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Finanzierung > Neue Finanzierungsmodelle

Variable Kreditkonditionen: Wie Firmen ihre Liquidität erhöhen können

Kredite, deren Rückzahlung an die Produktionsleistung des Unternehmens gekoppelt ist, schonen die Liquidität. Möglich sind solche Modelle durch die zunehmende Digitalisierung im Maschinenpark. Noch sind diese Kredite jedoch wenig verbreitet.

Wochenlang verwaiste Produktionshallen bei Volkswagen in Wolfsburg: Solche Bilder, wie sie das Coronavirus im März verursachte, sind zum Glück ein seltener Anblick in deutschen Unternehmen. Schwankende Produktionszahlen gehören hingegen in vielen Branchen zum Alltag. Die saisonal bedingte Flaute am Fließband kann schnell zur Belastung für die Liquidität des Unternehmens werden. Denn die Kreditraten für die noch nicht abbezahlten Produktionsmaschinen werden auch bei geringem Umsatz in voller Höhe fällig.

Zumindest normalerweise: Wer beim Werkzeugmaschinenhersteller Emag eine Dreh- oder Schleifmaschine bestellt, hat seit zwei Jahren die Möglichkeit, die Höhe der Kreditraten und die Laufzeit an die Auslastung der Maschinen zu koppeln. „Wenn weniger produziert wird und unser Kunde damit geringere Einnahmen hat, sinken für diese Zeit die fälligen Raten“, sagt Finanzvorstand Sven Hartwich. Das schone die Liquidität der Kunden in finanziell schlechteren Zeiten. Auch der Verkäufer profitiert bei diesem Modell. „Dieses Angebot ist ein Baustein in unserem Vertriebsmarketing“, sagt Hartwich.

Wenige Parameter nötig

Möglich sind solche Finanzierungsmodelle, da in vielen der heutzutage verkauften Maschinen Sensoren verbaut sind, die Daten wie Stillstandszeiten automatisch erfassen. Wenn diese Infos nicht nur intern benutzt werden, sondern auch an den Finanzdienstleister fließen, kann dieser die Kreditkonditionen danach berechnen. „Wir verwenden je nach Maschinentyp drei bis vier Parameter, anhand derer wir sehen können, wie die wirtschaftliche Auswirkung der Maschine für das Unternehmen ist, und bestimmen damit die Raten“, sagt Dirk Thomas, Bereichsleiter Big Data Advanced Analytics bei der Commerzbank.

Vergleicht man die Konditionen eines Pay-per-Use-Kredits mit denen eines handelsüblichen Kredits, liegen die Kosten bei der produktionsdatenbasierten Finanzierung isoliert betrachtet etwas höher. Dennoch kann sich dieses Modell finanziell lohnen, wenn einige Voraussetzungen erfüllt sind. „Für Unternehmen, die an sieben Tagen der Woche 24 Stunden produzieren, rentiert sich dieses Angebot in der Regel nicht“, sagt Thomas. „Je größer jedoch die Schwankungen in der Auslastung der Produktion sind, desto sinnvoller ist dieses Instrument.“ Das allein genügt aber nicht: Das Unternehmen muss die gewonnene Liquidität in den absatzschwachen Zeiten sinnvoll einsetzen, um Kosten zu reduzieren oder zusätzliche Umsätze zu generieren.

Dirk Schiereck, Professor am Lehrstuhl für Unternehmensfinanzierung der Technischen Universität Darmstadt, gibt einen weiteren Punkt zu bedenken: „Auch bei solchen Krediten dienen die gekauften Produktionsmaschinen als Sicherheit“, sagt er. „Daher kommt Pay-per-Use bei Spezialanlagen, die für andere Unternehmen keinen oder wenig Wert haben, kaum in Frage.“ Bei der Finanzierung von komplexen Produktionsmaschinen ist zudem zu bedenken: „Viele Anlagen sind für den Käufer eine große Investition, bei der oft die Finanzierung bereits geklärt ist, bevor der Kunde uns anspricht“, sagt Hartwich von Emag. „Dann gibt es bei ihm keinen Bedarf mehr für einen Pay-per-Use-Kredit.“

Kaum verbreitet

Bislang sind die produktionsdatenbasierten Kredite eher eine Rarität. Die Commerzbank zeigt sich zwar mit der Resonanz zufrieden und verzeichnet „laufend neue Abschlüsse“, konkrete Zahlen nennt sie jedoch nicht. Siemens Financial Solutions, das ein ähnliches Produkt anbietet, räumt ein, dass diese Art der Finanzierung in Deutschland bislang eher ein Nischenprodukt ist. „Das Interesse der Unternehmen ist zwar grundsätzlich da, allerdings haben nur wenige dies unternehmensweit operativ umgesetzt. Noch sind es meist Einzel- und Pilotprojekte“, sagt Kai-Otto Landwehr, Leiter des Commercial-Finance-Geschäfts von Siemens Financial Services in Deutschland.

Die bislang geringe Resonanz könnte unter anderem daran liegen, dass gerade mittelständische Unternehmen vorsichtig mit den Daten aus ihrer Produktion umgehen und diese nur ungern mit Dritten teilen. Das beobachtet auch Thomas von der Commerzbank: „Vielen Unternehmen war nicht klar, welche Daten wir nutzen und was wir damit machen. Daher kommunizieren wir seit dem vergangenen Jahr offensiv, dass wir nur die notwendigen Parameter verwenden und diese nicht für andere Zwecke als die Berechnung der Raten benutzen.“ Dies habe dazu geführt, dass die Nachfrage nach dem Pay-per-Use-Kredit merklich gestiegen sei. Auch Dirk Schiereck von der TU Darmstadt möchte die Datenschutzbedenken der Unternehmen ausräumen. „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Anbieter die Daten zweckentfremden“, sagt er. „Außerdem vertrauen die Unternehmen ihren Hausbanken bei der Bonitätsprüfung viel sensiblere Daten an als die Laufzeit ihrer Produktionsmaschinen. Man denke nur an Kundenlisten.“

Fördert die Corona-Krise solche Finanzierungen?

Ein anderer Punkt, weshalb dieses Finanzierungsmodell bislang wenig verbreitet ist, könnte sein, dass es wirtschaftlich gesunden Unternehmen in den vergangenen Jahren nicht schwergefallen ist, zu guten Konditionen an Fremdkapital zu kommen. Das könnte sich durch die Corona-Krise nun ändern. „Gerade der Maschinenbau, für den Pay-per-Use interessant ist, wurde durch die Auswirkungen der Pandemie stark getroffen“, sagt Schiereck. „Für die Unternehmen dürfte es in Zukunft deutlich schwerer werden, an Kapital zu kommen.“

Ein Pay-per-Use-Kredit kann da helfen. „Ich kann mir gut vorstellen, dass immer mehr Werkzeugmaschinenbauer solche Finanzierungen anbieten werden, um ihren Kunden zu ermöglichen, größere Investitionen in den Maschinenpark zu tätigen“, sagt Schiereck. Da diese Unternehmen in der Regel größer und kapitalstärker als ihre Kunden sind, können sie mit den Banken leichter Finanzierungsmodelle verhandeln. Dennoch muss der Abnehmer solvent sein – sonst ergibt dieses Angebot weder für den Verkäufer noch für das Finanzinstitut Sinn. Landwehr von Siemens Financial Services setzt zudem darauf, dass sich die Industrie 4.0 im Mittelstand immer weiter durchsetzt: „Unser datenbasiertes Finanzierungsmodell kann dabei eine Hilfe sein, denn Unternehmen schaffen damit den Einstieg in das Industrial Internet of Things quasi nebenbei.“

Eine grundsätzliche Bereitschaft für den verstärkten Einsatz von produktionsdatenbasierten Finanzierungen scheint es im Mittelstand jedenfalls zu geben. Bei einer Umfrage der TU Darmstadt im Auftrag des Fintechs Creditshelf gaben 2019 neun von zehn Befragten an, dass sie ein Finanzierungsmodell attraktiv fänden, bei dem die Kreditkonditionen primär von der Performance der Investition abhängen – und nicht von historischen Finanzkennzahlen und vorhandenen Sicherheiten.

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