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Finanzierung > Ruhestand

Pensionskassen: Krach statt krachen lassen

Hohe Kosten, geringe Zinsen – mehrere Pensionskassen sind angeschlagen. Das sind schlechte Nachrichten, vor allem für Arbeitgeber.

Caritas steht für Nächstenliebe. Ist der Nächste aber einer der 55.000 Anwärter und Versorgungsempfänger der beiden Pensionskassen des gleichnamigen Kölner Wohlfahrtsverbands, sehen es deren viele Geschäftsführer nicht mehr so eng mit der Nächstenliebe. Sie formierten sich zu einer Nachschussblockade und verweigerten der eigenen Pensionskasse und dem Schwesterunternehmen Kölner Pensionskasse dringend nötiges Kapital. Weil die Kassen deshalb ihre Mindestkapitalanforderungen nicht mehr erfüllten, entzog ihnen die Aufsichtsbehörde die Erlaubnis zum Betrieb des Versicherungsgeschäfts. Ein sehr irdisches Ende.

Stand Juni hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) rund 40 Pensionskassen, ein Viertel aller Anbieter, unter "intensiverer Beobachtung", wie ein Sprecher sagt. Eine einstellige Zahl von Kassen steht bereits unter besonderer Beobachtung. Immer mit Blick auf den Prognosezeitraum von 15 Jahren und einem angenommenen Rechnungszins von 0,5 Prozent. Wegen der fortwährenden Niedrigzinsphase lässt sich der in guten Zeiten zugesagte Rechnungszins von bis zu 3,5 Prozent am Kapitalmarkt nicht mehr erwirtschaften. Zudem haben Pensionskassen restriktivere Anlagevorgaben als beispielsweise Lebensversicherer.

Viele Pensionskassen haben ihre Rentenauszahlungen bereits um bis zu 15 Prozent verringert, das Neukundengeschäft eingestellt. Schon 2018 warnte Frank Grund, Chef der Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht bei der BaFin: "Ohne zusätzliches Kapital von außen werden einige Pensionskassen nicht mehr ihre vollen Leistungen erbringen können." Heute, in Anbetracht der langfristigen Corona-Folgen für die Finanzmärkte und der auf die Rente lauernden geburtenstarken Jahrgänge, wird Grund präziser. "Viele Kassen werden in den kommenden Jahren teils erhebliche Unterstützung ihrer Träger benötigen. Sorgen bereiten uns vor allem die Pensionskassen, bei denen der Arbeitgeber als Träger nicht mehr existiert." Die BaFin-Juristen sind vorsichtig. Unternehmen, bei denen sie die Zügel kürzer nehmen, nennen sie nicht. Die BaFin will den Kassen nicht öffentlich den Rest geben. Der Staat hat reagiert. Das Finanzministerium bringt gerade einen Gesetzesentwurf zum Versicherungsaufsichtsgesetz auf den Weg. Darüber sollen ab 2022 regulierte Pensionskassenbestände auch in Teilen saniert werden können, statt das Geschäft komplett abwickeln zu müssen.

Mehrere Pensionskassen kürzen bereits den Rentenfaktor für künftige Beiträge. Darunter die Hannoversche Alterskasse, Hannoversche Pensionskasse und die Pensionskassen der Genossenschaftsorganisationen, der Hamburger Hochbahnen und der Deutschen Eisenbahnen und Straßenbahnen. Bekannt ist die Schließung der Deutschen Steuerberater-Versicherung und der Rückzug der einst mit viel Trommelwirbel gestarteten Metallrente. Selbst der Versicherungsriese Allianz kündigte im Herbst 2020 an, seine Pensionskasse ab 2022 für Neukunden zu schließen. Der Bund der Versicherten geißelte die Entscheidung als "totales Armutszeugnis: Diese Branche beherrscht das Geschäft nicht mehr." Denn das Problem sei in Teilen hausgemacht: zu hohe Kosten und Fehlkalkulationen. Tatsächlich reichen die Kapitalgewinne mancher Kassen nicht mal mehr für ihre Verwaltungskosten.

Vorsicht, Einstandspflicht!

Gerade KMUs erfüllen ihre gesetzliche Pflicht zur betrieblichen Altersvorsorge oft über eine Pensionskasse. Doch gerät sie ins Strudeln, liegt das Risiko bei den Unternehmen, nicht bei deren dort versicherten Mitarbeitern. Das Problem hat der Chef, weil er die Pensionszusage ausgesprochen hat. Damit obliegt ihm die Einstandspflicht: Er muss die entstandenen Rentenlücken seiner Pensionäre auffüllen. Ein reales Risiko: Rund ein Viertel der Anbieter kürzt bereits die Renten und Ansprüche der Versicherten. Für sie bedeutet das zunächst: Krach mit dem Chef, statt es als Rentner endlich krachen zu lassen.

Besonders riskant wird es für den Arbeitgeber, wenn eine Pensionskasse mehrere Trägerunternehmen hat. Dann müssen alle Unternehmen nachschießen. Das Problem: Nach aktueller Gesetzeslage profitieren auch die Mitarbeiter der Unternehmen, die sich weigern nachzuschießen, von den Kapitalspritzen der anderen Träger, der Verweigerer dagegen schont seine Rücklagen. Das soll sich ab 2022 über die Neuregelung eines Interessenausgleichs zwischen den leistenden und den sich verweigernden Arbeitgebern ändern.

Experten raten Personalabteilungen dringend dazu, jeden neu abgeschlossenen Arbeitsvertrag auf die konkrete Pensionszusage hin zu kontrollieren. Gefährlich war und ist die Formulierung, die spätere Rentenzahlung als garantiert auszuweisen. Zumal sich kein Arbeitnehmer mit den Einzelheiten der Pensionskassenzusage und deren Anlagepolitik befassen muss – und fachlich kann. Selbst für Arbeitgeber ist das Dickicht aus Pensionszusagen, laufender Verzinsung, Anlagepolitik und Rückstellungsvarianten komplex. Zumal sich die Mehrheit der Kassen durch bewusste Intransparenz auszeichnet. Bei Analysen großer Ratinghäuser halten sie sich, anders als Versicherungen, mit Informationen auffällig zurück, beobachtet Lars Heermann. Der Bereichsleiter Analyse bei der Ratingagentur Assekurata sieht noch einen folgenreicheren Unterschied: "Versicherungen mussten wegen der EU-Richtlinie Solvency II ein professionelles Risikomanagement einziehen. Davon sind die meisten Pensionskassen noch weit entfernt."

Bringt die Pflicht zu überraschenden Pensionszahlungen ein Unternehmen ins Straucheln, ist der Verkauf des Betriebs nicht zwangsläufig eine sinnvolle Exit-Strategie. Denn dann muss der neue Eigentümer die Verpflichtungen übernehmen. Das wird er beim Kaufpreis gebührend berücksichtigen. Erst wenn nach der Pensionskasse auch der Arbeitgeber selbst in die Insolvenz geht, übernimmt der sogenannte Pensionssicherungsverein auf Gegenseitigkeit (PSV) die in der Arbeitszeit erworbenen Ansprüche der Belegschaft. Das betrifft derzeit rund 95.000 Arbeitgeber, vier Millionen Rentner und 7,1 Millionen Arbeitnehmer mit unverfallbaren Anwartschaften.

Dafür zahlen die Betriebe Mitgliedsbeiträge. Die werden jährlich neu an den aktuellen Verpflichtungen des PSV ausgerichtet. Denn es geht um viel Geld: 2020 musste der PSV bei 503 Insolvenzen mit rund 1,5 Milliarden Euro einspringen. Dazu kommen Rückstellungen über 4,5 Milliarden Euro für nicht abgewickelte Versicherungsfälle. Assekurata-Experte Heermann ist skeptisch, wie lange das reicht: "Wir sehen keine rasche Zinswende auf dem Kapitalmarkt, die es den Pensionskassen leichter machen würde, ihre hohen Versprechen an die Kunden zu erfüllen."

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