parteien sind sich darüber einig, dass durch diese Vereinbarung zwischen ihnen kein Arbeitsverhältnis entstehen soll.“

Die Deutschen Rentenversicherung Bund (DRB) beurteilte eben dies allerdings anders und stufte die Mitarbeiterin als abhängig Beschäftigte ein. Es kam zum Rechtsstreit. 

Das Urteil

Das Sozialgericht Mannheim und in der Berufung das Landessozialgericht Baden-Württemberg urteilten zugunsten der DRB. Es liege tatsächlich eine abhängige Beschäftigung vor und zwar aus folgenden Gründen: 
Die Koordinatorin habe einen festen Aufgabenbereich innerhalb der Betriebsorganisation übernommen und nicht bloß einzelne Aufträge. In den Betrieb sei sie eingegliedert gewesen, weil sie nicht etwa nur teilweise Bürodienstleistungen übernommen habe, sondern eigenverantwortlich für alle erforderlichen Arbeiten des Clubbetriebs verantwortlich gewesen sei. Auch fest vereinbarte Verfügbarkeiten – vier Abende und zwei Tage vormittags vier Stunden – sprachen für die Gerichte für eine abhängige Beschäftigung. 

Dass die Frau selbständig auch für andere Auftraggeber tätig gewesen ist, ließen die Richter nicht als Gegenargument gelten. Denn zum einen sei für die Statusbeurteilung auf den jeweiligen Einzelauftrag abzustellen, zum anderen würden auch teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer für mehrere Auftraggeber tätig. 

Dass die Beteiligten ihr Rechtsverhältnis als „freie Mitarbeit“ bezeichnet hatten, sei nicht entscheidend.

Praxishinweis

Ob eine Tätigkeit als selbständig oder als sozialversicherungspflichtig einzustufen ist, beschäftigt die Gerichte immer wieder. Wird der Status „freie Mitarbeit“ im nachhinein nicht akzeptiert, kann das für Unternehmen teuer werden: Sozialversicherungsbeiträge müssen nachgezahlt werden und vor allem bei hohen Beträgen über längere Zeiträume droht zudem ein Verfahren wegen Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen. 
 

Welche Regeln sollten Unternehmen also beachten? 

„Die Beantwortung der Frage „frei“ oder „abhängig beschäftigt“ hängt von den Umständen des Einzelfalls ab“, sagt Dr. Alexander Schmid-Lossberg von SKW Schwarz Rechtsanwälte. Ausschlaggebende Kriterien sind die Weisungsabhängkeit, die Eingliederung in den Betrieb, die Freiheit der Zeiteinteilung und die Frage, wer das unternehmerische Risiko trägt. „Deshalb ist es erforderlich, dass sich Unternehmen bei der Beschäftigung Selbstständiger der entscheidenden Kriterien sehr bewusst sind und klare vertragliche Regelungen sowie entsprechende organisatorische Vorkehrungen treffen“, so der Rechtsanwalt. In einem Dienstvertrag sollte deshalb vorgesehen werden, dass der oder die „Freie“ alleine verantwortlich für die Abführung gesetzlicher Abgaben ist, dass er andere Aufträge annehmen und Hilfskräfte oder eigene Mitarbeitende einsetzen darf und nicht die volle Kapazität zur Verfügung stellen muss. Auch sollte er oder sie bei seinen Aufgaben nicht an den Ort des Unternehmens gebunden sein und auch eigene Räumlichkeiten nutzen. 

Sinnvoll sei auch, eine Nutzungsgebühr für die vom Unternehmen zur Verfügung gestellten Arbeitsmittel zu vereinbaren, rät der Arbeitsrechtler. Die Art der Tätigkeit sollte genau beschrieben werden, wobei Routineaufgaben, die typischerweise im Rahmen eines Angestelltenverhältnisses anfallen, vermieden werden sollen. „Es darf keine feste Eingliederung in einen Dienstplan geben“, betont Alexander Schmid-Lossberg, „denn ein Selbständiger arbeitet grundsätzlich nach eigener Zeiteinteilung, was aber Absprachen mit dem Auftraggeber nicht ausschließt.“ Weil Weisungsabhängigkeit stark gegen die Selbständigkeit spricht, ist es wichtig, auf einen ausreichenden eigenen Entscheidungsspielraum bei der Erfüllung des Auftrags zu achten. Auch Urlaubsregelungen sind zu vermeiden. 

„Wenn Unternehmen das Risiko einer Scheinselbständigkeit ausschließen wollen, ist eine frühzeitige Anfrage bei der Clearingstelle zur Statusfeststellung der DRB zu empfehlen“, rät Rechtsanwalt Schmid-Lossberg.

Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 20.3.2023 - L 4 BA 2739/20

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