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Recht und Steuern > Befreiung von Nachtarbeit

Schichtarbeit und Arbeitsrecht: Was Unternehmen beachten müssen

In vielen Branchen und Unternehmen gehört Schichtarbeit zum Alltag. Doch bei gesundheitlichen Problemen können sich Mitarbeiter von der Nachtschicht befreien lassen. Was die arbeitsrechtlichen Regelungen für die Unternehmenspraxis bedeutet.

In einem im Jahr 2014 vom Bundesarbeitsgericht (BAG) entschiedenen Fall ging es um eine Krankenschwester, die von 1983 bis 2012 im Schichtdienst tätig war. Dann wurde sie krank und musste Medikamente nehmen, die sie schläfrig machten. Die Nachtschichten von 21.45 Uhr bis 6.15 Uhr konnte sie deshalb nicht mehr leisten. Im Juni 2012 schickte ihr Arbeitgeber sie wegen ihrer Nachtdienstuntauglichkeit als arbeitsunfähig nach Hause. Das Angebot der Frau, tagsüber weiterzuarbeiten, lehnte der Arbeitgeber ab.

Vor den Arbeitsgerichten bekam die Krankenschwester in allen drei Instanzen Recht: Weder sei sie arbeitsunfähig krank noch sei ihr die Arbeitsleistung generell unmöglich geworden, urteilte letztinstanzlich das BAG. Vielmehr müsse das Krankenhaus bei der Einteilung der Schichten auf die angeschlagene Gesundheit der Klägerin Rücksicht nehmen. Weil sie ihre Arbeitsleistung ausdrücklich angeboten hatte, sprachen die Richter ihr zudem die Nachzahlung ihrer Bezüge für die Zeit zu, in der der Arbeitgeber sie nicht beschäftigen wollte.

Das Urteil habe „wegweisende Wirkung“ für alle Schichtarbeiter, betonte seinerzeit eine Sprecherin des BAG. Was bedeutet das nun konkret?

Nachtschichten schaden der Gesundheit

In vielen Betrieben ist Schichtarbeit unvermeidlich, sei es um die Produktion aufrecht zu erhalten oder weil – wie in der Gastronomie – sonst kein Service möglich wäre. Weil aber das Arbeiten gegen die innere Uhr auf Dauer nachweislich nicht gesund ist, legt das Arbeitszeitgesetz strenge Regeln an, die in vielen Tarifverträgen weiter konkretisiert werden.

Auch Nachtarbeitnehmer dürfen nicht länger als acht Stunden, in Ausnahmefällen bis zu zehn Stunden am Stück arbeiten.  Alle drei Jahre haben sie das Recht, sich arbeitsmedizinisch untersuchen zu lassen. Sind sie älter als 50 Jahre alt, können sie einmal jährlich auf Kosten des Arbeitgebers einen Gesundheitscheck machen. Ergibt die Untersuchung, dass die Nachtarbeit den Mitarbeiter in seiner Gesundheit gefährdet, hatte er nach dem Arbeitsschutzgesetz schon vor dem Urteil einen Anspruch darauf, auf einen geeigneten Tagesarbeitsplatz versetzt zu werden.

Unternehmen mit Wechselschichten

Komplexer ist die Lage, wenn ein Arbeitnehmer nicht ausschließlich als Nachtarbeiter, sondern für Wechselschichten eingestellt ist – er also abwechselnd Tag- und Nachtschichten leistet. Dann sehen die Arbeitspläne einen ständigen Wechsel zwischen zwei oder sogar drei Schichten vor, häufig im Wochenrhythmus. Der Betrieb ist darauf angewiesen, dass dieses System funktioniert.

In vielen Betrieben ist eine Rücksichtnahme auf Mitarbeiter, die sich von der Schichtarbeit befreien lassen wollen, nicht einfach umzusetzen. Wechselschichten greifen zahnradartig ineinander und fällt ein Arbeitnehmer krankheitsbedingt aus, ist Ersatz nicht leicht zu finden. In der Regel muss er von einer anderen Schicht abgezogen werden und hinterlässt dann dort eine Lücke.

Selbstverständlich gilt: Arbeitnehmer, die gesundheitlich nicht mehr in der Lage sind, in Nachtschichten zu arbeiten, haben nach dem aktuellen Urteil nachvollziehbar einen Anspruch auf eine Befreiung von der Nachtschicht wegen gesundheitlicher Probleme. Eine personenbedingte Kündigung kommt nicht in Frage. Dennoch ist Arbeitgebern zu raten, nicht jedes ärztliche Attest von Mitarbeitern mit Wechsel- bzw. Nachtschichten unhinterfragt zu akzeptieren. Häufig drücken sich Ärzte um klare Aussagen und geben nur Empfehlungen ab. Diese Empfehlungen können dann als Nachtarbeitsverbote fehlinterpretiert werden.

Zusätzliche Urlaubstage als Anreiz

Keine Lösung des Problems ist es, Arbeitnehmer gezielt nur für Nachtschichten einzustellen. Auch sie haben nämlich das Recht, auf einen Tagesarbeitsplatz umgesetzt zu werden, wenn es zu gesundheitlichen Problemen kommt. Arbeitgeber haben dann wiederum nur sehr begrenzte Möglichkeiten, die Umsetzung auf einen Tagesarbeitsplatz zu verweigern.

In Zeiten des Fachkräftemangels müssen sich Arbeitgeber ohnehin vermehrt Gedanken machen, wie sie ausreichend Personal für unattraktive Schichtarbeit rekrutieren oder – manchmal noch schwieriger – halten. Erfahrungsgemäß steigt die Bereitschaft zu Nachtschichten bei höherem Gehalt oder bei mehr Freizeitausgleich. Arbeitsrechtlich spricht jedenfalls nichts dagegen, beispielsweise für jeweils 20 Nachtschichten einen zusätzlichen Urlaubstag zu vereinbaren.

Mitbestimmung des Betriebsrats

Bei alledem darf schließlich auch nicht vergessen werden, dass der Betriebsrat bei Schichtarbeit umfassend zu beteiligen ist. So sind zum einem bei der Aufstellung oder Änderung von allgemeinen Schichtplanregelungen die erzwingbaren Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG zu beachten. Aber auch bei der individuellen Einteilung von Mitarbeitern zu einer bestimmten Schicht muss der Arbeitgeber – wie das Bundesarbeitsgericht jüngst festgestellt hat – den Betriebsrat um Zustimmung bitten. Verweigert dieser seine Zustimmung, muss der Arbeitgeber die Einigungsstelle anrufen oder die Einteilung der Mitarbeiter in den Schichtplan so gestalten, dass der Betriebsrat hiermit einverstanden ist. Dies gilt gleichermaßen für eigene Arbeitnehmer wie für Zeitarbeitskräfte, die in wechselnden Schichten eingesetzt werden sollen.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden: Wer nicht fit genug für die Nachtschichten ist, ist deshalb nicht generell arbeitsunfähig. Sondern er kann verlangen, nur noch am Tag eingesetzt zu werden (Az. 10 AZR 637/13).

Dr. Rolf Kowanz ist Rechtsanwalt und Partner in der Kanzlei Eversheds Sutherland (Germany) LLP. 

Dieser Artikel wurde am 22. April 2014 veröffentlicht und zuletzt am 6. August 2019 überprüft und aktualisiert.

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